Italienischer Traum am Gardasee. Gabriele Raspel
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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2020
© 2020 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
Titelfoto: © Klaus G. Förg
Lektorat: Beate Decker, München
Satz: SATZstudio Josef Pieper, Bedburg-Hau
eISBN 978-3-475-54872-7 (epub)
Worum geht es im Buch?
Gabriele Raspel
Italienischer Traum am Gardasee
Isabella steht vor einem Problem: Um zu verhindern, dass sie das wunderschöne Gutshaus ihrer Familie in Riva an ihren Cousin verliert, muss sie bis zu ihrem vierzigsten Geburtstag heiraten. Dieser steht jedoch bereits morgen an und kurz vorher hatte sie sich von ihrem Verlobten Emanuele getrennt. Wie soll sie in so kurzer Zeit einen Ehemann finden und ihr Traumhaus retten?
1
Isabella öffnete die Augen und wie immer war sie auf der Stelle hellwach. Sie stand auf und schaute verträumt aus dem offen stehenden Fenster zum See.
Es war der erste Advent, und der strahlend schöne Morgen verhieß einen perfekten Tag. Wie immer genoss sie einen Moment still das Panorama, das sich vor ihrem Zuhause erstreckte, einem ehemaligen Gutshof mit weitläufigem Park ein wenig außerhalb von Riva. Im Osten durch den Monte Brione, im Westen durch den Monte Rocchetta begrenzt und auf einer kleinen Halbinsel gelegen, bot der Wohnsitz einen traumhaften und vor allem ungestörten Blick auf den Gardasee. Die Bezeichnung Park war wegen seinen prächtigen Baumriesen und seltenen Sträuchern keineswegs übertrieben. Gutshof klang allerdings weit hergeholt. Das dreistöckige Haus mit dem Turm an seiner Ostseite wirkte aus der Ferne zwar stattlich, doch wenn man sich ihm näherte, glich es immer mehr einer gebrechlichen, ehemals eleganten Dame, die sich, gebückt von den Zeichen der Zeit, nur noch mühevoll auf den Beinen hielt.
Isabella schirmte die Augen vor der Sonne ab, die über dem mächtigen Rücken des Monte Baldo aufgegangen war und bereits jetzt um halb neun mit gleißender Helligkeit blendete. Gestern Nachmittag war sie mit Chiara und Elisa in freudiger Adventsstimmung durch das vorweihnachtlich geschmückte Riva gebummelt, alle drei ausgestattet mit Einkaufskarren, um gewaltige Gebinde von Tannen- und Koniferengrün, Kerzen und Adventskränze für den heutigen ersten Advent zu transportieren. Wie üblich wurde das Haus üppig geschmückt – es glitzerte verschwenderisch, und bis in den hintersten Winkel verbreiteten sich die betörenden Düfte des Tannengrüns und der Unmengen selbstgebackener Plätzchen, die so mundeten, dass die meisten das Fest nicht erlebten. In diesem Jahr gab es reichlich Eukalyptuszweige, deren rosafarbene Blüten alle bezauberten.
Das malerische und gerade zu dieser Jahreszeit beschauliche Riva, zum Trentino gehörend, lag in voller Sonne, allerdings war es mehr ein Städtchen des Schattens, in dem die Sonne im Sommer bereits um sechzehn Uhr hinter den Bergen verschwand. Dies schien jedoch niemanden zu stören, im Gegenteil, im Sommer wurde in dieser mit Hitze verwöhnten Region Schatten vor allem von seinen fast siebzehntausend Einwohnern immer sehr begrüßt.
Ausgeruht und guter Laune und seit ihrer Kündigung mit viel Zeit gesegnet, beschloss Isabella, Emanuele zu einem letzten Ausflug für dieses Jahr zu überreden. Ihr Freund war kein Bewegungsmensch, aber es galt ja keinen Berg zu erklimmen, es gab hier am Gardasee unendlich viele Möglichkeiten, das herrliche Wetter zu nutzen.
Kurz entschlossen rief sie ihn an. Geduldig ließ sie es lange klingeln, aber es war ja auch noch früh am Morgen. In diesem Jahr stand ihr Freund in seinen freien Wochen immer später auf, sinnierte sie. Schade eigentlich, denn auch am Abend verabschiedete er sich zusehends früher. Er hatte von Natur aus eine helle Hautfarbe, doch in letzter Zeit schien er immer blasser und er war angespannt, reagierte zusehends gereizt auf jede ihrer harmlosesten Äußerungen. Nicht, dass er ihr schließlich noch mit einem Burnout zusammenbrach.
Sie wollte gerade auflegen, da nahm er das Gespräch entgegen. »Oh, hallo, Schatz«, begrüßte sie ihn mit heiterer Stimme. »Ich hoffe, ich hab dich jetzt nicht geweckt.«
»Doch, hast du«, kam die brummige Antwort.
Isabella rollte die Augen. Nein, Emanuele war noch nicht ausgeschlafen, ihr Pech. »Ich meine nur … Es ist so schönes Wetter. Hättest du nicht Lust, mit mir eine Tour zu unternehmen? Wir könnten am Tennosee ein wenig spazieren gehen und es mit einem Besuch des Varone-Wasserfalls verbinden.« Der Weg führte durch eine landschaftlich interessante Region, die sie sehr liebte. Der Tennosee war ein typischer Bergsee auf fünfhundertsiebzig Metern am Fuße des Monte Misone. Man nannte ihn auch »Lago Azzuro«, was er seiner Farbe in Türkis bis Himmelblau zu verdanken hatte. Jetzt im Spätherbst war der See nach den Regenfällen der letzten Tage wahrscheinlich wieder besonders angestiegen. Das versickerte Wasser des Sees stürzte später in dem spektakulären Wasserfall von Varone durch eine neunzig Meter tiefe Schlucht unterhalb von Tenno hinab und gehörte zu einem der vielen beeindruckenden Naturschauspiele im Hinterland von Riva. »Oder wir machen einen Bummel unten am See«, schlug sie vor.
»Herrje, hatte ich dir nicht letztens gesagt, dass morgen meine Fortbildung beginnt? Glaub mir, da steht mir der Sinn nicht gerade nach einer Tour. Ich muss noch ein paar Sachen waschen und dann packen. Du weißt doch, wie so was ist.«
Nein, sie wusste nicht, wie so was war. Wenn sie auf Reisen ging, was selten vorkam, dann mit leichtem Gepäck. Packen bedeutete für sie einen Aufwand von einer halben Stunde. Aber sie schluckte ihren Unmut hinunter. Emanuele war halt nicht so belastbar wie sie. Dabei sollte man das bei einem Kapitän zur See eigentlich voraussetzen. Doch wie er ihr in einer weinseligen Minute einmal verraten hatte, hatte er diesen Beruf lediglich ergriffen, weil der ihm das Gefühl gab, stets die Möglichkeit zu haben, zu verschwinden, wohin auch immer. Außerdem, fügte er nuschelnd hinzu, habe es ihm die Kapitänsmütze angetan.
Im Stillen fragte sie sich, wieso ein Mensch mit einem Schifffahrtspatent Fortbildungen in so kurzen Abständen besuchen musste. Das war schon seine zweite in diesem Jahr. Seine Arbeitszeit, drei Monate auf See, drei Monate frei, war natürlich nicht mit der eines Büromenschen zu vergleichen. Aber mussten es in seiner Freizeit zwei Wochen Fortbildung sein? Egal. Bis seine nächste Fahrt wieder losging, hatten sie noch genügend Zeit.
»Schade, dann kann man nichts machen. Aber vielleicht sehen wir uns ja noch am Abend? Papa kocht heute was Französisches, und du bist natürlich wie immer herzlich eingeladen.«
»Tut mir leid, aber ich könnte mich da nicht wirklich richtig entspannen«, kam seine Antwort. »Ich muss mich noch ein wenig auf die Fortbildung vorbereiten. Es handelt sich hierbei, wie du ja weißt, nicht um einen Häkelkurs für Hausfrauen.«
Isabella zog scharf die Luft ein und spürte, wie ihre gute Laune zu schwinden begann. Hausfrauen-Häkelkurs! Sein Hochmut leuchtete wieder einmal durch, eine seiner wenigen schlechten Eigenschaften.
Erneut bedauerte sie, dass er immer noch in Saló lebte. Wohnte er hier in Riva, könnten sie sich viel öfter sehen. Anfangs hatte sie angenommen, er sei bereit zu einem Umzug, aber nach und nach hatte sie ihre Nachfragen diesbezüglich aufgegeben, denn er zeigte keinerlei Lust dazu. Als Ausrede gab er an, dass es von Riva aus noch weiter nach Genua sei, wo sein Schiff ablegte. Noch trauriger allerdings war die Tatsache, dass er sie umgekehrt nicht einmal bat, zu ihm zu ziehen. Außerdem war es höchstens für sie zu weit, denn sie fuhr ihn schließlich immer mit ihrem Auto nach Genua, damit er sich die Parkgebühren für drei Monate sparen konnte.
»Schade«, erwiderte sie munterer als ihr zumute war. »Da kann man halt nix machen. Man sieht sich.« Mit diesen Worten legte sie auf, ohne seine Antwort abzuwarten. Man sah sich frühestens in zwei Wochen wieder. Es wurde Zeit, dass sie mit ihrem Freund Tacheles redete. Wenn sie ihn nicht so gut kennen würde, könnte man beinahe auf argwöhnische Gedanken kommen. Aber sie vertraute ihm. Frauen oder auch Männer, die zu übermäßiger Eifersucht neigten, waren ihr zuwider.