Italienischer Traum am Gardasee. Gabriele Raspel

Italienischer Traum am Gardasee - Gabriele Raspel


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nahm von der köstlichen Schokolade mit Nuss, während ihre Augen die wenigen Stellenangebote überflogen. Im Februar wurde sie vierzig und war somit noch nicht alt, aber auch nicht mehr ganz jung. Momentan gab es für sie in jedem Büro die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu beweisen, und so war sie nicht gerade von Existenzängsten geplagt. Zu unnötigen Ängsten neigte sie ohnehin nicht. Schließlich lebten sie, wenn auch nicht in Saus und Braus, so auch nicht in nackter Armut, obwohl sie immer gezwungen gewesen waren, sich einzuschränken. Natürlich gab es in dem alten Gutshof, der er einmal gewesen war, einige Antiquitäten. Die jedoch waren alle in die Jahre gekommen und nicht sonderlich wertvoll. Wahrscheinlich war das Gemälde im Flur noch das Wertvollste, was sie besaßen: Le due madri, von Giovanni Segantini. Es zeigte eine Mutter mit Kind, gefolgt von einem Schaf und dessen Lamm, das besonders Chiara sehr am Herzen lag. Nun, dieses würde nur in der Not in fremde Hände fallen, ebenso wie ihr Rivaboot. Sie, Isabella, war eine Frau der Tat und würde alles daransetzen, spätestens im Januar eine neue Stelle anzutreten. Natürlich nur eine Festanstellung und die zu einem anständigen Honorar. Sie sah nicht ein, dass sie mit einer halben Stelle die gleiche Arbeit verrichten sollte wie eine Ganztagskraft, und dies dann zum halben Gehalt. Sie war doch nicht blöd! Blöd war sie vielleicht nur in der Liebe.

      Sie atmete zweimal tief durch, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt, und es gelang ihr, die Tränen zurückzuhalten. Männer waren wichtig im Leben einer Frau. Dann und wann. Eine bezahlte Arbeit jedoch war überlebenswichtig. Immer. Somit galt es zu überlegen, wie sie ihre Bewerbung aufsetzen könnte. Sie hatte eine private Handelsschule besucht und konnte sich als Übersetzerin, Sekretärin und Auslandskorrespondentin bewerben. Wenn auch nicht als IT-Genie, so doch mit fundierten Kenntnissen in sämtlichen geläufigen Programmen. Sie beherrschte das Schreiben mit Zehnfingersystem blind und verfügte zudem sogar noch über ansehnliche stenografische Kenntnisse, da die Eilschrift ihr Hobby war und sie als junges Mädchen davon geträumt hatte, in Wettschreiben ihr Können mit anderen zu messen. Ihr mathematisches Verständnis konnte als ausreichend bezeichnet werden, und die Grundlagen der Buchhaltung machten ihr keine Probleme, schließlich kümmerte sie sich seit drei Jahren um die finanziellen Belange des Hauses, die ihre Eltern erleichtert in ihre Hände gelegt hatten. Mit anderen Worten: Alle Wege standen ihr offen – sofern sie nicht allzu weit wegführten. Denn das würde ihr erlauben, ihre Vespa zu benutzen und auf den Peugeot zu verzichten, der ihrem Vater, je älter er wurde, umso mehr ans Herz wuchs, hielt dieser Oldtimer ihn doch mobil und unabhängig. Manchmal dachte Isabella über den Verkauf des Wagens nach, denn wie sie im Internet entdeckt hatte, zahlte man mittlerweile für Automobile der alten Art stattliche Summen, was vielleicht die Reparatur des Daches ermöglichen würde. Doch sie wusste, dass dies nur der letzte Ausweg war und ihrem Vater das Herz aus dem Leib reißen würde.

      Gestern erst hatte sie einen radikalen Einschnitt vornehmen und sich beim Friseur eine stylische Pixie-Frisur schneiden lassen, sehr zum Entsetzen ihres Vaters. Davor reichte ihr Haarwust bis weit über die Schultern. Ihr neuer Haarschnitt würde wahrscheinlich auch Emanuele in Ohnmacht fallen lassen. Ihr vormals langes, lockiges Haar hatte sie im Beruf immer hochgesteckt getragen, und diese Frisur saß auch nur nach Einsatz von drei Dosen Haarspray. Sie passte allerdings perfekt zu ihrem strengen Charakter, überlegte Isabella, schonungslos und offen zu sich selbst wie zu ihren Mitmenschen. Sie warf einen Blick in den verschnörkelten Wandspiegel. Mochten Emanuele und ihr Vater weinen – der Kurzhaarschnitt verjüngte, da biss die Maus keinen Faden ab. Insgesamt mochte sie ihr Äußeres, das natürlich einige Macken aufwies, aber wer hatte die nicht? Was an ihrer Nase zu viel war, fehlte an Größe ihren Augen, die dunklen Schlitzen glichen. Gut, einen Pluspunkt gab es noch: Wenn sie lachte, verlor sie alles Strenge. Dann sah sie wirklich lustig aus, was unter anderem auch an den Sommersprossen auf der Nase, die dort reichlich Platz fanden, und ihrem großen Mund mit den vollen Lippen lag, den sie wirklich mochte – schon aus praktischen Gründen. Ja, sie war ernsthaft und komisch zugleich, gerade in der richtigen Mischung, und betrachtete die Dinge gern von ihrer heiteren Seite – wenn sie nicht gerade unter Liebeskummer litt wie momentan, befand sie.

      Ihre Figur umrissen jene, die nicht zu ihren Freunden zählten, kurz und knapp mit Bohnenstange. Sie gab ihnen recht, doch auch ihre magere Gestalt war nicht übel. Sie hatte eine Figur wie ein Model, besaß aber leider eben nicht deren traurige Riesenaugen, die jedes Männerherz zum Schmelzen brachten. Das Einzige, das sie aber wirklich gerne hätte ändern wollen, waren ihre kräftigen Hände und Füße, seufzte sie innerlich. Nein, trotz ihrer Magerkeit – ein zierliches, scheues Reh war sie nicht. Weder scheu noch Reh. Sie war nicht nur körperlich, sondern auch seelisch handfest und von Dauer, mutig obendrein.

      Alles klar, dachte sie, wenn das mit der Assistentin nicht klappt, wirst du dich als Rausschmeißerin in einer Bar bewerben.

      Gerade, als sie beschloss, sich hinzulegen und sich ihrer Trauer über den gleichgültigen Verlobten Emanuele hinzugeben, fiel ihr Blick auf eine der größten Anzeigen des Sonntagsblattes: Suche kompetente Privatsekretärin, mit sehr guten Computer-Kenntnissen, einschließlich guter Fremdsprachenkenntnisse in Deutsch, Englisch und Französisch, flexibel, reisebereit und unabhängig. Subito! Vincenzo Collani

      Trotz ihres Kummers musste Isabella grinsen, als sie diese Annonce las. Man sah den Inserenten geradezu vor sich, kaum dass man die Zeilen zu Ende gelesen hatte – kurz, knapp, exakt in seinen Ausführungen. Ein Mann, der wusste, was er wollte. Ein Mann nach ihrem Geschmack. Allerdings klang er ein wenig hart. Doch war sie nicht soeben zu dem Schluss gekommen, dass sie hart im Nehmen war? Zur Rausschmeißer-Boxerin geboren? Na also. Nichts wie hin, zumal die Arbeitsstätte im nur knapp zehn Kilometer entfernten Limone sul Garda läge.

      Mit vor Aufregung klopfendem Herzen trat sie an den Schreibtisch mit dem PC. Doch gerade, als sie mit dem Bewerbungsschreiben beginnen wollte, rief Elisa von unten zum Tee durch die altmodische Sprechanlage, die die Zimmer des Hauses miteinander verband.

      »Ich komme«, rief Isabella zurück und verließ ihr gemütliches Wohnzimmer, die Treppe hinunter, dann rechts den kühlen Flur entlang in die Küche. Verführerischer Duft stieg ihr in die Nase und ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen.

      In der Küche saßen wie jeden Tag um fünf ihre Eltern sowie Elisa und Paula.

      »Elisa hat mal wieder den besten aller Teekuchen gebacken«, erklärte ihr Vater mit roten Wangen und strahlenden Augen. »Ich finde, dass er immer einen Tag später noch besser schmeckt.«

      Morgens war er wie üblich am Sonntag nach dem Kirchgang mit Chiara gemächlich an der Seepromenade, die zu einer der schönsten am Lago zählte, hinein in die Arkaden geschmückte Altstadt spaziert, um den Rundgang in einem hübschen Café auf der Piazza III Novembre gleich am Hafen zu beenden, in dem man jetzt, nach dem Ende der Saison, weitere Einheimische antraf.

      »Ja, Elisa, Papa hat recht.« Isabella lächelte, und ihre Mutter Chiara stimmte ihr nickend zu. Isabella atmete tief ein und aus. Ja, dies war ihr Hafen, mochte die See auch noch so schwer sein. Hier war sie geborgen. Sie liebte ihre kleine Familie und hatte nie den Wunsch gehabt, irgendwo anders zu leben.

      Auf dem gusseisernen Herd an der Wand, in dessen Backofen ein komplettes Schwein gepasst hätte, kochte und buk Elisa. Gleichzeitig spendete er der Küche und dem angrenzenden Speisezimmer wohlige Wärme. Allerdings wurde er aus diesem Grund natürlich nur im Winter benutzt. Zudem war der warme Steinboden darunter einer der Lieblingsschlafplätze Barneys. Im Sommer hingegen genoss der Kater die angenehme Kühle des Natursteins.

      Dem altmodischen Herd stand jedoch seit Neuestem eine überwältigende Konkurrenz zur Seite: ein ultramoderner Elektroherd mit allem Pipapo, einschließlich selbstreinigendem Backofen mit integrierter Mikrowelle, gekrönt von einer Induktionskochplatte. Dieser war schon zu Beginn der Renovierungsarbeiten auf Elisas schüchternen Wunsch erstanden worden, noch bevor Isabellas Bad in Angriff genommen wurde – was jedermann akzeptierte, denn was gab es Schöneres als Elisas Hochgenüsse? Zudem musste man eine exzellente Köchin wie sie hegen und pflegen, befanden sie einhellig. Diesen Rolls Royce unter den Öfen zu bedienen, hatte allerdings allen Familienmitgliedern, mit Ausnahme Isabellas, höchste Konzentration und einiges an Nervenkraft abverlangt, doch Elisa hatte darauf bestanden.

      In der Küche nahmen zwei große Buffets die Porzellansammlung mehrerer Jahrzehnte auf, und natürlich führte


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