Italienischer Traum am Gardasee. Gabriele Raspel
zu überwältigend. Auch Ratschläge waren Schläge, wer hatte diesen sinnigen Spruch nur in die Welt gesetzt? Aber, dachte sie innerlich grinsend, das bringt mich nicht aus der Fassung, schließlich bin ich im Laufe der neununddreißig Jahre nervlich gestählt.
Nach einer Viertelstunde ging Isabella zurück in ihr Zimmer, öffnete das Schreibprogramm vom PC und begann zu tippen. Sie stellte ihr Licht nicht unter den Scheffel. Ihr Arbeitszeugnis war exzellent, ihre Schulzeugnisse samt und sonders ebenso. Sie wusste aufzutreten und sich ihrer Figur gemäß zu kleiden. Sie besaß Stil und Feingefühl. Diskretion hatte sie mit der Muttermilch aufgenommen, konnte schweigen und war integer – die perfekte Privatsekretärin eben! Und abkömmlich wäre sie auch sofort. Wohin auch immer.
Sie hielt inne. Ihre Lieben hatten sich alle Mühe gegeben, sie davon zu überzeugen, dass sie ohne sie gut zurechtkämen. Aber taten sie das wirklich? Sie waren alle noch sehr rüstig, doch wer wusste, wie lange?
Sie schüttelte den Kopf. Egal. Heute ging es ihnen blendend, und alle konnten gut und gern ein paar Tage ohne sie auskommen, schließlich waren sie zu viert. Warum sich um eine Zukunft sorgen, die niemand vorausschauen konnte?
Voller Freude schrieb sie ihre Bewerbung zu Ende. Ein Foto scannte sie nach längerer Überlegung mit ein. Es zeigte sie als Endzwanzigerin, mit langen Haaren, doch sie fand, dass sie dank der kurzen Frisur so viel älter nicht aussah. Und wenn, es flunkerten doch alle mit ihren Altersangaben. Zufrieden druckte sie die Seiten aus.
Sie steckte die Unterlagen in den Umschlag, um sie zum Briefkasten zu bringen. Vielleicht war Signor Collani so altmodisch wie ihr Vater und schaute zuerst in die Post anstatt ins E-Mail-Konto. Doch dann besann sie sich anders. Ihr hoffentlich zukünftiger Chef wollte sie sofort – er sollte sie bekommen. Auf der Stelle. Gleich morgen früh würde sie sich auf den Weg machen und ihn in Limone aufsuchen.
4
Am Montagmorgen saß Vincenzo trotz des strahlenden Spätherbstwetters übel gelaunt in seinem Büro. Stirnrunzelnd betrachtete er die Stellenanzeige, die er telefonisch aufgegeben hatte. Da waren ja wieder einmal die reinsten Trottel am Werk gewesen. Hatte er nicht deutlich gemacht, dass er die Anzeige mittig und fett gedruckt wollte? Und wenn er mittig sagte, dann meinte er die Mitte des Blattes. Aber nein, sie war an den Rand gesetzt worden und das in stinknormaler Normalschrift, so unterschied sich die Annonce in nichts von den anderen langweiligen, die es zur Genüge gab.
Er war gerade im Begriff, zum Telefon zu greifen, als es an der Tür läutete. Er wartete ungeduldig, dass man öffnete, bis ihm einfiel, dass er Eva dummerweise gekündigt hatte, bevor eine Neue ihre Stelle einnahm. Aber er hatte Eva definitiv nicht mehr ertragen können, diese Heulsuse. Es war ganz wichtig, dass er der Neuen von Anfang an klar machte, dass sie sich nicht in ihn zu verlieben hatte. Sonst würde er sie umgehend wieder feuern. Ein weiteres Tränenmeer würde er nicht noch einmal überstehen, es sei denn, er legte sich eine Ehefrau zu, eine fiktive, die es nur in seiner Fantasie gab – als Rettungsweste, um nicht zu ertrinken. Möglicherweise war eine erfundene Gattin ohnehin die beste Ehefrau der Welt. Jawohl, als Nächstes würde er sich einen Ehering kaufen, einen breiten, der würde jede Frau überzeugen, jedenfalls jede anständige, sinnierte er.
Diese wichtige Bedingung wollte er noch als Nachsatz handschriftlich mit in den Vertrag aufnehmen, den er bereits von Eva hatte schreiben lassen – und zwar, dass sie sich nicht in ihn zu verlieben hatte natürlich, und nicht, dass er bereits vergeben war. Nun musste lediglich der Name der neuen Person eingesetzt werden. Und natürlich das Gehalt. Denn immerhin bestand die Möglichkeit, dass sie seine angedachte Summe noch unterbot, wenn sie ihre Gehaltsvorstellung preisgab.
Knurrend erhob er sich von seinem Bürostuhl und ging zur Tür, durchquerte das elegante Büro seiner ehemaligen Sekretärin und öffnete die Flurtür.
»Guten Morgen«, wurde er freundlich begrüßt. »Ich bin Isabella de Saint-Martin und komme wegen der Annonce in der Sonntagszeitung.«
Vincenzo seufzte. Ach, du liebe Güte. Erst vor einer halben Stunde aus dem Bett gefallen, hatte ihn der graue Alltag schon wieder in der Kralle, wo er doch ohnehin morgens einen Hieb mit dem Vorschlaghammer benötigte, um topfit zu sein. Und nach einem Abend mit seinem Sohn Paolo und dessen Mutter Elisabetta, bei dem es hoch hergegangen war, fühlte er sich noch weniger fit als sonst am Morgen. Sie hatten sich nicht gestritten – diese Zeiten gehörten, Gott sei Dank, der Vergangenheit an –, sondern hatten gefeiert. Die Musikakademie in Salzburg hatte den glücklichen Paolo aufgenommen. Elisabetta, seine Ex, war zwar traurig, dass ihr Herzblatt sie nun verließ, aber natürlich auch sehr stolz, dass sich die Träume ihres achtzehnjährigen Sohnes erfüllten. Nein, Paolo kam ganz und gar nicht auf ihn, was sich sehr früh abgezeichnet hatte. Trotz der Trennung der Eltern vor fünfzehn Jahren war er sehr behütet aufgewachsen, und Vincenzo hielt sich zu Gute, dass zwischen ihnen trotz seiner beruflichen Umtriebigkeit ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis bestand. Er musste zwar einige Fehler in seinem Leben zugeben – unter anderem den, dass er Elisabetta kampflos gehen ließ, als sie ihr Herz an einen windigen Burschen verlor – doch mit seinem Sohn hatte er soweit alles richtig gemacht und seine musische Begabung nach Kräften unterstützt. Heute Morgen allerdings galt es erst einmal, seinen dicken Kopf zu wecken. Und zu allem Übel erschien jetzt vor dem ersten Schluck Kaffee – der Espresso zuvor zählte nicht, der war schlicht Medizin – die Neue, mit der er sich befassen musste. Sie kam ohne vorherige telefonische Anmeldung und sie kam zu früh. Minuspunkt für sie!
Er betrachtete sie ungeniert. Vor ihm stand eine Person, die genauso groß war wie er selbst und seinem Blick nicht auswich. Pluspunkt oder Minuspunkt? Das stand noch nicht fest, vor allem, da sie nicht einmal errötete, als er ihr intensiv in die Augen schaute, was nicht gerade selten vorkam, denn er konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, dass seine Blicke Frauen umwarfen wie der letzte Frühjahrssturm die Wälder in den Bergen. Also eher Pluspunkt in seiner jetzigen Situation.
Er senkte seinen Blick. Ihre Stiefel blitzten. Gott sei Dank. Nachlässige Kleidung konnte er tolerieren. Menschen jedoch, die in ungeputzten Schuhen durch die Gegend liefen, waren ihm ein Gräuel.
Sein Blick wanderte langsam hinauf. Teufel noch mal, war diese Person mager. Minuspunkt, schoss es ihm durch den Kopf, nachdem er bemerken musste, dass auch ihre Weiblichkeit eher an Kindlichkeit herankam, was natürlich auch nicht anders sein konnte. Er hatte selten eine überschlanke Frau in Händen gehabt oder auch nur eine gesehen, die einen anständigen Busen und einen gemütlichen Hintern vorweisen konnte. Wahrscheinlich ging sie jeden Tag in die Muckibude, damit die letzte Spur Weiblichkeit auch noch dem angestrebten Sixpack Platz machte. Doch das hatte ihn in diesem Fall nicht zu interessieren. Hauptsache, sie hatte keine Haare auf den Zähnen.
Er verkniff sich ein Lächeln. Gut, dass die künstliche Intelligenz noch nicht vollends überall in den Häusern als Monster-Computer durch die Gänge wackelte, oder schlimmer noch, sich in Brillen versteckte, mit der fragwürdigen Möglichkeit, Gedanken zu lesen, sonst würde ihm die Frau jetzt eins mit dem Nudelholz über den Kopf geben, angesichts seiner, wie ihm wohl klar war, frauenfeindlichen Gedanken.
Er blickte geradewegs in die Augen der Frau, sofern man die dunklen Schlitze Augen nennen wollte. Wieder zuckte sie mit keinem Wimpernschlag. Von Kindlichkeit keine Spur. Die Frau, die sich bei ihm bewerben wollte, war eine gestandene Erwachsene mit Erfahrung und Selbstsicherheit. Er schwankte, ob er das als Pluspunkt oder doch lieber als Minuspunkt geltend machen sollte. Er flog auf helle Kulleraugen. Eindeutig Minuspunkt!
Ihre – noch verbliebenen – Haare waren tiefschwarz. Das Wort Frisur konnte man sich bei dem Schnitt schenken.
»Kommen Sie rein.« Der Klang seiner Stimme ließ niemanden darüber im Unklaren, dass er hier der Chef und nicht etwa der Bürodiener war. Er drehte sich um und ging ihr voraus durch das Sekretariat in sein Büro. Es wirkte mit den stilvollen Regalen, dem dunklen Schreibtisch mit der grünen Schreibunterlage aus Leder auf dem rostroten Perserteppich, den duftigen Gardinen, die bis auf den Parkettboden reichten, und den schweren grünen Vorhängen, die die Hitze des Sommers und neblige Kühle des Lago ausschlossen, sowie der altmodischen Leuchte mit dem grünen Schirm, die die Lederoberfläche des Schreibtisches ausleuchtete, so behaglich, dass man hätte meinen können, sich im privaten Arbeitszimmer eines Signore zu