Italienischer Traum am Gardasee. Gabriele Raspel
und fiel brüllend in ihr Gelächter ein. Bei diesem Anblick purer Lebensfreude würden sich auf der Stelle bei jeder noch so hartnäckigen Konkurrenz die Gegenargumente in Luft auflösen, sofern diese immer noch vorhanden wären und sie sie nicht schon vorher präzise Punkt für Punkt zerlegt hätte. Ja, diese Frau würde die Gegner aufs Kreuz legen. Genau das, was er brauchte!
»Ich bitte nochmals um Entschuldigung«, sagte sie nach einer Weile und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
Er überlegte, ob sie sich bisher überhaupt zu einer Entschuldigung hatte hinreißen lassen. »Geschenkt.«
Wieder erschien ein flüchtiges Rot auf ihren Wangen. »Aber ein wenig mehr Höflichkeit dürfte man wirklich erwarten«, sagte sie mit fester Stimme, das Kinn erhoben.
»Was hab ich denn falsch gemacht in Ihren Augen?«, erkundigte er sich neugierig.
»Da gäbe es so einiges.«
Er hob interessiert die Brauen. »Was?«
»Nun ja, hier in Ihren Büroräumen ist es nicht sehr warm. Trotzdem bietet man einer Dame zu Beginn eines Gesprächs an, sich ihres Mantels zu entledigen.«
»Capito. Noch mehr?«
»Si.«
»Nun machen Sie schon, mir knurrt der Magen«, brummte er.
»Zum Zweiten bietet man einer Dame den Stuhl an und befiehlt nicht mit Kommandostimme, sich zu setzen.«
Er stellte das Glas Wasser zurück, ohne einen Schluck getrunken zu haben. »Wie anders, zum Teufel, soll ich einer Dame denn bedeuten, sich zu setzen?«, fragte er konsterniert.
»Ohne jetzt auf Ihr zum Teufel einzugehen, könnte man zum Beispiel sagen: ›Bitte nehmen Sie Platz‹, und dann weist man auf den Stuhl, auf dem die Person Platz nehmen soll. Und wenn man sich in einem Restaurant befindet und kein Kellner in der Nähe ist, der einen zum Tisch geleitet, rückt man ihr freundlich den Stuhl zurecht, auf den sie sich dann setzen wird.«
Gott, diese Frau war schlimmer als eine Gouvernante. Zudem vielleicht doch eine Mimose! Wie hatte er sich nur dermaßen in ihr täuschen können? Die war ja schlimmer als Eva. »Sonst noch was?«
»Also wenn Sie so fragen, dann würde ich ganz allgemein den Befehlston etwas abmildern«, entgegnete sie.
Die Milde in ihrer Stimme, die jedoch nicht den unbezwingbaren Willen verstecken konnte, der dahinter lauerte, ließ auf der Stelle das Bild seiner Großmutter väterlicherseits vor seinen Augen erscheinen. Teufel noch mal, dieses Weib könnte ihre Tochter sein, genauer, ihre Enkelin.
Er fixierte sie durchdringend und wieder hielt sie seinem Blick stand. Ihr Gehabe brachte ihr Minuspunkte, mehr als genug. Eindeutig. Sie waren doch hier nicht im Kindergarten. Andererseits, so ein bisschen war vielleicht dran an ihrem Getue. Er hatte vor allem zu Beginn seines beruflichen Aufstiegs tatsächlich manches Mal auf dem gesellschaftlichen Parkett feststellen müssen, wie einige der staubtrockenen Ladys – vor allem in England und Frankreich – die Nase rümpften, wenn er sich augenscheinlich daneben benommen hatte – was ihm erst später bewusst geworden war. Und eigentlich vermeinte, überwunden zu haben. Aber schließlich war er nicht auf irgendeinem pompösen Schloss groß geworden, wie wahrscheinlich ihr Herr Papa, sondern in einer Limonaia, wo man mit seiner Hände Arbeit die Früchte erntete, von Sträuchern, die man mit Liebe über den Winter gebracht hatte. Eine Arbeit, die ihn zutiefst befriedigte und die er so oft vermisst hatte. Das Speisen in eleganten Hotels, überhaupt die ganze vornehme Welt, waren erst später hinzugekommen. Und außerdem sollte die feine Gesellschaft sich bloß zurückhalten: Das ungehörige Auftreten mancher Reicher war ihm zutiefst zuwider. Im Vergleich zu denen war jeder Arbeiter in einer Limonaia kultivierter als diese Herrschaften. Das Getue um die Reichen hatte unter anderem zu dem Entschluss geführt, seine Lebenssituation ab jetzt von Grund auf zu verändern. Und dazu benötigte er eine brauchbare Sekretärin. Eine wie diese Frau, wie er unwillkürlich zugeben musste.
Er bemerkte, wie sie die Pflanze auf dem breiten Fensterbrett anschaute. »Ein prächtiger Elefantenfuß«, sagte sie mit Bewunderung in der Stimme.
»Richtig. Findet man eigentlich selten«, erwiderte er.
»Ich weiß. Ich habe auch einen, aber Ihrer ist noch um einiges älter«, stellte sie mit einiger Begeisterung fest.
Pluspunkt. »Den hat mir meine Schwester Edina vor Jahren nach einem heftigen Streit geschenkt. Er erinnere sie an mich, fand sie«, grinste er.
»Wieso das?«, kam die erstaunte Rückfrage, die jedoch gespielt war, wie er sofort erkannte.
»Der Fuß … Sie ahnen, warum.«
»Äh … nicht direkt. Okay, ja«, gestand sie dann lachend.
»Exakt. Der Elefant im Porzellanladen.«
»Aber … Haare besitzen Sie ja eigentlich noch genug.« Augenzwinkernd wies sie auf die dichten, schmalen, überhängenden Blätter.
»Das will ich meinen«, sagte er streng und fuhr sich mit den Fingern durch die tatsächlich dichte Pracht. »Nein, die Blätter, meint sie, wären meine Antennen. Ich bin ziemlich empfindsam, auch wenn man es mir nicht auf den ersten Blick anmerkt.«
»So, so.«
So, so! Wieder eine Antwort, die ihm nicht so recht behagte, schon gar nicht der Hauch von Ironie, der darin mitschwang. Etwas mehr Gefühl könnte man sich wohl wünschen. Aber egal. Sie beide waren keine Betschwestern, sondern hier ging’s ums Geschäft.
»Ich würde vorschlagen, wir gehen jetzt nach nebenan und essen einen Happen. Und dann sehen wir weiter.« Mit diesen Worten erhob er sich und wandte sich zur Tür. Sie folgte auf dem Fuße. »Mais je vous en pris, après vous«, sagte er charmant, öffnete die Tür und ließ sie vorausgehen. Sie trat an ihm vorbei zur Bürotür, die er wiederum für sie öffnete. Er schnappte sich seine Jacke und dann eilte er ihr voraus auf die schmale Straße.
Sie blieben stehen. »Es ist immer wieder wunderschön.« Seine zukünftige Assistentin – da war er sich plötzlich vollkommen sicher – breitete die Arme aus und bemerkte mit Andacht in der Stimme: »Der Lago und sein Licht – unvergleichlich. Gerade jetzt im Spätherbst muss man lange suchen, um einen solch herrlichen Flecken Erde zu finden. Und der entzückende Blick auf Limones Altstadt – ich war viel zu lange nicht mehr hier. Und dann die Olivenhaine und die Limonaie – diese tollen Gewächshäuser kenne ich nur von hier.«
»Ja, und das ist auch der Grund, weswegen ich mich beruflich verändern werde«, nickte er.
»Ach, ja?«
»Ja.« Er deutete auf die gewaltige Anlage, wo sich die Terrassen, die sogenannten Còle, den Hang hinaufzogen, mit dem Geräteschuppen, dem Casèl, in der Mitte. »Die Limonaia gehört uns, vielmehr meinem Vater, aber ich werde sie im nächsten Jahr übernehmen, um die Tradition am Leben zu erhalten. Er beherbergt in seinem Garten tolle, sehr große Pflanzen von Zitronen, Zitronatzitronen, Bitterorangen, Clementinen und Kumquats. Ich habe schon mit einigen Restaurants Kontakt aufgenommen. Man wird künftig alle unsere Früchte beziehen. Und das zu unserem Preis. Einem stolzen Preis, den der Normalsterbliche heute nicht mehr bereit ist, zu zahlen. Mein Vater weiß noch nichts von seinem Glück«, schmunzelte er. »Es wird mein Weihnachtsgeschenk für ihn. Außerdem muss ich mich erst noch von meinem alten Leben verabschieden, wozu ich Ihre Hilfe benötigen würde – falls ich mich für Sie entscheide«, konnte er sich nicht verkneifen, hinzuzusetzen.
Sie schüttelte den Kopf. »Auch wenn Sie sich nicht für mich entscheiden sollten – was ich für einen Fehler halte …« Ihre Augen blitzten ihn einen Moment schelmisch an, »… so bedauere ich es nicht, hergekommen zu sein. Allein der kleine Hafen ist einen Besuch wert. Mein Vater hat ihn oft gemalt, aber nichts kommt der Natur gleich.«
Er wies auf den großen Garten den Hügel hinauf. »Kennen Sie sich aus mit den Gewächshäusern?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, nicht besonders. Ich weiß nur, dass Limone nicht wegen der Zitronen seinen Namen erhielt, mehr aber auch nicht.«