Maria Rosenblatt. Corinna T. Sievers

Maria Rosenblatt - Corinna T. Sievers


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      Corinna T. Sievers

       MARIA ROSENBLATT

      Roman

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      Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg

      Schützenstraße 49 a · D-22761 Hamburg

       www.edition-nautilus.de

      Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2013

      Originalveröffentlichung · Erstausgabe August 2013

      Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg

       www.majabechert.de

      Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza

      1. Auflage

      Print ISBN 978-3-89401-779-8

      E-Book EPUB ISBN 978-3-86438-142-3

      E-Book PDF ISBN 978-3-86438-143-0

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      Dunkelheit hinter den Lidern, die Hand auf dem Oberschenkel des schlafenden Mannes.

      Sie lag seit einer Stunde wach. Zeit aufzustehen, sie erhob sich, schlich zur Badezimmertür, drückte die Klinke herab, schaltete das Licht an.

      Vor dem Spiegel. Augen groß und schwarz und bodenlos, die Oberlippe voll und geschwungen, Entschädigung für den Höcker auf der Nase, im Gesicht eine Falte, von der linken Augenbraue bis zum Haaransatz.

      Sie stellte den Wasserhahn an, der Strahl hart und kalt, massierte ihre Stirn, die Falte blieb, jeden Morgen ein paar Minuten länger.

      Sie griff in die Schublade, fuhr mit der Bürste durch das Haar, warf es zurück, nahm den Mascara, tuschte die Wimpern, dreimal, viermal, bis sie tiefschwarz waren, lang wie Spinnenbeine.

      Nebenan im Ankleidezimmer schlüpfte sie in ein Höschen, neu und aus roter Spitze. Hannes würde es nicht bemerken, er hat aufgehört, auf ihre Signale zu achten.

      Sie zog den Morgenmantel über, Samt, sein Rot etwas tiefer als das des Höschens, der Gürtel verknotet an ihrer schmalen Taille. Aus dem Schlafzimmer Hannes’ Schnarchen, zwei Bier am Abend und seine Zunge sinkt in den Rachen, das pfeifende Luftholen. Manchmal wünscht sie sich, es bliebe aus, doch es kommt, sieben Mal pro Minute, vierhundertzwanzig Mal pro Stunde, dreitausenddreihundertsechzig Mal pro Nacht.

      Maria schloss die Tür, wandte sich um, betrat das Zimmer der Kinder, blieb vor dem Bett stehen, beugte sich über die Schlafenden, sog die Luft ein. Das Mädchen roch nach Schokolade, der Junge nach Lakritze; sie schliefen auf einer Matratze, im Traum zusammengerückt.

      In zehn Minuten würde sie den Jungen aus dem Bett heben, ihn schlafend ins Badezimmer tragen, bereitmachen für den Tag. Das ist sein Privileg, sie nimmt ihm das Aufstehen ab. Er ist acht.

      Sie liebkoste ihn, bewunderte seine kleinen Ohren, die runde Nase, seine Schönheit. Langsam wurde er wach, neugierig auf den Tag, und Maria dachte: Lieber Gott, mach, dass er ein gutes Leben hat.

      Wenn er auf den Weg gebracht ist, mit seinem großen Schulranzen auf die Straße getreten, kommt das Mädchen an die Reihe, es hüpft aus dem Bett, ist fünf und geht noch in den Kindergarten, das Haar zu Zöpfen geflochten, es will von Prinzessinnen und Prinzen hören und ob es auch einen bekäme, wenn es groß ist; natürlich, Kind, einen Prinzen, wie Papa einer ist.

      Dann steht Hannes auf, ein wenig gekrümmt schon, die Konturen verwaschen, die Haut hat begonnen, sich von dem darunterliegenden Bindegewebe zu lösen. Sein Geschlecht ist groß, was sie früher erregt hat; wenn sie masturbiert, denkt sie noch immer daran. Indessen hat es seinen Betrieb eingestellt.

      Maria ging in die Küche, entzündete ein Streichholz, hielt es an die Kerze auf dem Küchentisch, stellte das Radio an, Händel, dann die Kaffeemaschine.

      Es gibt Tage, da hindert ihre Wehmut sie am Gehen, am Essen, am Atmen, plötzlich war sie da und hat sich nicht mehr vertreiben lassen. Als Maria bewusst wurde, wann Hannes das letzte Mal mit ihr geschlafen hatte – bei der Zeugung ihrer Tochter –, wich die Leichtigkeit aus ihrem Leben; sie fühlte sich ausgeblutet.

      Sie bereitete das Frühstück der Kinder, Marmeladenbrötchen, heißer Kakao, im Radio beklagte Alcina den Verlust ihrer einzigen Liebe Ruggiero, wenigstens liebt Alcina, dachte Maria, was ist größeres Leid, wahnsinnig zu werden aus Liebe oder weil es sie nicht gibt?

      Die Kinder waren aus dem Haus, Hannes am Frühstückstisch, er hatte die Zeitung entfaltet. Er schätzt es, wenn sie unberührt ist, Maria vermeidet, sie aufzuschlagen, bevor er es getan hat. Einmal, im Sommer, hatte ein Vogel auf die erste Seite geschissen, er mochte auf dem Briefkasten gesessen und gesungen haben, ehe er sein Geschäft machte, Hannes weigerte sich, die Zeitung anzufassen, Maria entfernte den Fleck mit bloßen Händen.

      Jetzt trank er seinen Kaffee in kleinen Schlucken, Maria schob die Hand unter seine, er blickte auf und nickte. Maria blieb sitzen, wartete, dass er begänne, sie zu streicheln, aber Hannes’ Hand lag da wie ein toter Vogel, mit einem Ruck zog Maria den Arm fort.

      Hannes griff mit der befreiten Hand nach seiner Tasse, Maria erhob sich und stieg die Treppe hinauf ins Bad, ihres getrennt von seinem.

      Sie schlang das Haar zu einem Knoten, frische Kleidung hatte sie am Vorabend bereitgelegt, den roten BH, der ihren kleinen Brüsten Fülle gab, ein kurzes, tief ausgeschnittenes Kleid aus violettem Samt, darunter blickdichte Strümpfe. Für den Fall, dass der neue Staatsanwalt sich vorstellen würde: ins Köfferchen eine weiße, hochgeschlossene Bluse, einen dunkelblauen Rock, der über die Knie reichte.

      Es wurde Zeit zu gehen, doch vorher noch einen Walzer auf dem Klavier, sie setzte sich an den Flügel, schlug das Notenheft auf, begann zu spielen, Chopin, Valse in cis-Moll, der Lack an ihren Fingernägeln glänzte matt.

      Der letzte Akkord cis-Moll, aber Maria spielte ein Eis statt eines Es, ließ den Walzer in Dur enden statt in Moll, hinunter in die Küche, Hannes über das lichte Haar fahren, der war noch immer über seine Zeitung gebeugt. Maria: Sie müsse gehen.

      Hannes begann, die Zeitung zusammenzufalten und glatt zu streichen, und wieder das alte Thema: Er sähe es lieber, wenn sie zuhause bliebe, er habe genug geschafft in seinem Leben für die Familie, sie haben doch alles, was man braucht. Maria: »Ich brauche die Welt da draußen«, in Gedanken: In Wirklichkeit bin ich auf der Flucht, ich weiß nur nicht, wovor. Hannes erwiderte, sie arbeite sich noch zu Tode, etwas stimme nicht mit ihrer work-life-balance. Selbst an den schönsten Stränden der Welt renne sie stundenlang und liege hinterher halbtot auf dem Rücken im Sand. Maria zu sich: Zwischen meinen Brüsten ein winziger See von Schweiß, aber das siehst du nicht, zu Hannes sagte sie: »Eher mit meiner work-love-balance«, sie betonte das Wort love, damit Hannes der Sinn nicht entginge, doch der hatte ohnehin verstanden, er ist ein aufmerksamer Zuhörer.

      Im Flur standen ihre Stiefel, fünf Paar nebeneinander, Brauntöne von Haselnuss bis zu dunkler Schokolade, sie stieg in die kniehohen und nahm ihre Aktentasche, auch davon besaß sie fünf in zugehörigem Ton. Sah nach in der Tasche, ob die Mappe da war, Kinderpornographie im Internet, die hatte sie am Vorabend noch einmal durchsehen wollen. Aber sie war eingeschlafen zwischen Heinrich und Elisabeth, und als sie gegen halb zwölf aufwachte, zog sie um in das Ehebett. Hannes, mit einem Kissen im Rücken, Schopenhauer vor der Nase, seinem Bruder im Geiste, wie er sagte, warf Maria einen Blick zu, er habe schon gedacht, sie käme nicht mehr. Maria wusste nicht, was antworten, sie legte die Akte in ihren Schoss und begann zu blättern.

      Erst gestern hatte sie den Fall an sich gezogen, den Oberstaatsanwalt bedrängt, das sei Frauensache, auf seine Nachfrage, wie sie darauf käme, sagte sie, die Opfer seien fast ausschließlich Mädchen. Der Oberstaatsanwalt hatte mit den Schultern gezuckt, das nenne er weibliche Logik.

      Das


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