Das Corona-Buch. Mathias Scheben

Das Corona-Buch - Mathias Scheben


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macht uns nicht einmal froh, wenn wir ehrlich mit uns sind. Wenn die Angeber unter uns wüssten, wie sie mit ihrem Gehabe und Getue belächelt und verlacht, in krassen Fällen auch verachtet werden, dann würden sie sich vielleicht bescheiden. Zumindest würden sie sich nicht mehr protzprollig zeigen, weder im wirklichen Leben noch auf Fotos im Internet.

      Der britische Bestsellerautor, Unternehmer und Philosoph Alain de Botton sagt in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ): „Viele Menschen stellen ausgerechnet jetzt fest, dass wir viele Dinge gar nicht brauchen für unser Leben. So viel von unserem Konsum basiert darauf, dass wir respektiert werden wollen, wir wollen gemocht, bewundert, geschätzt und anerkannt werden von eigentlich Fremden.“ Wir denken darüber nach und beschließen: Wir wollen von uns selbst respektiert, gemocht, bewundert, geschätzt und anerkannt werden. Das muss reichen!

      Wir können oft gar nicht mehr genießen, was wir uns kaufen. Also sparen wir uns das, das Kaufen. Anstatt mit Verschwendung zu protzen, sollten wir uns angesichts des Elends in der Welt um uns herum fürs Verschwenden und Verschleudern schämen und vom Luxus lassen. Eine erhöhte Mehrwertsteuer auf Luxuswaren würde den Trend stützen und ein wenig helfen, die in der Krise aufgenommenen Staatsschulden zurückzuzahlen – auch wenn wir Steuererhöhungen hassen. Sogar Modemacher Giorgio Armani vermutet, dass Corona das Denken vieler Menschen nachhaltig ändern werde. Nicht nur in der Mode erwartet er eine Umkehr, sondern auch in anderen Bereichen.

      Die italienische Zeitung „La Stampa“ zitiert ihn mit dem Satz: „Ich denke nicht nur an die Werte, die mit dem Familienleben verbunden sind, sondern auch an Höheres wie Mut, Solidarität und Opferbereitschaft.“ Weniger Tempo, mehr Qualität und Tiefe, das sei die künftige Richtung, mutmaßt der 85-Jährige. So klingt Verzicht, der nützt und glücklich stimmt.

      Glück und Zufriedenheit sind eh schwer zu messen. Der Slogan „Immer mehr und immer besser“ führt ins Nichts, denn ihm fehlen Maß und Zeitpunkt. Wir sollten uns jetzt endlich besinnen und den anfangs beschriebenen Zettel zur Hand nehmen und in den Notizen notfalls nachbessern. Es ist nie zu spät, ein seriöses, respektiertes und von Ballast befreites Leben zu führen.

      Apropos seriös: Lassen wir uns von denen, die sich da als „Influencerin“ und „Influencer“ auf den Bildschirmen unserer Handys schönmachen, nicht bedrängen. Diese – meistens jungen – Leute versuchen, ihr Leben ohne traditionelle Arbeit zu gestalten, indem sie im Internet Produkte „toll“ und „geil“ finden. Sie werden bezahlt von den Marketingabteilungen und Werbeagenturen der Hersteller, und das nicht zu knapp. Je nach Anzahl der Klicks oder nach Umsatz, wie auch immer, kommt Geld in ihre Kasse. Warum schauen wir uns dieses Getue an, warum folgen wir immer wieder diesem vordergründigen Werbequark?

      Wir erinnern uns der Marktschreier, die auf Volksfesten Obst und Topfpflanzen verramschen. Sie sind vielleicht das (analoge und obendrein wirklich charmante) Vorbild für die jetzt übergeschminkten Gesichter auf dem Smartphone-Display. Ein Erlebnis sind auf dem Jahrmarkt auch die Vorführungen unübertrefflicher Fensterscheibensauberwischtinkturen oder von Gemüsehobeln aus buntem Hartplastik, mit dem Zusatzknubbel zum Schutz der Fingerkuppen. Die halten dank des Knubbels wirklich Jahre lang – die Fingerkuppen, mit denen wir auf dem Handy herumdrücken.

      Nun also die digitale Variante. Deren Protagonisten beiderlei Geschlechts suchen und besuchen wir nicht, diese „Youngster“ suchen uns heim. Wie kommen wir dazu, den von der Umsatzprovision befangen gemachten Werbetrommlern Auge und Ohr zu schenken, ihnen wohl auch noch zu glauben und sie vielleicht sogar nachzuäffen? Virales Marketing in allen Facetten ist nicht strafbar, aber wir müssen uns das nicht antun. Seien wir keine „Follower“, zu Deutsch „Mitläufer“, „Nachahmer“, „Jünger“. O Gott!

      Dieses grassierende Gewerbe schwamm bislang auf der Welle des selbstverständlich gewordenen Luxus, verbunden mit der Vermutung geistiger Leere. Es ist so überflüssig wie ein Kropf. Wir sollten mehr die Frage nach dem Eigeninteresse des Influencers stellen und prüfen, warum wir ihm oder ihr glauben sollten: Ein Influencer will Einfluss nehmen, der englische Begriff sagt es schon. Es mag den Machern eine Berufung sein, ein Beruf ist das nicht. Das kann man angeblich inzwischen sogar „lernen“, Angebote gibt es dazu im Internet. Zu viel Oberflächlichkeit gibt Pickel. Wir folgen keinen Interessen, wir entwickeln sie uns selber.

      Für sachliche Informationen über Produkte der verschiedensten Art gibt es die „Stiftung Warentest“ mit ihrer Zeitschrift und die ortsnahen Verbraucherzentralen. Über Modisches berichten Printmedien und das Fernsehen, Kataloge kommen ins Haus, und die Städte haben Schaufenster mit Modegeschäften hintendran. Man muss nur hingehen, wie zum Jahrmarkt.

      Für technische Gebrauchsgüter gilt das Gleiche. Die Zahl aufklärerischer Verbrauchersendungen im Fernsehen, von echten Journalisten gemacht und ohne Schleimerei moderiert, ist nahezu unübersehbar. Da geht es um oft unbequeme Wahrheiten zu Reiseangeboten, Lebensmitteln, Versicherungen, Mietverträgen und vielem mehr, was uns für die Bewältigung des Alltags wichtig ist.

      Wenn wir nach Corona achtsamer, bedachtvoller und liebevoller mit uns umgehen wollen, dann gehört für uns die Konzentration auf das Wesentliche im Leben dazu. Influencerinnen und Influencer aber sind nicht wesentlich, sie sind eine unerfreuliche Nebenwirkung eines überkommenen Konsumdenkens, das wir uns abgewöhnen wollen. Klappen wir das Smartphone zu, wenn uns mal wieder jemand von dieser Sorte über den Weg läuft und atmen wir durch: „Ciao, ich brauche dich nicht!“ Wir ersparen uns auf lange Sicht etliche Stunden sinnlos verbrachter Zeit.

      

      Kaum noch Kauferlebnisse in den Innenstädten: Neue Ideen für die „City“

      Unser individuell-rationales Kaufverhalten der Zukunft wird den auf Kauferlebnis getrimmten Innenstädten nicht gut bekommen: Die Leerstände werden zunehmen, die klassischen Einkaufsmeilen werden weiter veröden. Professor Thomas Krüger, Stadtplaner von der Hafencity Universität Hamburg, hatte in einem Interview mit dem Nachrichtensender n-tv ganz klare Vorstellungen: Um die Innenstädte zukunftssicher zu machen, müssen die Lokalpolitiker vor Ort das Heft des Handelns – nicht des Handels – in die Hand nehmen.

      Sicher werde es eine Zeit brauchen, bis sich bei der Mehrzahl der Immobilienbesitzer die Einsicht durchsetze, dass der Einzelhandel in der Stadt jetzt und künftig, und auf ewig, Not leiden wird und die den Eigentümern bislang gezahlten Pachtbeträge den Händlern nicht mehr zuzumuten sind. Statt immer wieder nach neuen Einzelhändlern für ihre leeren Flächen zu suchen, sollten die Gebäudeeigner mit Hilfe der Städte Umnutzungen ermöglichen: In bislang „monofunktionale Einkaufsinnenstädte“ gehörten Kitas, Schulen vom Stadtrand ins Zentrum, auch Hochschulen aller Art und Universitäten. Krüger empfiehlt, auch Einrichtungen des Gesundheits- und Kulturbereichs in die City zu lotsen und – nicht zuletzt – unnütz gewordene Handelsflächen in Wohnungen umzuwidmen. Dazu sollten sich kleine Geschäfte gesellen, Gastronomie, Dienstleistungsbetriebe.

      Natürlich hat es die zunehmende Verödung von Innenstädten schon vor Corona gegeben, das weiß auch der Stadtplaner. Professor Krüger verweist aber darauf, dass sich durch die Corona-Folgen die seit Langem schon „anhaltenden Tendenzen im Einzelhandel dramatisch beschleunigen“. Vor allem der Handel mit Bekleidung habe durch den Lockdown enorme Verluste erlitten, da er auf der gesamten Frühjahrs- und Sommerkollektion sitzengeblieben ist.

      Krüger: „Auch nach der Krise werden die Menschen nicht in derselben Zahl wie zuvor in die Zentren zurückkehren. Wozu auch? Viele haben sich an den Onlinehandel gewöhnt, aber auch an das Homeoffice.“ Das führe dazu, dass sich weniger Menschen in der Pause oder nach der Arbeit in der Innenstadt aufhalten und einkaufen. Wenn niemand den Mut für neue Konzepte hat, dann „verlieren die Zentren nicht nur an wirtschaftlicher Bedeutung, sondern auch in ihren kulturellen Werten als Orte, an denen wir uns als Gesellschaft zusammen aufhalten und begegnen.“ Eine Pleitewelle im Handel scheint unvermeidlich.

      

      Abstand mit Anstand

      

      Weil zu viel Nähe uns von uns selbst entfremdet

      Leben wir das persönliche Optimum beim Pendeln zwischen Nähe und Distanz? Das uns in der


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