Kalte Nacht. Anne Nordby

Kalte Nacht - Anne Nordby


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denkt. »Ihr müsst vorsichtig sein, sonst fängt das ausgelaufene Benzin Feuer.«

      Einer der Männer hebt die Hand, und die Winde stoppt. Danach legt er sich unter den Volvo, um zu sehen, was da schleift. Zwar haben sie vorher Sand ausgestreut, die Feuergefahr ist dadurch jedoch nicht gebannt. Zudem haben sie an mehreren Stellen neben der Straße mobile Flutlichter aufgestellt, damit sie am Unfallort besser arbeiten können. Mittlerweile ist es 23 Uhr, und am nordwestlichen Horizont leuchtet der rötliche Schimmer der Sonne, obwohl der Mittsommer, der Scheitelpunkt des Jahres, längst überschritten ist. Bald wird es Herbst, denkt Maja wehmütig, und dann folgt der Winter mit seinem Schmuddelwetter. In Südschweden ist die kalte Jahreszeit leider alles andere als der romantische Traum von Puderschnee und kristallklaren Frostnächten mit Polarlicht wie oben im Norden. Blekinge liegt nicht nördlicher als Mitteldänemark.

      Der Mann von der Straßenwacht hat das Metallteil unter dem Auto mittlerweile entfernt, und der Volvo kriecht wieder auf den Abschleppwagen zu, diesmal ohne Funken zu verursachen. Maja hört, wie sich jemand hinter ihr leise räuspert, und dreht sich um. Es ist der Sanitäter vom zweiten Rettungswagen, der weiterhin am Straßenrand wartet. Auf seinem Gesicht zeichnet sich Müdigkeit von zu vielen Stunden Dienst ab. Maja kennt ihn von anderen Einsätzen.

      »Wann kommt denn der Leichentransport?« Es ist klar, dass er Feierabend machen will, doch die beiden Toten befinden sich in seinem Fahrzeug.

      »Der müsste eigentlich längst vor Ort sein. Ich hatte ihn vor einer Stunde angefordert.« Maja blickt auf die Uhr. Verdammt, warum müssen sich die Jungs vom Bestatter immer so viel Zeit lassen? Sie kann schon jetzt deren Kommentar hören: »Tote haben’s nicht eilig! Hahaha!«

      »Tut mir leid, aber so lange musst du noch warten«, sagt sie zum Sanitäter, der matt nickt.

      »Die armen Verwandten«, entgegnet er und blickt dabei hinaus in die Nacht.

      Ja, denkt Maja, und wir müssen sie benachrichtigen. Sie sieht den Sanitäter von der Seite an. Der seufzt tief. Die Reflektorstreifen auf seiner Jacke leuchten grell im Schein der Flutlichter.

      Majas Chef Göran tritt zu ihnen. Seine Befragung hat anscheinend ein Ende gefunden. »Was ist? Habt ihr beiden ’ne Theorie?«

      Der Sanitäter schüttelt den Kopf.

      »Vielleicht ein geplatzter Reifen? Der rechts vorne ist platt«, sagt Maja.

      »Das kann auch beim Unfall passiert sein«, entgegnet Göran. »Wird die Untersuchung zeigen. Aber es passt nicht zu dem toten Mädchen auf dem Rücksitz, oder?«

      Maja brummt als Antwort, damit Göran nicht hört, dass sie einen Kloß im Hals hat.

      Zum Glück wendet er sich wieder an den Sanitäter. »Und es ist sicher, dass das Mädchen auf dem Rücksitz schon vor dem Unfall tot war?«

      »Das ist zumindest gegenwärtig die vorsichtige Einschätzung des Notarztes.«

      »Gegenwärtig, vorsichtig … Geht’s etwas exakter? Fakten, Fakten, mein Freund.«

      Der Sanitäter verschränkt die Arme vor der Brust. Schützt sich instinktiv gegen die Alphatier-Wellen, die Göran aussendet. Mit seinem CSI-Gehabe kann einem der Herr Polizeiinspektor manchmal richtig auf den Nerv gehen, denkt Maja.

      »Fakt ist«, sagt der Sani ruhig, »dass ich kein Gerichtsmediziner bin und deshalb keine Aussage treffen kann. Das gilt jetzt also nur unter uns: Ja, der Notarzt und ich haben gesehen, dass der Körper des älteren Mädchens Leichenflecken und beginnende Totenstarre aufweist. Außerdem war das Blut an der Kopfverletzung längst getrocknet.«

      »Shit! Das macht die Sache kompliziert.«

      Oh ja, denkt Maja, kompliziert. Das ist das Gegenteil von Görans Denkprinzipien. Keep it sweet and simple.

      »Vielleicht war es ein erweiterter Suizid«, mutmaßt sie. »Der Vater hat erst die ältere Tochter umgebracht und dann den Wagen gegen einen Baum gesetzt. Frage mich wirklich, wo die dazugehörige Mutter ist. Wir sollten auf jeden Fall jemanden von der Kriminaltechnik hinzuziehen.«

      Zwei Scheinwerfer tauchen in der Ferne auf, wenig später gleitet ein langgezogener Wagen aus der Nacht heran und hält neben ihnen im hellen Strahl der Flutlichter. Ein Mann in Overall steigt aus. »Guten Abend allerseits.« Er tippt sich an die Baseballkappe mit dem Logo eines Bestattungsunternehmens. »Wo ist die Kundschaft?«

      »Zu spät kommen und dann noch blöde Sprüche klopfen!« Maja tritt vor den Kerl, der auf sie herabblickt. »Ich bin Polizeiassistentin Lövgren, und ich muss euch mitteilen, dass es eine kleine Planänderung gibt.«

      »Ach ja, und welche?« Der Typ will sich eine Zigarette anzünden, aber Maja deutet auf die Lache neben seinem Fuß. »Benzin!«

      »Oh, verdammt.« Der Kerl wirkt einen Moment verdattert, fängt sich schnell wieder und steckt die Zigarette zurück in seine Brusttasche. »Also, was ist? Kann ich die Leichen mitnehmen? Es sind doch zwei?«

      »Richtig.« Maja wirft Göran einen Blick zu, der bestätigend nickt. »Allerdings sollen die nicht nach Karlskrona gebracht werden, sondern in die Rechtsmedizin nach Lund.«

      »Was? Nach Lund? Jetzt noch?«

      »Korrekt, jetzt noch.« Maja gibt dem Sanitäter einen Wink. Der geht zu seinem Rettungswagen, um beim Umladen seiner bedrückenden Fracht zu helfen.

      »Heilige Scheiße«, brummt der Typ vom Leichentransport und trottet auf das Heck seines Wagens zu. Zusammen mit seinem Kollegen zieht er zwei Zinksärge aus dem Laderaum und trägt sie zum Rettungswagen.

      Mittlerweile ist der Volvo auf den Abschleppwagen verladen worden und festgezurrt. Göran ordnet an, das Unfallauto vorsichtshalber bei der Kriminaltechnik in Karlskrona abzuliefern. Sollte sich herausstellen, dass das Mädchen vom Rücksitz tatsächlich vor dem Unfall tot war, ist das hier wohl mehr als nur ein tragisches Verkehrsunglück.

      Maja stößt einen Seufzer aus und beobachtet einen der Männer von der Straßenwacht dabei, wie er Glassplitter, Sand und die restlichen Trümmerteile zusammenfegt, während Göran mit dem Fahrer des Abschleppwagens spricht. In weiser Voraussicht haben sie von allem genug Fotos gemacht und alle relevanten Stellen auf dem Asphalt mit Sprühfarbe markiert. Sollte es nötig sein, ihre Untersuchungen vertiefen zu müssen, würden sie alles wiederfinden.

      Nachdem sie die Flutlichter und Pylonen abgebaut haben, können sie diesen unseligen Ort endlich verlassen. Doch Maja bezweifelt, dass es das für heute gewesen ist. Die eigentliche Arbeit würde jetzt erst beginnen. Sie müssen die Mutter der beiden Mädchen ausfindig machen. Bei diesem Gedanken zieht sich alles in ihr zusammen.

      4

      »Tom, da ist ein Polizist aus Schweden am Telefon. Das fällt in dein Ressort.«

      »Okay, stell ihn durch.«

      Der norwegische Kollege Jens Fram drückt einen Knopf, und Skagen nimmt den Hörer ab. »Skanpol, Tom Skagen am Apparat?«

      »Polizeiinspektor Göran Berg. Dienststelle Karlskrona, guten Morgen«, meldet sich eine Stimme in holprigem Englisch.

      »Hej. Hur kan jag hjälpa dig?« Mühelos wechselt Skagen auf eine gemeinsame Sprachebene.

      »Oh, Sie sprechen Schwedisch?«

      »Mein Vater ist Schwede.«

      »Schön, dann muss ich mein Anliegen ja nicht zum x-ten Mal auf Englisch herunterleiern. Bei euch kommt man sich vor, als würde man den Präsidenten der Vereinigten Staaten anrufen. Bis man da die richtige Stelle am Apparat hat …«

      »Wir haben nun mal mehrere Abteilungen«, entgegnet Skagen ruhig.

      »Aber Sie gehören doch zur Polizei in Hamburg?«

      »Nein, Skanpol ist eine eigenständige Einheit, besser gesagt eine Untergruppe von Europol. Wir sind für grenzübergreifende Konflikte zwischen Skandinavien und Deutschland zuständig. Allerdings befindet sich unser Büro im selben Gebäude wie die Polizei von Hamburg und das Landeskriminalamt.


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