Kalte Nacht. Anne Nordby

Kalte Nacht - Anne Nordby


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in Hultsjö, das liegt 30 Kilometer nördlich von Karlskrona. Sehr ländliche Gegend.«

      Skagen kennt den besagten Landstrich, er ist dort aufgewachsen. Während Kriminalinspektor Berg erzählt, öffnet er auf dem Computer eine Karte vom südöstlichsten Zipfel Schwedens.

      »Bei dem Unfall gestern sind zwei Menschen ums Leben gekommen. Ein 49-jähriger Deutscher und eine Jugendliche, vermutlich die Tochter des Mannes. Ein zweites Mädchen wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Der Zustand der Kleinen ist noch immer kritisch, die Unfallursache bisher unklar. Wir haben beim Fahrer einen Personalausweis gefunden. Der Mann heißt Jochen Nowak und wohnt in Hamburg-Eimsbüttel.« Berg nennt auch die Straße und das Kennzeichen des Fahrzeugs, was Skagen sich notiert.

      »Ist eine schlimme Sache«, redet der Schwede weiter. »Es besteht außerdem Anlass zur Vermutung, dass die Jugendliche, die auf dem Rücksitz lag, schon vor dem Unfall gestorben ist.«

      »Vor dem Unfall? Wie lange?«

      »Wissen wir bisher nicht. Die Todesursache ist ebenfalls noch nicht sicher, obwohl sie eine Kopfverletzung hat. Die Obduktionsergebnisse werden wir frühestens in ein paar Tagen erhalten.«

      »Gibt es eine Ehefrau oder andere Verwandte oder Freunde? Wer war alles mit im Auto?«

      »Nur die genannten drei Personen. Und das ist das nächste Problem. Wir konnten noch niemanden ausfindig machen, mit dem sie vielleicht im Urlaub waren. Im Auto befand sich kein Handy. Leider wissen wir auch nicht, ob die Familie in Hultsjö untergekommen ist oder auf der Durchreise war. Jedenfalls haben wir seit dem Unfall gestern Abend keinen Anruf erhalten. Niemand scheint den Vater und die Kinder zu vermissen. Ich habe einige Kollegen nach Hultsjö geschickt, die werden die Bewohner befragen und die Campingplätze und Ferienhäuser in der Umgebung abklappern.«

      »Wenn das Mädchen schon vor dem Unfall tot war, haben wir es womöglich mit einem …«

      »… Tötungsdelikt zu tun, das weiß ich selbst«, unterbricht der schwedische Polizist gereizt. »Hören Sie mal, ich war die ganze Nacht auf den Beinen. Es wäre schön, wenn Sie für uns herausfinden könnten, ob sich die Mutter in Deutschland aufhält. Es ist zwar gut möglich, dass sie auch tot ist, aber man weiß ja nie. Und vielleicht ermitteln Sie in dem Zuge gleich weitere Angehörige. Das wäre hilfreich. Der kurze Dienstweg sozusagen.«

      »In Ordnung. Ich kümmere mich darum«, sagt Skagen geduldig. »Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Sie haben ja jetzt meine Durchwahl, Herr Berg.«

      »Ja, ja, bis dann.« Kein Danke, kein Auf Wiedersehen. Was für ein unangenehmer Zeitgenosse. Skagen legt auf und fährt sich seufzend über den Bart.

      Neugierig lugt Jens Fram hinter seinem Computerbildschirm hervor. »Was war es denn?«

      Skagen berichtet seinem Kollegen die Ereignisse in Kurzform, und Fram verzieht das Gesicht. »Gar nicht gut.«

      »Kommst du mit dem Oslo-Fall einen Augenblick ohne mich klar? Ich würde gerne überprüfen, ob sich die Frau in Hamburg aufhält.«

      Fram nickt. »Kein Ding. Kümmere dich um die Sache.«

      »Okay, danke.« Skagen zieht seinen Stuhl näher an den Schreibtisch. Skanpol ist eine kleine Abteilung, da müssen sie sich gut absprechen. Außer dem Norweger Jens Fram gibt es noch zwei weitere Kollegen, die Finnin Kaisa Baumann und Jette Vestergaard aus Dänemark, seine Chefin. Alle bei Skanpol sprechen mehrere Sprachen. Eine Voraussetzung, die für ihre Arbeit unerlässlich ist.

      Skagen öffnet die Suchmaske für Kfz-Kennzeichen. Tatsächlich ist der Fahrzeughalter des verunglückten Wagens ein Herr Jochen Nowak, wohnhaft in Eimsbüttel. Die Adresse stimmt mit der überein, die Berg ihm übermittelt hat. Ansonsten keinerlei Einträge zu Nowak bei INPOL. »Jens?«

      »Jo!«

      »Ich fahr mal kurz raus. Sehen wir uns zum Mittagessen in der Kantine?«

      »Warum nicht.«

      Skagen verabschiedet sich und verlässt das Büro. Mit dem Fahrstuhl erreicht er wenig später die Tiefgarage des sternförmigen Gebäudes des Hamburger Polizeipräsidiums am Bruno-Georges-Platz und steigt in seinen Dienstwagen. Zwei Minuten später gleitet der anthrazitfarbene VW Passat hinaus ins grelle Sonnenlicht. Die Temperaturanzeige am Armaturenbrett verkündet unerträgliche 30 Grad im Schatten. Und das bereits um 9 Uhr morgens. Skagen schiebt sich die getönte Brille auf die Nase und stellt die Klimaanlage auf maximale Stärke. Vom Hamburger Stadtteil Alsterdorf bis nach Eimsbüttel ist es mindestens eine halbe Stunde Fahrt.

      Er biegt auf die Straße ein und dreht die Musik lauter. Gerade läuft seine Lieblingsscheibe: Morcheeba mit »Who can you trust«.

      Das vierstöckige Haus in der Emilienstraße, in dem die Nowaks wohnen, wirkt schlicht. Weißer Putz, kleine Balkone und ein wenig Grün vor der Haustür. Skagen lebt seit mehreren Jahren in Hamburg und weiß, dass die Gegend trotzdem teuer ist. Jedoch eher spießig als hip.

      Die Luft ist wie eine dickflüssige Wand, die an ihm kleben bleibt, während er zum Eingang geht. Er drückt auf die Klingel mit dem Namen »Nowak«. Als sich nichts tut, klingelt er bei dem Schild rechts daneben. »Prenzel«, steht darauf.

      »Ja?«, dringt eine Frauenstimme aus der Gegensprechanlage.

      »Verzeihen Sie die Störung, Kriminalkommissar Tom Skagen. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihren Nachbarn, den Nowaks, stellen?«

      Ein kurzes Zögern. »In Ordnung. Kommen Sie in den zweiten Stock.«

      Der Summer ertönt, und Skagen drückt die Tür auf. Oben erwartet ihn eine gedrungene Mittvierzigerin mit einem modischen Kurzhaarschnitt. Skagen zeigt ihr seinen Ausweis.

      »Skanpol? Du liebe Güte. Ist den Nowaks etwas passiert? Die sind gerade in Schweden im Urlaub.«

      »Ist denn die ganze Familie nach Schweden gereist?«

      »Ja, schon …«

      »Also auch Frau Nowak?«, erkundigt sich Skagen, ohne seinen neutralen Ton zu ändern.

      »Ja, Tina. Eigentlich heißt sie Christina.«

      »Wann sind die Nowaks losgefahren?«

      Frau Prenzel überlegt. »Vor gut einer Woche.«

      »Und wie viele Mitglieder umfasst Familie Nowak?«

      »Also, da ist der Jochen, die Tina und die beiden Töchter. Eva-Lotta, die Ältere, sie ist 15 und gut mit meiner Tochter befreundet. Und dann gibt es noch Ronja, sie ist zehn.«

      »Wissen Sie von weiteren Angehörigen?«

      »Mein Gott«, entfährt es Frau Prenzel. »Es ist etwas Schlimmes passiert, so wie Sie reden.«

      »Die Nowaks hatten einen Autounfall«, sagt Skagen ruhig. »Ich müsste Kontakt zu jemandem in der Verwandtschaft aufnehmen.«

      »Ja … natürlich. Ich kenne die Eltern von Jochen. Klaus und Ellen, die wohnen draußen in Bargstedt. Die Eltern von Tina kenne ich nicht. Sie hat keinen Kontakt zu ihnen. Ich weiß auch nicht, warum. Tina redet nicht gerne darüber.«

      Skagen notiert sich alles auf einem Block. »Welcher Arbeit gehen die Nowaks nach?«

      »Jochen ist Lehrer am Gymnasium Kaiser-Friedrich-Ufer in Eimsbüttel, und Tina arbeitet halbtags als PTA in einer Apotheke, solange Ronja in der Förderschule ist.«

      »Wie lange wohnen die Nowaks schon hier?«

      »Bestimmt seit zehn Jahren. Sie sind eingezogen, nachdem Ronja geboren wurde. Seitdem sind meine Tochter und Lola befreundet.«

      »Lola?«

      »Eva-Lotta. Sie nennt sich so, weil sie ihren Namen schrecklich findet. Ihre Eltern sind Fans von Astrid Lindgren. Tja, seinen Namen kann man sich nicht aussuchen, was?« Frau Prenzel zwinkert ihm zu. »Meine Jenny sollte eigentlich mit nach Schweden fahren, damit es Lola dort nicht zu langweilig wird. Lolas kleine Schwester ist ja behindert, müssen Sie wissen, und das ist manchmal ziemlich anstrengend. Für Lola


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