Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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Nach einem letzten Blick in den Spiegel reckte sie das Kinn und trat zurück, hinaus in den heißen Sommerabend. Der Papagei, dem sie immer noch keinen Namen gegeben hatte, schickte ihr ein schrilles Kreischen hinterher. Ihre Yiayia wartete bereits am anderen Ende des Ganges auf sie. Während sie versuchte, das Summen und Brummen tief in ihrem Inneren unter Kontrolle zu bringen, fragte sie sich, ob sie überhaupt dazu imstande sein würde, etwas zu essen.

      Kapitel 13

      Konstantinopel, Juli 1408

      Die Männer waren bereits um die Tafel versammelt, die Speisen aufgetragen, als Olivera und ihre Großmutter die Stube betraten. Verlockende Düfte hingen in der Luft. Aber es war der Anblick ihres Bräutigams, der dazu führte, dass Oliveras Magen sich zusammenzog. Es war beinahe beängstigend, was für Auswirkungen seine Gegenwart auf sie hatte, dachte die junge Frau. Noch niemals zuvor hatte jemand jede Faser in ihr zum Schwingen gebracht und dafür gesorgt, dass ihre Gefühle wild durcheinandertanzten. Sie zwang sich, ihn nicht anzustarren, und ließ den Blick über die übrigen Gäste wandern. Außer Laurenz, ihrem Vater und ihrem Bruder Markos waren der Goldschmied, ein weiterer Mann und ein Priester anwesend. Diesen erkannte Olivera nicht nur an dem gewaltigen goldenen Kruzifix, das von seinem Hals baumelte; sie erinnerte sich außerdem daran, ihn schon öfter im Haus ihres Vaters gesehen zu haben. Als er das erste Mal mit dem Hausherrn in der Badestube der Männer verschwunden war, hatte sie ihre Großmutter nach ihm gefragt. Damals hatte ihre Yiayia eine wenig schmeichelhafte Bemerkung gemacht. Und auch jetzt bedachte sie den Mann mit einem Blick, der ein zarteres Gemüt hätte verwelken lassen. Ohne Zweifel konnte sie ihn nicht ausstehen. Dem Priester schien die offensichtliche Abneigung der alten Frau jedoch nicht das Geringste auszumachen, da er die Frauen mit einem strahlenden Lächeln begrüßte.

      »Die Braut«, stellte er überflüssigerweise fest. Er malte ein Kreuzzeichen in die Luft, als Olivera den Kopf vor ihm neigte. »Gott segne dich, mein Kind«, sagte er.

      Olivera spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich, als sie auf dem Stuhl Platz nahm, den ihr Vater ihr anwies. Anders als beim letzten Mal saß Laurenz ihr heute nicht gegenüber, sondern befand sich direkt neben ihr. Seine Nähe war so überwältigend, dass Olivera Schwierigkeiten hatte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr er sie in seinen Bann zog. Wie gut er roch! Der Duft von Seife, Leder und Wärme ging von ihm aus und stach ihr in die Nase. Ein seltsames Gefühl breitete sich von ihrer Körpermitte her aus, ließ ihre Haut prickeln und die feinen Härchen auf ihren Armen zu Berge stehen.

      »Dir sei, o Gott, für Speis und Trank, für alles Gute, Lob und Dank«, drang die Stimme des Priesters zu ihr vor. Froh darüber, ihre Gedanken auf etwas anderes richten zu können, faltete sie die Hände zum Gebet.

      »Du gabst, du willst auch künftig geben«, fuhr der Priester fort, »Dich preise unser ganzes Leben. Amen.«

      »Amen«, wiederholten die um den Tisch Versammelten.

      Als Olivera die Hände wieder sinken ließ, streifte Laurenz ihren Arm. Etwas, das sich anfühlte wie ein Blitz aus heiterem Himmel, fuhr ihr bis ins Mark. Sie zuckte zurück, als habe sie sich an ihm verbrannt. Doch gleichzeitig wünschte sie sich, er würde sie noch einmal berühren. Hitze übergoss sie, und plötzlich erschien ihr der Raum viel zu warm. Ihr Gesicht brannte, aber zu ihrer grenzenlosen Erleichterung bemerkte niemand, was in ihr vorging. Die Männer waren viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Teller mit Köstlichkeiten zu füllen. Und ihre Yiayia musterte immer noch den Priester, als fürchte sie, er wolle das kostbare Geschirr stehlen. Während die anderen ihre Teller mit Rosmarinhase, gefüllter Wildente, gegrillten Wachteln und mariniertem Fasan beluden, starrte Olivera lediglich auf den funkelnden Rotwein in ihrem Trinkkelch.

      *

      Das Festmahl stellte Laurenz auf eine harte Probe. Einerseits war er seit einigen Stunden der glücklichste Mann auf Erden; andererseits war Oliveras Gegenwart die reinste Folter. Wusste sie denn nicht, wie grausam es war, ein solches Kleid zu tragen? Am liebsten hätte er die anderen aus dem Raum gezaubert, um mit ihr allein zu sein. Um endlich ihren köstlichen Mund zu küssen und all die Dinge zu tun, von denen er seit dem Besuch des Marktes träumte. Er fluchte innerlich, da diese Gedanken die allzu bekannten Folgen hatten. Eine Zeit lang versuchte er, sich auf das Essen zu konzentrieren. Aber sie zog ihn an wie das Licht die Motten. Es dauerte nicht lange, bis er ihr erneut verstohlene Seitenblicke zuwarf. Ihre Haut hatte den Ton heller Haselnüsse, und er fragte sich, ob sich ihre Wangen so seidig anfühlten, wie sie aussahen. Das dunkle Haar schimmerte bläulich. Wie es wohl sein würde, diese Flut zu befreien und die Hände darin zu vergraben? Als sie irgendwann den Kopf wandte, um nach einem Teigfladen mit Sesam zu greifen, sah er, dass ihre Unterlippe leicht zitterte. Offensichtlich hatte auch sie Mühe, ihre Empfindungen im Zaum zu halten! Er biss hastig in ein Stück Fleisch, um die Bilder zu vertreiben, die sich unvermittelt in seinen Kopf stahlen. Wenn er den Ausdruck in ihren Augen richtig gedeutet hatte, begehrte sie ihn genauso wie er sie. Die Bilder wurden deutlicher – so deutlich, dass ihn Philippos’ Frage schuldbewusst zusammenfahren ließ.

      »Wolltest du deiner Braut nicht etwas überreichen?«, fragte der Grieche, nachdem der Nachtisch hereingebracht worden war. Jetzt, wo Laurenz sein zukünftiger Schwiegersohn war, schien die vertrautere Anrede passender. Er deutete mit dem Kinn auf den Goldschmied, den sie am Nachmittag – nach dem Glaser – noch aufgesucht hatten.

      »Ja«, krächzte Laurenz. Er räusperte sich verlegen und griff in die Tasche seiner Schecke. Fahrig zog er ein kleines Holzkästchen hervor und befreite ungeschickt einen mit einem Saphir geschmückten Goldreif daraus.

      Einige Augenblicke lang drehte er ihn hin und her, dann wandte er sich an Olivera. »Zum … Zum Zeichen meiner Liebe überreiche ich dir diesen Ring«, stammelte er. Die Worte klangen peinlich platt in seinen Ohren. Aber etwas anderes fiel ihm nicht ein. »Gib mir deine Hand«, setzte er verlegen hinzu, als die junge Frau ihn lediglich mit großen Augen ansah. Da sie nicht sofort reagierte, griff er zögernd nach ihrer Rechten. Ungeschickt steckte er ihr den Ring an den Finger und erschrak darüber, wie zerbrechlich und zart dieser sich anfühlte. Es kostete ihn einige Selbstbeherrschung, ihre Hand nicht an die Lippen zu führen, um herauszufinden, ob sie genauso gut schmeckte, wie sie duftete. Wenn es doch nur möglich wäre, mit ihr aus der Stube zu fliehen!

      »Wo soll die Hochzeit stattfinden?«, zerstörte die Großmutter seiner Braut den Zauber des Momentes. »Und warum ist er hier?« Sie warf dem Kirchenmann einen giftigen Blick zu. »Wo ist Erzpriester Sergios?«

      Laurenz ließ widerwillig Oliveras Hand wieder los und sah von Philippos zu der alten Frau.

      »Das ist keine Angelegenheit, in die du dich einmischen solltest, Loukia«, erwiderte der Herr des Hauses kühl. »Pater Antonio kann die beiden genauso gut vermählen wie Sergios.«

      Oliveras Großmutter zog hörbar die Luft ein. »Aber er ist ein …«

      »Das tut in diesem Fall nichts zur Sache«, fiel Philippos ihr ins Wort. »Eine Ehe vor Gott ist eine Ehe vor Gott. Gleichgültig, wer den Bund schließt!« Sein Tonfall war scharf. »Wir glauben alle an denselben Gott, was stört uns der Zwist zwischen Papst und Patriarch?«

      Die alte Frau schüttelte den Kopf und murmelte: »Das Sakrament der Ehe ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen darf.« Sie funkelte Philippos einige Atemzüge lang an, dann schlug sie den Blick nieder und stocherte in ihrem Essen.

      »Ich möchte nicht mit dir darüber streiten«, lenkte der Gastgeber ein. »Erzpriester Sergios hat der Verbindung seinen Segen gegeben.«

      Irgendetwas sagte Laurenz, dass dies eine Lüge war. Allerdings brachte die Behauptung die alte Frau zum Schweigen. Dennoch trübte die Auseinandersetzung die Stimmung. Und als sich die Damen eine Stunde später verabschiedeten, wünschte Laurenz die Alte zum Teufel. Warum hatte sie nicht einfach schweigen und ihn Oliveras Nähe in vollen Zügen genießen lassen können? Wieso hatte sie an solch einem wundervollen Tag Missstimmung verbreiten müssen?

      »Mir scheint, der Abend ist nicht ganz so verlaufen, wie du es dir gewünscht hast«, bemerkte sein zukünftiger Schwiegervater trocken, sobald die Männer alleine waren. Er winkte eine der Mägde zu sich und ließ sich den Weinkelch


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