Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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er sich vorstellte, was sich alles unter ihren – seiner Meinung nach viel zu bauschigen – Röcken verbarg, wurde ihm ganz heiß. Er wüsste nur zu gerne, was für Köstlichkeiten lockten, wenn die störenden Hüllen fielen! Augenblicklich meldete sich seine Männlichkeit wieder zu Wort. Hastig trat er aus dem Lichtkegel der Öllampe und hoffte, dass Philippos das verräterische Zeichen nicht bemerkte. Warum hatte allein der Gedanke an Olivera diese Wirkung auf ihn? Er schluckte ein Stöhnen. An sich hatte er vorgehabt, sie heimlich – hinter dem Rücken ihres Vaters – zu verführen. Allerdings hatte ihre Krankheit ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Vier quälend lange Tage hatte er sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und wie sehr ihr Anblick, ihre Gegenwart ihm gefehlt hatten, war ihm erst vor einigen Augenblicken richtig bewusst geworden. Als er sie im Nebenraum auf ihrem Stuhl hatte sitzen sehen, war es ihm klar geworden: Er musste sie haben! Ganz egal, wie! Er hob einen der armförmigen Behälter auf und gab vor, ihn zu betrachten. Unterdessen arbeitete sein Verstand fieberhaft. Würden ihn in Tübingen nicht alle um diese Frau beneiden? Sie war schön, gebildet und so ganz anders als die deutschen Mädchen, die ihm im Vergleich zu Olivera spröde und langweilig vorkamen. Gewiss, eigentlich hatte er beabsichtigt, sich mit der Tochter eines Richters oder Ratsherrn zu vermählen. Doch diese begegneten ihm mit Hochmut und Verachtung. Er biss die Zähne aufeinander. Vielleicht würde er mit einer Gemahlin aus der Fremde endlich den Makel des Unterstädters abstreifen können. Er legte den Arm zurück und räusperte sich.

      »Um ehrlich zu sein, hie und da habe ich doch schon darüber nachgedacht, mir eine Gemahlin zu suchen«, sagte er – um einen ruhigen Tonfall bemüht. Zu seinem Leidwesen klangen die Worte jedoch viel eifriger, als er beabsichtigt hatte. »Gibt es einen Grund für Eure Frage?«, setzte er hastig hinzu.

      Philippos ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Erst nachdem er zwei weitere Behältnisse in Augenschein genommen hatte, erwiderte er: »Es wird Zeit, einen Gemahl für meine Tochter zu finden.« Er nahm die Öllampe auf und steuerte auf den Ausgang zu. »Und als ihr Vater liegt mir ihr Glück am Herzen.«

      Laurenz schloss zu ihm auf. »Hat sie …?«, hub er an, verstummte jedoch, da er nicht wusste, wie er die Frage formulieren sollte. Zurück im Kontor stellte der Grieche die Lampe wieder ab und schenkte Laurenz ein Lächeln.

      »Euer Glück liegt mir auch am Herzen«, versetzte er mit einem schelmischen Zwinkern. »Denkt nicht, dass mir entgangen ist, wie Ihr Olivera anseht.« Als Laurenz protestieren wollte, schnitt er ihm mit einem Kopfschütteln das Wort ab. »Nein, nein, haltet mich bitte nicht für einfältig oder blind.« Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Ihr habt ihr einen Papagei gekauft. Dachtet Ihr, ich wüsste nichts davon?«

      Laurenz biss sich auf die Lippe. Es war wirklich vollkommen töricht gewesen, diesen Vogel zu erstehen! Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Andererseits hatte er so das Herz des Mädchens gewonnen. Des Mädchens, das vielleicht bald seine Frau werden würde! Die Vorstellung verursachte einen wahren Aufruhr in seinem Körper.

      »Wenn wir uns handelseinig werden«, riss Philippos ihn aus den Gedanken, »dann kann sie schon in wenigen Tagen Euch gehören.«

      *

      Olivera zuckte zusammen, als sich schwere Tritte näherten. Hastig zog sie das Ohr von der Tür zurück, an der sie gelauscht hatte. Sie machte mit hochrotem Kopf drei Schritte zur Seite und gab vor, etwas vom Boden aufzuheben. Sobald die beiden Träger, die sie aufgeschreckt hatten, an ihr vorbeigestapft waren, huschte sie jedoch zurück zur Tür und horchte weiter.

      »… Säcke mit Pfeffer, Safran, Kardamon, Zimt und Muskat«, hörte sie ihren Vater sagen. »Wenn Ihr sie streckt, könnt Ihr die doppelte Menge verkaufen.«

      Jemand hustete. Ein Räuspern folgte.

      »Wird es nicht Probleme geben wegen des unterschiedlichen Glaubens?«, fragte Laurenz.

      Olivera hielt den Atem an. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht! Sicher folgte Laurenz der römischen Lehre!

      »Ach«, erwiderte ihr Vater, »ich kenne einen Priester, der Euch dennoch traut. Wen interessiert denn schon wirklich, ob Papst oder Patriarch das Sagen haben? Außer den Pfaffen?« Er lachte.

      Doch bevor Olivera noch mehr erfahren konnte, näherte sich zu ihrem Leidwesen erneut jemand, sodass sie ihren Horchposten wieder aufgeben musste. Ein Knabe tauchte in dem Durchgang auf, der hinaus auf die Straße führte, und sah sich verunsichert um. Sein Gesicht war gerötet und die Kappe auf seinem Kopf saß schief. Als er Olivera erblickte, eilte er auf sie zu. Er verneigte sich vor ihr und keuchte: »Meine Mutter schickt mich. Ich soll die Kuria Loukia holen. Die Herrin bekommt ein Kind! Es steckt fest!« In seinen Augen lag Furcht. »Sie schreit ganz furchtbar.« Er griff Olivera beim Arm. »Ihr müsst schnell kommen! Und Ihr sollt …«, er dachte einen Moment lang nach, »Nieswurz mitbringen..«

      Die Dringlichkeit seiner Bitte ließ Oliveras Neugier in den Hintergrund treten. Auch wenn sie alles dafür gegeben hätte, das Gespräch im Kontor ihres Vaters weiter zu belauschen, wusste sie, dass das Leben der Schwangeren auf dem Spiel stehen konnte. Daher fasste sie den Jungen bei den Schultern und fragte: »Hat man dir sonst noch etwas aufgetragen?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Warte hier«, befahl Olivera. »Ich bin sofort mit meiner Yiayia zurück.« Daraufhin raffte sie ihre Röcke und hastete zur Salbenküche. Dort hantierte ihre Großmutter mit einem großen Kupferkessel. Leise vor sich hin schimpfend versuchte sie, den Topf an einen Haken über der Feuerstelle zu hängen.

      »Yiayia«, schnaufte Olivera, bevor ihre Großmutter fragen konnte, wie es ihr ergangen war. »Da ist ein Junge, dessen Mutter nach dir schickt. Es gibt Schwierigkeiten bei einer Geburt. Das Kind steckt fest und sie brauchen Nieswurz!«

      Ihre Großmutter stellte den Kessel ab. Sie tupfte sich den Schweiß von der Stirn und angelte nach einem Korb. »Hat er noch etwas gesagt?«, wollte sie wissen.

      Olivera verneinte.

      »Sicher ist sicher«, murmelte die alte Frau und griff in einen Tontopf, der getrockneten Baldrian enthielt. Diesen packte sie zusammen mit einem Säckchen geriebener Nieswurz- und Wermutblüten und Aloe in den Korb, den sie Olivera in die Hand drückte. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, drängte sie.

      Und keine fünf Minuten, nachdem der Knabe die Durchfahrtshalle betreten hatte, waren die beiden Frauen bei ihm.

      »Wo wohnt deine Herrin?«, erkundigte sich Oliveras Großmutter. Als der Junge ein Haus ganz in der Nähe nannte, sah sie sich kurz suchend um. Weit und breit war kein Knecht mehr zu sehen. Daher zuckte sie die Schultern. »Das Leben ist wichtiger als die Schicklichkeit. Wir werden wohl auf Begleitung verzichten müssen«, stellte sie ärgerlich, aber trocken fest. » Lauf und zeig uns den Weg«, befahl sie dem Knaben, der augenblicklich auf die Straße rannte.

      Die beiden Frauen folgten ihm etwas langsamer – darauf bedacht, die pralle Sonne zu meiden. Eine Dreiviertelmeile weiter südlich kam der Junge vor einem zweistöckigen Haus zum Stehen. Er reckte sich auf die Zehenspitzen und betätigte den Türklopfer, als wollte er ihn abreißen. Die einfach gekleidete Frau, die kurz darauf im Rahmen erschien, folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger mit den Augen und bekreuzigte sich, als sie Olivera und ihre Großmutter erspähte. Sobald auch diese das Gebäude erreicht hatten, sprudelte es aus ihr hervor: »Die Herrin liegt seit Stunden in den Wehen. Die Männer haben alle das Haus verlassen, um ihr Geschrei nicht mit anhören zu müssen.« Sie verscheuchte den Knaben und bat die beiden Frauen in die Eingangshalle. Dort war es angenehm kühl und luftig, und bereits nach wenigen Schritten schlug Olivera der Geruch von Salbei entgegen. Offenbar hatte die Hebamme bereits versucht, die Geburt zu beschleunigen.

      Die Magd führte sie ins Obergeschoss, wo in einer kleinen Kammer eine stöhnende Frau auf einem Bett lag. Ihr Unterleib war unbekleidet, ihr Gesicht schweißnass. Langes, schwarzes Haar hing ihr wirr in die Stirn. Eine Hebamme und zwei ihrer Lehrmägde machten sich an der Schwangeren zu schaffen, die in diesem Moment einen ohrenbetäubenden Schrei ausstieß.

      »Loukia«, begrüßte die Hebamme Oliveras Großmutter. »Ich habe nach dir schicken lassen. Eine dieser kopflosen Gänse hat vergessen, Nieswurz mitzubringen! Zum Glück ist dein


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