Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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Zuerst hatte er nicht schnell genug von hier fortkommen können. Und jetzt … Er brach den Gedankengang ab und folgte den Schatten der Gebäude, bis er Philippos erreichte.

      »Was muss ich mir ansehen?«, fragte er. Sein Ton war schroffer, als er beabsichtigt hatte.

      Sein Gegenüber schien seine Unhöflichkeit jedoch nicht einmal zu bemerken. »Andreas hat die ersten Behältnisse geliefert«, sagte er heiser und bestätigte somit Laurenz’ Vermutung. Er zupfte den jungen Mann am Ärmel. »Ihr müsst sie Euch selbst ansehen.«

      Mit diesen Worten zog er Laurenz auf das Gebäude zu, in dem sich Laden und Kontor befanden. Dort – in einer Kammer neben der Treppe – warteten drei große Holzkisten auf sie. Der Deckel der vordersten war geöffnet und auf einem Tisch stand eine Reihe von Gegenständen. Bei deren Anblick stockte Laurenz der Atem. Allerdings waren es nicht das vergoldete Türmchen, die aufwendig ziselierten Kästen oder die mit Juwelen besetzten Phiolen, die sein Herz einen Schlag aussetzen ließen; sondern die zwölf fein säuberlich aufgereihten goldenen Köpfe. Er schluckte vernehmlich.

      »Sind sie nicht wundervoll?«, schwärmte Philippos. Offenbar deutete er die Erschütterung seines jungen Gastes falsch. »Andreas ist ein wahrer Meister!«

      Eine eisige Hand schien nach Laurenz zu greifen. Plötzlich kam ihm der Raum furchtbar kalt vor und er fröstelte.

      »Seht, hier«, sagte der Kaufmann. Er hob einen der Köpfe auf und zeigte auf ein großes Loch direkt unter dem Ansatz des goldenen Haares. »Hier wird das Glas eingesetzt.« Er drehte den Gegenstand um und redete weiter auf Laurenz ein.

      Doch dieser hörte kaum mehr, was sein Gegenüber sagte. Ohne Vorwarnung sah er sich in Gedanken auf den Kirchplatz hinter der Tübinger Jakobuskirche versetzt. Als befände er sich tatsächlich dort – Tausende von Meilen entfernt – vernahm er das Geräusch von Hacken und Schaufeln. Vor seinem inneren Auge wurde er Zeuge, wie Männer ohne erkennbare Gesichter Tote aus ihren Gräbern zerrten und diese achtlos auf einen Karren warfen. Die Kälte breitete sich in ihm aus. Er hatte gewusst, was geschehen würde – wofür sein Auftraggeber die Behältnisse benötigte. Gleichwohl war es ihm gelungen, den wahren Grund für sein Hiersein zu verdrängen – selbst als er das Glas des Phiolarius in den Händen gehalten hatte. Immerhin würde er auch einen ganzen Wagen voller seltener Gewürze mit nach Hause bringen – nicht nur diese furchtbaren Dinge! Er trat, plötzlich angeekelt, einen Schritt zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Ein Stöhnen fand den Weg über seine Lippen. Für diese grauenhafte Sünde würde er bis in alle Ewigkeit in der Hölle schmoren. Seine Fantasie gaukelte ihm Bilder vor, die ihn noch mehr schaudern ließen: Nackte Leiber, in einem reißenden Blutstrom kochend, von Kentauren gepeinigt und immer wieder in die Fluten zurückgestoßen; Lästerer, gefangen im Sand, auf die beständig Feuerflocken niederprasselten; Verstümmelte, die kopfüber in Felslöchern steckten, während ihre Fußsohlen lichterloh brannten; und schließlich Schreiende, deren Münder sich mit Pech füllten, wenn sie in einem Graben versanken und für immer verschwanden.

      Eine Hand legte sich auf seinen Arm.

      »Was ist mit Euch?«, fragte Philippos.

      Laurenz zuckte zusammen und versuchte, die grauenvollen Bilder mit einem Blinzeln zu vertreiben. »Nichts«, log er. Seine Stimme strafte ihn Lügen.

      »Macht Euch nur nicht allzu viele Gedanken«, versuchte der Grieche ihn zu beruhigen. Scheinbar wusste er genau, was Laurenz auf der Seele brannte. »Es ist ja nicht so, als ob wir die Ersten wären, die so etwas tun«, setzte er wegwerfend hinzu. »Wer weiß, wie viele Reliquien überhaupt echt sind.« Sein Mund verzog sich zu einem verschlagenen Lächeln. »Gott hätte gewiss nichts dagegen, dass noch mehr Menschen die Gebeine der Heiligen verehren können. Auch wenn diese vielleicht nicht ganz so heilig sind, wie die Pilger denken.« Er lachte meckernd. »Und die Toten schert es sicher auch nicht mehr.«

      Laurenz starrte ihn mit leerem Blick an. Hatte der Kerl denn überhaupt keine Angst vor dem Jüngsten Gericht? War ihm nicht klar, dass sie durch diesen Betrug ihre Seelen an den Leibhaftigen verpfändeten? Er zog die Schultern hoch und schloss einen Moment lang die Augen. Hätte er sich doch nur niemals auf diesen Handel eingelassen! Damals war ihm alles so einfach erschienen – so lächerlich einfach! Er schlug die Augen wieder auf und starrte die Köpfe an. Warum hatte er nur nicht auf die Stimme in seinem Inneren gehört, die ihn gewarnt hatte, dass alles viel zu gut klang, um wahr zu sein? Warum war er nur so unglaublich dumm gewesen? Hätte er seinem Freund Bertram doch nur den Gefallen abgeschlagen und wäre nicht an dessen Stelle in das Haus in der Münzgasse gegangen! Er verkniff sich ein Schnauben. Vermutlich hatte Bertram ganz genau gewusst, was ihn dort erwartete, und die Unpässlichkeit nur vorgetäuscht.

      Plötzlich befand er sich in Gedanken wieder in Tübingen; sah sich dem Schwager des Schultheißen gegenüber und hörte ihn kurz und hart lachen.

      »Wenn Ihr nicht wollt, frage ich eben einen anderen«, hatte dieser kühl gesagt und sich zum Gehen gewandt. Allerdings war sein Angebot zu gut, als dass Laurenz es hatte ausschlagen können. Immerhin hatte sich dadurch vollkommen unerwartet eine Möglichkeit eröffnet, in die Oberschicht aufzusteigen. Und den Kramladen seines Vaters endgültig hinter sich zu lassen. Gier vernebelt das Gehirn, dachte er, als Philippos die Waren sorgfältig wieder verpackte. »Alles, was Ihr tun müsst, ist, die Behältnisse zu beschaffen«, hatte sein Auftraggeber gesagt. »Um den Rest braucht Ihr Euch nicht zu kümmern.«

      Laurenz wich einen Schritt zurück, um Philippos Platz zu machen. Dass es sich bei dem »Rest« um das Schänden von Leichen und das Fälschen von Reliquien handelte, hatte er nicht gewusst. Allerdings war es zu spät gewesen, einen Rückzieher zu machen, als er davon erfahren hatte. Er hätte sich niemals die erste Reise nach Konstantinopel bezahlen lassen dürfen! Ärger über seine Einfältigkeit stieg in ihm auf. Es hätte ihm klar sein müssen, dass die ganze Angelegenheit einen Haken hatte. Andererseits war die Verlockung einfach zu groß gewesen, um ihr zu widerstehen. Nicht jeden Tag erhielt ein einfacher Krämersohn die Gelegenheit, in die Kreise der Fernhändler aufzusteigen – und somit vielleicht irgendwann im Rat der Stadt zu sitzen. Ein Köder, den vermutlich selbst sein ehrbarer Bruder Götz geschluckt hätte! Er presste die Kiefer aufeinander und straffte die Schultern. Es nützte nichts, sich zu grämen. Er war einen Handel mit dem Teufel eingegangen, also musste er zusehen, wie er das Beste daraus machte. Immerhin war ihm versprochen worden, dass dies seine letzte Reise sein würde. Also würde er zusehen, dass er sein Schäflein ins Trockene brachte. Vielleicht konnte er ja in der Zwischenzeit die verlockende Frucht pflücken, die ihm mehr und mehr den Kopf verdrehte. Wenn ihm gelang, was ihm vorschwebte, dann konnte er sich damit an seinem Gastgeber und dessen Spießgesellen rächen!

      Kapitel 8

      Tübingen, Juli 1408

      »Rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz und weiß wie Schnee«, summte der auf dem Boden kniende Mann vor sich hin, während seine Klinge in das Fleisch der Hure fuhr. Diese war bildschön, und es war ein Jammer um ihren Körper. Aber auf eine Hässlichere hatte er nicht warten können, da der Bedarf seines Auftraggebers immer schneller zu wachsen schien. Zuerst hatte es geheißen, drei oder vier wären genug; für den Rest würden andere sorgen. Aber offensichtlich scherte sich doch jemand darum, dass die Gräber der Armen geschändet wurden. Allmählich zeichnete sich ein Geschäft ab, das ihn noch weit bis in die Zukunft mit einem Zusatzeinkommen versorgen würde. Morgen stand der Heilige Sonntag vor der Tür, aber für die Frau zu seinen Füßen würde es kein Tag der Andacht und Beschaulichkeit werden. Er schluckte ein Lachen. Und für diejenigen, die sie fanden, würde der Tag gewiss auch nicht so beginnen, wie sie es sich vorgestellt hatten. Mit geübten Bewegungen hackte er der Frau Kopf und Arme ab und sah einige Momente fasziniert dabei zu, wie ihr Blut sich in Windeseile mit dem Regen vermischte. Am vergangenen Mittwoch hatte das Wetter umgeschlagen und es hatte angefangen, wie aus Kübeln zu schütten. Seitdem schien der Sommer bereits dem Herbst weichen zu wollen, obwohl es noch viele Wochen dauern würde, bis sich die ersten Blätter bunt färbten. Ein empfindlich kühler Wind pfiff durch die Stadt. Eigentlich hatte der Jäger es auf einen der Spielmänner abgesehen, doch diese wagten sich bei den unwirtlichen Umständen kaum mehr auf die Straße. Er stopfte den Kopf und die beiden Gliedmaßen in seinen Beutel, platzierte Schalen


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