Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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war es ihr gestattet gewesen, alleine Einkäufe zu tätigen! Bevor sie richtig begreifen konnte, was sie empfand, fasste Laurenz sie am Arm und fragte mit einem Lachen in den Augen: »Wohin darf ich Euch zuerst geleiten?«

      Olivera wusste genau, dass sie schon wieder die Farbe gewechselt hatte. Doch in diesem Augenblick schien das, was ihr sonst so viel Ärger bereitete, bedeutungslos. Alles, was zählte, war der Mann an ihrer Seite! Sie hob den Kopf und sah ihm das erste Mal direkt und ohne Scheu in die Augen.

      »Der Basar ist dort hinten«, erwiderte sie. »Dort, wo die Fahnen zu sehen sind«, fügte sie hinzu.

      Laurenz nickte. »Dann lasst uns keine Zeit verschwenden. Sonst wird Eure Großmutter böse.« Er grinste. »Und das wollen wir ganz gewiss vermeiden.«

      Sein Grinsen steckte an. Olivera spürte Übermut in sich aufsteigen, fühlte, wie es in ihr brodelte und schäumte wie in einer Flasche mit Seifenlauge. Am liebsten wäre sie wie ein Kind davongestürmt und hätte ihn mit sich gezogen, so wie sie es früher oft mit ihren Brüdern getan hatte. Da sie sich jedoch vor ihm und seinem Knecht nicht völlig zum Narren machen wollte, rang sie die Ausgelassenheit nieder. »Der Eingang ist neben dem großen Kornspeicher«, sagte sie stattdessen gezwungen ruhig. Sie deutete auf ein Gebäude, dessen Dach alle anderen Gebäude überragte. »Muzaffers Laden muss ganz in der Nähe sein.« Jedenfalls hoffte sie, dass ihre Erinnerung sie nicht täuschte.

      Da sie ihre Großmutter erst einige Male auf den Markt begleitet hatte, war sie sich nicht ganz sicher, ob sie den Drogisten auf Anhieb finden würde. Derweil Laurenz sie behutsam zurück auf die Straße dirigierte, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf, der den Übermut zurückbrachte. Wenn sie so tat, als ob sie nicht wüsste, wo Muzaffers Stand sich befand, konnte sie den Ausflug vielleicht ausdehnen. Nicht einmal ihre Yiayia würde die Lüge durchschauen, wenn sie nur überzeugend genug war.

      »Wartet«, bat sie Laurenz deshalb nach einigen Schritten und gab vor zu überlegen. »Ich glaube, das ist der falsche Eingang.« Sie hob entschuldigend die Schultern. »Es sieht alles so ähnlich aus.« Sie reckte sich auf die Zehenspitzen und sah sich um. »Wir müssen dorthin«, rief sie schließlich aus und zeigte nach Westen. Auch dort flatterten die Marktfahnen im Wind und lockten scharenweise Käufer an. Neben den Reitern, die im Sattel von Pferden thronten, schaukelten auch einige herausgeputzte Männer und Frauen auf Kamelen auf den Basar zu. Turbane und anderer Kopfputz leuchteten im Licht der Sonne. Die vom Wind herbeigetragenen Duftschwaden ließen Oliveras Nasenflügel zucken. Als sie einer Gruppe reicher Damen in offenen Sänften begegneten, beäugte sie neidisch deren Kleider und schielte eifersüchtig nach Laurenz. Aber dieser würdigte die Paradiesvögel lediglich eines kurzen Blickes, dann kehrten seine Augen zu Olivera zurück.

      Es dauerte nicht lange, bis sie die Pforte des teilweise überdachten Marktes erreichten. Das Gedränge war inzwischen so dicht, dass Olivera und Laurenz sich näher kamen, als es der Anstand erlaubte. Deutlich konnte sie die Wärme seiner Haut durch den dünnen Stoff seines Seidenärmels spüren. Seine Hand, die eigentlich ihren Oberarm umfasst hielt, streifte mehr als einmal ihre Brust – und sandte abwechselnd kalte und heiße Schauer über ihren Rücken. Wenngleich sie sich in einem Meer aus Menschen befanden, war es einen winzigen Augenblick lang, als ob sie mutterseelenallein wären. Dann allerdings zwängte sich ein schmutziger Knabe zwischen ihren Beinen hindurch und der Zauber zerplatzte wie eine Blase.

      »Hierher, mein Herr«, rief ein Süßwarenhändler, dessen Auslage klebrig glänzte. »Ihr wollt Eurer Begleiterin doch sicher eine Freude machen«, lockte er. »Kauft ihr ein Kadi-Häppchen. Oder ein Liebesplätzchen.« Er zwinkerte Olivera anzüglich zu. »Einen Marzipanfladen oder einen Amberkamm«, warb er weiter.

      Laurenz schenkte Olivera einen fragenden Blick. »Möchtet Ihr?«, erkundigte er sich, aber die junge Frau schüttelte den Kopf.

      »Nein«, erwiderte sie. »Sein Honig ist verwässert und in seinen Dattelpasteten sind Steine.« Sie öffnete den Mund und zeigte auf einen ihrer Eckzähne, aus dem ein winziges Stück herausgebrochen war.

      Laurenz verzog schmerzhaft das Gesicht, zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf. Wenig später kämpften sie sich wieder durch die Menschenmenge. Vorbei an Nussverkäufern, weiteren Süßwarenhändlern, Obst-, Fleisch- und Gemüseständen gelangten sie schließlich in einen Teil des Basars, in dem Händler aus aller Herren Länder ihre Spezialitäten anboten. Dort gab es osmanische Quitten, Challani-Pfirsiche, Lotusblumen aus Damaskus und eingesalzene Sperlinge. Außerdem lockten Ochsenaugen, Moschusäpfel und kunterbunt gefiederte Singvögel wahre Schwärme an Neugierigen an.

      »Oh, seht nur!«, rief Olivera aus. Sie hatte einen großen grauen Vogel mit rotem Schwanz erspäht, der sie mit wachen Augen musterte. Sein gebogener Schnabel war weit geöffnet. Er gab einen Laut von sich, der klang, wie das Bellen eines Hundes. »Wie ist so etwas möglich?«, fragte sie.

      »Möglich?«, wiederholte der Vogel und stieß einen Pfiff aus.

      »Dieser Vogel ist etwas ganz Besonderes.« Ohne, dass sie es gemerkt hatten, war der Verkäufer zu ihnen getreten. In seinen Augen glomm Gier. »Könige verlangen nach dieser Art«, prahlte er und steckte den Finger durch die Stäbe des Käfigs.

      Anstatt nach ihm zu hacken, wie Olivera vermutet hätte, knabberte der Vogel jedoch lediglich am Finger des Mannes und gackerte wie ein Huhn.

      »Für einen halben Schilling gehört er euch.«

      Olivera wich erschrocken zurück. »Ein halber Schilling!«, stieß sie hervor. »Das ist ja Wahnsinn!« Für einen Schilling konnte man sich eine ganze Kuh kaufen! Sie riss sich von dem wundersamen Tier los und sah zu Laurenz auf. »Ich glaube, Muzaffers Stand ist im nächsten Gang«, sagte sie mit einem letzten Blick auf den Vogel.

      Ehe der Verkäufer das Tier dazu bringen konnte, weitere Kunststücke zum Besten zu geben, tauchten sie bereits erneut in den Strom der Kauflustigen ein. Etwa einen halben Steinwurf von dem Vogelhändler entfernt ragte ein rot-weiß gestreiftes Dach aus Zeltleinwand empor, das Olivera auf den ersten Blick erkannte.

      »Wir haben es geschafft«, ließ sie Laurenz wissen. »Das ist Muzaffer.«

      Der Mann, der mit Argusaugen über seine Auslage wachte, war klein und mager. Der Turban auf seinem Kopf schien viel zu groß, und sein runzeliges Gesicht wirkte abweisend. Als Olivera vor seinem Stand anhielt, musterte er sie und ihre beiden Begleiter misstrauisch.

      »Wenn Ihr Schmuck und Tand sucht, seid Ihr hier falsch«, krächzte er auf Lateinisch. »Bei mir findet Ihr nichts.«

      Olivera spürte, wie Laurenz sich versteifte. Daher zog sie eilig die Liste ihrer Großmutter hervor und sagte: »Meine Yiayia Loukia, die Salbenmacherin, schickt mich. Sie benötigt diese Dinge.« Sie reichte ihm das Blatt Papier und wartete, bis er es gelesen hatte.

      Er murmelte einige unverständliche Worte. Dann – ohne Olivera weitere Aufmerksamkeit zu zollen – begann er, in aller Seelenruhe Töpfe und Körbe zu öffnen, abzuwiegen und Säckchen zu füllen. Das Ganze dauerte so lange, dass Olivera unruhig wurde. Sie hatten schon viel zu lange getrödelt! Ihre Großmutter wartete vermutlich bereits ungeduldig auf ihre Rückkehr. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, da das Gewimmel hinter ihnen wieder dafür sorgte, dass Laurenz sich dicht an sie drängen musste. Zum Teufel mit ihrem schlechten Gewissen! Auch wenn sie zu Hause der Unwille ihrer Yiayia erwartete, würde sie jede Sekunde dieses Ausfluges auskosten! Um die Folgen konnte sie sich später Gedanken machen. Ein Brummen des Drogisten lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf das, was er tat. Mit spitzen Fingern griff der Osmane soeben in ein Behältnis, das menschenförmige Wurzeln enthielt.

      »Ich habe nur männliche Alraunen, keine weiblichen«, informierte er sie. »Der Hund ist gestorben, bevor er die weiblichen ernten konnte.«

      Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Laurenz fragend die Brauen in die Höhe zog. »Jeder, der versucht, eine Alraune zu pflücken, stirbt«, erklärte sie. »Ihr Schrei ist tödlich. Nur ein Hund darf sie mithilfe einer Kette aus dem Boden ziehen. Und auch er stirbt oft, bevor genug geerntet ist.« An den Drogisten gewandt, sagte sie: »Dann gebt mir männliche.« Wenn sie sich recht erinnerte, war das Geschlecht der Pflanze unwichtig für die Herstellung von Tränken.


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