Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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Musste sie wohl. Denn ihre Kleidung war nicht dafür gemacht, etwas zu verhüllen. Als dieser Teil seines Auftrages ebenfalls erfüllt war, fing er auch aus diesen Wunden so viel von ihrem Blut auf wie möglich. Nachdem er dieses in ein halbes Dutzend bauchige Phiolen umgefüllt hatte, die er sorgfältig verkorkte, ließ er schließlich die Gefäße den Körperteilen folgen. Nicht einmal vier Wochen war es her, seit er die anderen beiden Huren getötet hatte, und allmählich machte ihm die Häufigkeit seiner Ausflüge Sorgen. Wenn es so weiterging, würde sein Weib Verdacht schöpfen. Und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis die ganze Stadt davon erfuhr. Ein unschöner Gedanke fuhr ihm durch den Kopf. Vielleicht würde sein Auftraggeber für sie ja auch etwas bezahlen. Schon lange ging ihm ihr ewiges Genörgel auf die Nerven. Warum sollte für sie nicht auch Verwendung zu finden sein? Ein Geräusch aus einem der Hinterhöfe ließ ihn nervös um sich blicken. Doch es war nur eine streunende Katze, die kurz darauf mit gesträubtem Fell an ihm vorbeischoss.

      Er zurrte den Sack zu, kam mit steifen Gelenken auf die Beine und hastete in die Dunkelheit des späten Abends davon. Mit jedem Mord wurden seine Aufträge riskanter. Wenn er noch mehr herbeischaffen sollte, dann musste er sich bald etwas anderes überlegen. Gewiss würde er nicht ewig Unehrliche von der Straße pflücken können, als handle es sich um überreife Kirschen! Früher oder später würde die Stadtwache ihre Präsenz in den Straßen erhöhen und dann hatte er schlechte Karten. Er huschte die Jakobsgasse entlang in Richtung Osten, überquerte die Ammer und schlüpfte zwischen den Häusern an der Krummen Brücke hindurch. Von dort aus eilte er weiter, bis er das Wasser der Ammer erneut riechen konnte. Er war nur noch zwei Steinwürfe von seinem Haus entfernt, als ihn ein scharfer Befehl erstarren ließ.

      »Halt! Bleib auf der Stelle stehen!«, bellte ein Wächter.

      Kurz darauf verkündete das Trampeln von schweren Stiefeln, dass sich ihm mindestens drei Stadtwachen im Laufschritt näherten. Das Licht ihrer Fackeln tanzte wild hin und her, und mit Entsetzen sah er, dass Blut aus seinem Sack getropft war und seine Kleidung befleckt hatte. Oh, Heiliger Vater, steh mir bei!, dachte er entsetzt, während die Soldaten drohend ihre Schwerter zogen. Warum waren die Kerle nicht im Trockenen? Beim Würfelspiel in der Wachstube?

      »Was hast du in dem Sack?«, fragte der Befehlshaber der Wache. Er bedeutete seinen beiden Begleitern, ihren Fang zu packen. Aber als einer von ihnen die Fackel hochhob, um das Gesicht des Mannes zu beleuchten, brach er in ein Lachen aus, das halb erleichtert, halb enttäuscht klang.

      »Du bist es!«, rief er. Auch in den Augen seiner Kollegen dämmerte Erkennen.

      »Was hast du denn im Dunkeln noch auf der Straße zu suchen?«, fragte der Anführer – immer noch ein wenig misstrauisch.

      Der Gefragte hob die Schultern. »Man kann sich leider nicht immer aussuchen, wann die Leute einen rufen«, entgegnete er. »Und wer kann schon Nein sagen, wenn eine Witwe einen um Hilfe bittet?«, log er. Die Anspannung ließ seine Stimme kaum wahrnehmbar beben. Der Drang, wie ein Hase davonzulaufen, war überwältigend. Allerdings wusste er, dass er damit sein Leben verwirkt hätte. Daher setzte er ein Gesicht auf, von dem er hoffte, dass es harmlos genug aussah, und lächelte dümmlich.

      »Man muss schließlich von etwas leben«, sagte er mit einem Schulterzucken.

      Einige scheinbar endlose Augenblicke verstrichen in argwöhnischem Schweigen. Dann schob der Befehlshaber die Waffe zurück in die Scheide und schüttelte den Kopf.

      »Na dann«, knurrte er. »Mach, dass du nach Hause kommst!«

      Mit weichen Knien tat er, wie geheißen. Als wenig später die Tür seines Hauses hinter ihm ins Schloss fiel, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Das war knapp gewesen! Noch einmal durfte ihm so etwas nicht passieren! Heftig atmend lauschte er in die Dunkelheit des Hauses und wartete, ob sich etwas regte. Erst, als alles ruhig blieb, stellte er den Beutel ab, griff mit zitternden Fingern in den Kienspanbehälter neben der Tür und entzündete eine Kerze. Heißer Schrecken durchzuckte ihn, sobald er sah, wie viel Blut durch die Sackleinwand gesickert war. Auf dem Lehmboden hatte sich bereits eine kleine Lache gebildet, die sich mit dem Wasser, das von seiner Kleidung tropfte, vermischte. Verdammt!, dachte er. Eines der Gefäße musste zerbrochen sein! Wenn der Regen nicht alles fortwusch und die Wächter die Spur zurückverfolgten, war es so sicher wie das Amen in der Kirche, dass sie die Tote finden würden. Und er verhaftet wurde! Auf unsicheren Beinen schaffte er den Sack dorthin, wo nie jemand nachsah, beseitigte alle Spuren und wartete darauf, dass sich sein Herzschlag beruhigte. Dann warf er sich einen anderen Mantel über, verbarg das Gesicht unter einem Filzhut und trat wenig später zurück hinaus in die Nässe. Er hatte einen Fehler gemacht! Und diesen galt es nun zu beheben. Zum Glück regnete es immer noch heftig, aber er würde dennoch dafür sorgen, dass man die Leiche nicht allzu einfach entdecken konnte. Vorsichtig, um den Soldaten nicht ein zweites Mal in die Arme zu laufen, schlich er dahin zurück, woher er gekommen war.

      Kapitel 9

      Konstantinopel, Juli 1408

      »Sie kommt zu sich.«

      Die Worte klangen undeutlich – als ob ihr Sprecher meilenweit entfernt wäre. Zuerst dachte Olivera, dass sie träumte. Aber dann fand der Schmerz den Weg in ihr Bewusstsein und ließ sie aufstöhnen. Es war ein dumpfes Pochen an ihrem Hinterkopf. Ein Pochen, das sich anfühlte, als versuche jemand, mit einem riesigen Hammer zu ihrem Gehirn vorzudringen. Mit jedem Atemzug, den sie tat, schien der Schmerz sich weiter auszubreiten und sie einzuhüllen wie ein erstickender Mantel. Sie vernahm einen heiseren Laut, der einem Krächzen ähnelte. Und es dauerte einige Zeit, bis sie begriff, dass sie das Geräusch von sich gegeben hatte.

      »Lieg still, Kind.« Etwas Kühles breitete sich über ihre Stirn aus. »Der Medicus muss die Wunde nähen«, hörte sie eine Stimme sagen, die sie als die ihrer Großmutter erkannte. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, aber ihre Lider waren bleischwer. Alles, was sie zustandebrachte, war ein kurzes Blinzeln.

      »Flößt ihr etwas Mohnsaft ein«, dröhnte ein Bass. Kurz darauf schob sich eine Hand unter Oliveras Kopf und der Schmerz verwandelte sich in ein scharfes Stechen. Ehe sie den Mund zu einem Schrei öffnen konnte, setzte ihr jemand ein Gefäß an die Lippen. »Trink in kleinen Schlucken«, riet ihre Yiayia. »Dann geht es dir bald besser.«

      Bitter und süß zugleich rann der Saft Oliveras Kehle hinab und um ein Haar hätte sie sich daran verschluckt. Hustend spuckte sie etwas davon wieder aus, dann sank sie ermattet zurück in die Kissen. Einige Augenblicke lang schien der Schmerz unerträglich, bis der Mohnsaft begann, Wirkung zu zeigen. Sie spürte kaum, wie man sie auf die Seite drehte. Auch der erste Stich der Nadel war nicht mehr als ein leichtes Zwicken. Das Gefühl, das sie einlullte und schläfrig machte, ähnelte der Benommenheit, welche sie nach dem Genuss von zu viel Wein empfunden hatte. Etwas wie Schwindel, nur angenehmer, legte sich über ihre Sinne. Während der Arzt sich an ihrem Kopf zu schaffen machte, merkte sie, wie sie zurück ins Reich der Träume abglitt.

      Als sie das nächste Mal erwachte, fühlte sie sich besser. Zwar tat ihr Hinterkopf immer noch weh, aber das Pochen war abgeklungen. Allerdings quälte sie ein entsetzlicher Durst, der fast schlimmer war als die Schmerzen. Ihre Lippen, ihr Mund und ihr Rachen waren ausgedörrt, als ob sie tagelang die Wüste durchstreift hätte. Mühsam versuchte sie zu schlucken. Doch ihre Zunge klebte so fest an ihrem Gaumen, dass sie fürchtete, ein Stück Fleisch herauszureißen, wenn sie versuchte, sie zu lösen. Eine Gestalt saß an ihrem Bett, blickte auf sie hinab. Und nach einigen Lidschlägen erkannte Olivera, dass es sich um ihre Yiayia handelte.

      »Wasser«, murmelte sie schwach. Die alte Frau griff nach einem Krug, füllte einen Becher und half Olivera, sich aufzurichten.

      »Besser?«, fragte sie, nachdem sie den Becher wieder abgestellt und Olivera zurück in die Kissen gedrückt hatte. Olivera nickte. In der Tat kam es ihr vor, als kehrten mit dem Wasser all ihre Lebensgeister zurück. Auch das durch die Fenster hereinfallende Sonnenlicht stach nicht mehr wie ein Messer nach ihren Augen, wirkte viel eher golden und beruhigend. Sie sah sich suchend im Raum um. Doch sowohl der Medicus als auch die Mägde hatten ihre Kammer wieder verlassen. Nur ihre Yiayia war noch bei ihr – so wie früher, wenn sie als Kind an einem Fieber oder Bauchschmerzen erkrankt war.


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