Die Salbenmacherin. Silvia Stolzenburg

Die Salbenmacherin - Silvia Stolzenburg


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den Tisch reichte.

      Nachdem sie ihn bezahlt hatte, stieg ein Seufzen in ihr auf. Jetzt, wo alles besorgt war, gab es keinen Grund mehr, länger auf dem Markt zu verweilen. Auch wenn sie am liebsten noch stundenlang mit Laurenz durch die engen Gassen zwischen den Läden geschlendert wäre, rief die Pflicht. Sie ließ sich von dem Knecht die Einkäufe abnehmen und sagte bedauernd: »Meine Großmutter wartet sicher schon auf uns.«

      Laurenz’ Gesicht spiegelte ihre eigene Enttäuschung wider. »Dann sollten wir uns schleunigst auf den Heimweg machen«, sagte er mit wenig Begeisterung. Er bahnte ihnen einen Weg durch die Menge, aber als sie einen von Kastanien überschatteten Platz im Herzen des Basars erreichten, hielt er abrupt an. »Würdet Ihr hier auf mich warten?«, fragte er. »Ich habe etwas vergessen.« Er winkte seinen Begleiter herbei und wies auf ein Wasserspiel, in dessen Nähe sich einige Damen ausruhten. »Gib auf sie acht wie auf deinen eigenen Augapfel«, befahl er dem Mann mit einem drohenden Blick.

      Und ehe Olivera begriffen hatte, was geschah, war er im Getümmel verschwunden. Was, um alles in der Welt, hatte er vor? Die Antwort auf diese Frage erhielt sie keine zehn Minuten später. Breit grinsend, mit einem abgedeckten Gegenstand in der Hand kehrte Laurenz zu ihnen zurück.

      »Was ist das?«, platzte sie neugierig heraus.

      »Ein Geschenk für Euch«, erwiderte Laurenz stolz und lachte, als ein Husten unter dem Tuch hervordrang. Olivera riss fassungslos die Augen auf.

      »Ihr habt doch nicht etwa …?«, hub sie an.

      »Ihr habt doch nicht etwa?«, krächzte es.

      Sie schlug die Hand vor den Mund. Er hatte den Vogel für sie gekauft! Einen Augenblick lang war sie sprachlos, dann hauchte sie: »Wie kann ich Euch nur danken?«

      Zu ihrem grenzenlosen Erstaunen sah sie, dass zwei rote Flecken auf den Wangen ihres Begleiters tanzten. Er beugte sich zu ihr hinab und flüsterte dicht an ihrem Ohr: »Ihr könntet mir irgendwann einen Kuss dafür schenken.«

      Oliveras Herz machte einen Überschlag. Meinte er das ernst? Hatte er so viel Geld ausgegeben, nur um sich einen Kuss von ihr zu erkaufen? Sein Atem kitzelte sie, und eine Gänsehaut überzog ihre Arme.

      Er richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. »Euer Lächeln ist mir Dank genug«, sagte er, als wären die Worte gerade eben nichts weiter als ein Scherz gewesen. Olivera fasste sich an den Kopf – als könne sie dadurch das Schwirren darin unterbinden. Ihre Fingerkuppen wanderten weiter zu der Stelle, an der sein Mund ihr Ohr fast berührt hätte. Sie brannte wie Feuer. Verwirrt und aufgewühlt stand sie einige Momente lang sprachlos da und versuchte, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Es war eine ungeheuerliche Bitte! Und doch beinhaltete diese Bitte alles, wovon sie in den vergangenen Tagen jede Nacht geträumt hatte. War es nicht ihr Ziel gewesen, ihn zu betören? Wie im Traum registrierte sie, dass er sie wieder beim Arm fasste und auf den Ausgang zuführte. Was auf dem Weg zurück zum Haus ihres Vaters geschah, wusste sie später nicht mehr. Alles, woran sie sich erinnerte, war, dass sie sich plötzlich im Hof wiederfand – umgeben von wohlbekannten Gesichtern.

      »Eure Großmutter ist noch in der Badestube«, drang die Stimme einer Magd wie durch dichten Nebel zu ihr vor. »Ihr sollt die Einkäufe aufräumen und dann zu ihr kommen«, fügte das Mädchen hinzu. Dann war es verschwunden.

      Genau wie Laurenz, der sich mit einer kleinen Verbeugung von ihr verabschiedete, bevor sie ihm ein weiteres Mal für das Geschenk danken konnte. Obgleich ihr Verstand ihr sagte, dass er nicht an ihrer Seite blieb, um Gerede zu vermeiden, fühlte ihr Herz sich an, als habe jemand ein Stück herausgeschnitten. Die Glückseligkeit, die noch vor Kurzem bewirkt hatte, dass sie sich leicht fühlte wie ein Schmetterling, löste sich ohne Vorwarnung in Luft auf. Sie presste die Hand auf ihre Brust. Ihr Herz schlug so heftig, dass sie fürchtete, es könne zerbersten.

      Eine Zeit lang starrte sie auf die Stelle, an der Laurenz bis vor wenigen Augenblicken gestanden hatte, dann fasste sie einen Entschluss. Es würde heute geschehen! Sie musste die Gunst der Stunde nutzen! Wenn sie jetzt nicht tat, was sie sich vorgenommen hatte, würde ihr der Mann, den sie mit jeder Faser ihres Körpers begehrte, durchs Netz schlüpfen. Und das durfte sie nicht zulassen! Nicht jetzt, wo er deutlich gemacht hatte, dass er das Gleiche für sie empfand wie sie für ihn. Mit unsicheren Händen nahm sie den Käfig vom Boden auf und griff nach dem Korb. In der Arzneiküche angekommen, stellte sie alles achtlos auf einen der Tische und kramte in ihrer Tasche. Wenn sie nicht in der Badestube erschien, würde ihre Yiayia nach ihr suchen. Sie musste also nur den richtigen Zeitpunkt abpassen, damit alles so vor sich ging, wie sie es sich ausgemalt hatte. Sie steckte sich einige Fingerspitzen geraspeltes Süßholz in den Mund und kaute darauf herum. Dann kletterte sie auf einen Schemel und lugte durch das winzige Fenster, von dem aus man den Hof überblicken konnte. Sie musste nicht lange warten. Das Süßholz war kaum zu Brei zerkaut, da erschien die alte Frau auf der Schwelle der Badestube. Hastig spuckte Olivera den Brei aus und schürzte die Lippen, damit der durch das Kauen schaumig gewordene Speichel vor ihren Mund trat. Im Anschluss daran sprang sie zu Boden, schlang die Arme um ihren Oberkörper und atmete so schnell sie konnte ein und aus. Immer wieder und immer wieder, bis ihr schließlich schwarz vor Augen wurde. In dem Moment, in dem sie sich behutsam zu Boden sinken lassen wollte, schwanden ihr jedoch die Sinne. Die Beine knickten wie Strohhalme unter ihr weg und sie fiel nach hinten. Ihr Kopf schlug mit einem dumpfen Geräusch auf der Tischkante auf. Benommen registrierte sie einen stechenden Schmerz und ein klebriges Gefühl an ihrem Hinterkopf. Dann verlor sie das Bewusstsein.

      Kapitel 7

      Konstantinopel, Juli 1408

      Lange Zeit, nachdem die Tür der Arzneiküche hinter Olivera ins Schloss gefallen war, sah Laurenz sie in Gedanken immer noch vor sich stehen. Sah das Leuchten in ihren dunklen Augen, die Röte auf ihren Wangen und hörte ihre klingende Stimme. Wenn er einatmete, vermeinte er den Duft zu riechen, den sie verströmte. Die Wirkung, die sie auf ihn hatte, verunsicherte ihn. Das Verlangen, sie zu berühren und ihre köstlichen Lippen zu küssen, war so überwältigend, dass es wehtat. Sie brachte ganz eindeutig das Gleichgewicht seiner Körpersäfte durcheinander! Und sie war nicht nur schön, sondern auch klug. Ihr Latein war beinahe besser als seines – hatte er doch nur einige wenige Jahre auf der Tübinger Pfarrschule zugebracht. Was würde er dafür geben herauszufinden, ob sie auch in anderer Hinsicht eine so gute Schülerin war! Er stöhnte leise und rückte zum wiederholten Mal seine Männlichkeit zurecht. Als ob du noch nie eine Frau gesehen hättest!, schalt er sich. Er lenkte seine Gedanken auf etwas anderes und schnitt eine Grimasse, da der Versuch von keinem besonderen Erfolg gekrönt war. Warum hatte er ihr nur diesen Vogel kaufen müssen? Für einen halben Schilling hätte er sich besser die Dienste einer Dirne, eines Dutzend Dirnen, geleistet! Er biss die Zähne aufeinander und beschloss, sich mit einem erneuten Besuch des Marktes abzulenken. Einige der Dinge, die er dort gesehen hatte, ließen sich bestimmt in Tübingen für teures Geld weiterverkaufen. Schließlich wollten sich die Gemahlinnen der reichen Oberstädter genauso herausputzen wie die Damen aus Stuttgart – der Hauptstadt der Grafschaft Württemberg. Warum sollte er die Gelegenheit nicht beim Schopfe packen?

      Er schob die Hände in die Taschen seiner Schecke und kehrte lustlos zurück in den Hof, den er beinahe fluchtartig verlassen hatte. Er würde im Stall nach dem Rechten sehen und einem der Burschen befehlen, seinen Rappen zu satteln. Seine Zehen schmerzten. Ganz offensichtlich war er es nicht mehr gewöhnt, zu Fuß zu gehen. Dieses Mal würde er hoch zu Ross durch die Menge traben, anstatt sich den Weg mit den Ellenbogen freizukämpfen. Vielleicht würde ihm dann auch die Hitze etwas weniger zusetzen. In Oliveras Begleitung war ihm die sengende Sonne nicht ganz so unangenehm erschienen. Aber jetzt, allein im Hof, kam es ihm vor, als briete er in einem Ofen. Er wollte gerade eines der Stalltore öffnen, als ihn ein Ruf innehalten ließ. »Laurenz!« Die Stimme seines Gastgebers klang aufgeregt.

      »Laurenz!«, rief dieser erneut und fuchtelte wild in der Luft herum. »Kommt! Das müsst Ihr Euch ansehen!«

      Selbst aus der Ferne konnte Laurenz den Eifer auf den Zügen des Mannes erkennen. Was war denn nun schon wieder? Hatte der Goldschmied endlich seine lang ersehnten Elefantenzähne erhalten? Befremdet registrierte er, dass diese Aussicht ihn nicht mit


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