Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker

Das Salz der Friesen - Andreas Scheepker


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Verstand mit entsprechendem Mundwerk verfügte.

      Unterwegs erklärte er ihnen den Ablauf der Arbeit. Er wies ins Vorland, wo seine Leute bei Flut hinausruderten und sich bei Ebbe trockenfallen ließen, um im Watt die oberste Schlickschicht abzutragen und den darunter liegenden salzhaltigen Torf abzubauen. Er zeigte auf zwei Frauen, die ein Pferd mit sich führten. Das Pferd zog einen Wagen, den sie mit dunklem und schlickigem Torf beladen hatten.

      Zwei andere Frauen waren dabei, die vorige Lieferung zu verarbeiten. Barfuß zertraten sie die großen Torfsoden zu kleinen, flachen Stücken, die bei gutem Wetter durch Sonne und Wind trocknen konnten. In der Nähe der Anhöhe wurde der trockene Torf zu Asche verbrannt. Die pulverige Asche wiederum wurde mit Salzwasser befeuchtet, damit der Wind sie nicht wegwehte, und dann in der größeren der beiden Holzbuden gelagert.

      Der Siedemeister schob Rimberti und Fockena in die Holzbude. »Mit dem Jakobitag geht es dann weiter«, sagte er. »Mit dem Sieden fangen wir an, wenn wir genug Asche gelagert haben.«

      Er klopfte an einen von zwei großen Holzbottichen. »Hier laugen wir mit Brunnenwasser das Salz aus der Asche. Manche nehmen auch Meerwasser, aber mit süßem Wasser schmeckt das Salz hinterher nicht so bitter. Die Suppe kommt dann in diesen schönen Kochtopf.« An einer Kette hing die große eiserne Salzpfanne in eine Grube in der Mitte des Raumes.

      »Da unten machen wir ein schönes Feuerchen, und dann wird der Eintopf aufgesetzt. Zweimal muss er kochen. Beim ersten Mal schöpfen wir den Schaum und den Dreck ab, der sich oben absetzt. Und beim zweiten Mal kochen wir das Salz heraus. Je mehr Feuer wir geben, umso feiner und sauberer wird das Salz, das im Topf zurückbleibt. Ist das Wasser verdampft, holen wir das Salz heraus, und es kommt in die Holzfässer. Zuerst wird ins Umland geliefert, aber alles Übrige wird woandershin verkauft, Westfalen, Bremen, Hamburg.«

      »Wie viele Salzbuden gehören Berends und Boyen?«, erkundigte sich Rimerti.

      »In der Marsch gehört uns diese Bude hier. Aber das meiste Salz holen wir drüben von der Insel. Da haben wir zwei Buden«, erklärte der Siedemeister und zeigte in den übelriechenden Nebel Richtung Meer. »Bant. Die Insel gehört der Norder Kirche, und von dort aus wird sie an verschiedene Unternehmer verpachtet, die dort Salz sieden. Die Norder Kirche bekommt durch die Verpachtung Einnahmen. Zurzeit gibt es sechs Salzhütten, davon gehört eine Hilko Boyen und eine Jakob Sanders. Aber sie bewirtschaften sie zusammen, und diese hier«, dabei klopfte er an die Wand der Holzhütte, »die gehört beiden zusammen. Gehörte.« Er seufzte. »Aber wie das alles weitergeht, weiß ich auch nicht.«

      Fockena sagte: »Vielleicht wird Berend Sanders die Geschäfte weiterführen.«

      »De olle Suupmors?«, erwiderte der Siedemeister spöttisch. »Aber das meinte ich nicht. Ein neuer Deich soll in Westermarsch gebaut werden. Da wird neues Land gewonnen. Bauernland. Dann muss man sehen, wie das mit dem Salz weitergeht. Vielleicht wird bald nur noch auf der Insel weitergemacht. Es heißt, sie haben sogar angefangen, eine neue Anlegestelle zu bauen. Aber ich war lange nicht mehr auf Bant.«

      »Wie kommt man denn auf die Insel?«, fragte Rimberti, dem im selben Moment nicht nur deutlich wurde, wie töricht seine Frage war, sondern auch, dass er sich auf See noch unwohler fühlte als im Reitsattel.

      »Übers Wasser natürlich. Ab und zu fährt jemand hin und bringt Vorräte. In ein paar Tagen muss ich nach Bant. Wenn Ihr wollt, nehme ich Euch mit.«

      Am nächsten Tag studierte Lübbert Rimberti ein umfangreiches juristisches Gutachten der Rostocker Universität, in dem es um den rechtlichen Status zweier norddeutscher Reichsdörfer ging. Graf Enno hatte sich eine Abschrift anfertigen lassen. Rimberti hoffte, Parallelen zum geplanten Verkauf der Herrlichkeit Hillersum zu finden.

      Es klopfte, und die Haushälterin brachte eine Schüssel mit säuerlich riechendem Eintopf und mit viel Wasser verdünntes Bier. Dazu hartes, vertrocknetes Brot mit ranziger Butter. Im Salztopf war bräunliches, klumpiges Salz. Rimberti nickte ihr dankend zu und bemühte sich, freundlich zu lächeln. Dann machte er sich über seine kümmerliche Mahlzeit her, die genauso unangenehm schmeckte, wie sie roch. Rimberti verspürte dennoch keine Lust, in ein Wirtshaus zu gehen. Nach den Eindrücken der letzten Tage brauchte er Ruhe, um einen klaren Kopf zu bekommen.

      Rimberti sah aus dem Fenster in einen regnerischen Sommertag. Wuchtig ragten draußen die beiden hohen Türme der Andreaskirche auf, die ein weit sichtbares, wichtiges Seezeichen waren. Gleich neben der großen Stadtkirche stand die Ludgerikirche für die Norder Landbevölkerung. Die Ludgerikirche stand ihrer Schwester an Größe fast in nichts nach. Ihr Glockenturm, ein paar Schritte von der Kirche entfernt, war ebenfalls von beträchtlichem Umfang und Höhe, aber gegen seine beiden Nachbarn nahm er sich unbedeutend aus. Rimberti zeichnete mit Feder und Tinte eine Ansicht der Andreaskirche auf ein Blatt, auf dem er sich nur einige Stichworte notiert hatte.

      Er verspürte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Rimberti schrieb weiter, aber nach einiger Zeit kamen ihm weitere Fragen. Warum war Karlstadt aufgetaucht? Es hieß, er habe auf der Berumer Burg Unterkunft gefunden, weil der dortige Drost Iderhoff ihn persönlich eingeladen habe. Suchte Karlstadt hier nur eine Rast in seinem ruhelosen Wanderleben? Oder diente seine Anwesenheit einer anderen Absicht? Hatte Graf Enno Pläne mit ihm?

      Rimberti erinnerte sich, dass Frau Hiske von Melchior Hofmann gesprochen hatte. War etwas dran an den Gerüchten, dass Hofmann sich in Ostfriesland aufhielt? Rimberti hatte einige der Schriften des Kürschners aus Schwäbisch Hall gelesen, der als freier Prediger durch das Land zog und sich nun in Norddeutschland aufhalten sollte. Standen Karlstadt und Hofmann in Verbindung, oder war ihr gleichzeitiger Aufenthalt in Ostfriesland reiner Zufall? Im April hatte der Reichstag in Speyer strenge Gesetze gegen Sekten und neue Lehren verabschiedet. Die Wiedertäuferei wurde sogar mit dem Tode bestraft. Graf Enno würde in Schwierigkeiten geraten, wenn bekannt würde, dass er diese Männer mit ihren Anhängern in seinem Land duldete.

      Rimberti aß noch etwas von dem sauren Eintopf und trank das wässrige Bier aus. Gab es vielleicht sogar einen Zusammenhang zwischen den Aufenthalten Karlstadts und Hofmanns und dem anstehenden Verkauf der bedeutenden Herrlichkeit? Es gab nur einen Häuptling, der Leute wie Karlstadt oder Hofmann protegieren würde, und das war Ulrich von Dornum. Hatte Junker Ulrich Pläne mit Hillersum? Inwieweit konnten ihm Karlstadt und Hofmann, die jeder weltlichen und kirchlichen Obrigkeit ein Dorn im Auge waren, dabei helfen?

      Rimberti wurde es schwindelig. Ihm war übel. Er schloss die Augen. In seinem Kopf drehten sich Bilder: Karlstadt auf der Kanzel und die Mondsichelmadonna, das Feuer vor der Kirche und der beißende Qualm aus den brennenden Salztorfsoden, der ermordete Kaufmann im Sessel und der junge Tjark, der von seinem heimatlichen Hof träumte.

      Es klopfte. Rimberti öffnete die Augen und erhob sich. In seinem Bauch rumorte es. Die Haushälterin stand mit einer dampfenden Schüssel vor ihm. »Herr, ich wollte fragen, ob Ihr noch etwas von meinem Eintopf wünscht?«

      Rimberti wollte antworten, aber als er zum Sprechen ansetzte, überwältigte ihn heftige Übelkeit. Er entriss der Haushälterin die Schüssel und übergab sich.

      Sie sah ihn mit großen Augen an. »Hat Euch meine Suppe nicht geschmeckt?«

      In diesem Moment drängte Ulfert Fockena an der Haushälterin vorbei. Er warf einen Blick in die Schüssel. »Mir scheint, du hast dich heute selbst übertroffen mit deinen Kochkünsten. Das sieht viel besser aus als der Fraß, den du uns sonst bringst!«

      Der Frau stand der Mund offen. Bevor sie etwas erwidern konnte, beugte sich Fockena noch einmal über die Schüssel und stellte fest: »Und riechen tut es auch besser.« Er wandte sich an Rimberti: »Wir müssen in die Stadtwache. Sie haben etwas gefunden.«

      Er fasste Rimbertis Arm und führte ihn an der Haushälterin vorbei, die die Männer immer noch fassungslos anstarrte.

      »Etwas?«, fragte Rimberti.

      Fockena verbesserte sich: »Jemanden.«

      Fockena und Rimberti gingen über den Marktplatz in die Stadtwache. Draußen stand ein Wächter, dem Fockena zunickte.

      In der Diele saß ein Schreiber, der aufblickte, als die beiden Männer


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