Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker

Das Salz der Friesen - Andreas Scheepker


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»Drost Haiko Ibenga hat die Vorverhandlungen geführt. Dabei wurden alte Urkunden gesichtet, und es konnten einige Punkte geklärt werden. Leider stehen uns diese Dokumente zurzeit nicht zur Verfügung. Drost Ibenga hat sie bei sich.«

      »Gut, dann werde ich Haiko Ibenga aufsuchen und alles mit ihm besprechen.«

      »Das ist leider nicht möglich«, sagte Beninga. »Der Drost hat zum Jahresanfang eine Reise zum Hof nach Brüssel unternommen, und er ist noch nicht zurückgekehrt. Wir haben lange nichts von ihm gehört. Seine Familie hat aber Briefe von ihm erhalten, sodass wir hoffen, dass ihm unterwegs nichts geschehen ist.«

      »In diesem Fall hättet Ihr mit Sicherheit eine Nachricht bekommen«, stellte Rimberti fest. Er hoffte, in einem späteren Gespräch unter vier Augen mit Beninga die Dinge erörtern zu können, die ihm rätselhaft vorkamen und die in Gegenwart des Grafen wohl nicht offen angesprochen werden sollten.

      »Was willst du?«, herrschte Graf Enno einen Bediensteten an, der verlegen in der Tür stand und von seinem Vorgänger anscheinend zu höchster Zurückhaltung ermahnt worden war.

      »Der Amtmann ist hier. Es ist ein Mord geschehen.«

      Graf Enno winkte den im Hintergrund stehenden Amtmann herein, der nach einer kurzen Verbeugung gleich zur Sache kam: »Euer Gnaden, ein schreckliches Verbrechen ist geschehen. Kaufmann Sanders wurde ermordet in seinem Kontor aufgefunden.«

      »Jakob Sanders?« Graf Enno war sichtlich erschüttert, als der Amtmann mit einem Nicken die Bestätigung gab.

      »Sanders ist einer der wohlhabendsten Kaufmänner in Norden«, raunte Beninga Rimberti zu.

      Lübbert Rimberti nickte. Ihn ging die Sache eigentlich nichts an.

      Kapitel 4

      Lübbert Rimberti bewohnte zusammen mit seinem Schreiber drei Kammern in einem Nebengebäude des Hochgräflichen Hauses am Norder Markt. Das erste der beiden großen Zimmer diente Rimberti als Schreibstube. Ein Arbeitstisch mit Gesetzeswerken, Papier und Schreibgerät für ihn sowie ein kleinerer Tisch für seinen Schreiber waren aufgestellt. Das andere große Zimmer stand Rimberti als Schlafzimmer zur Verfügung, während der Schreiber in der kleineren Kammer untergebracht war. Eine Magd, die die Zimmer sehr sauber hielt, aber schlecht kochte, führte den Haushalt für die beiden.

      Im schwächer werdenden Tageslicht las Rimberti die wenigen Unterlagen, die über den geplanten Verkauf von Hillersum existierten. Die Gesetzesbücher aus der Bibliothek des Grafen lagen stumm und schwer vor ihm. Rimberti wusste, dass es nicht um Recht, sondern um die Durchsetzung von Ansprüchen ging.

      Die Glocken der Stadtkirche St. Andreas läuteten zum Abendgebet. Rimberti erhob sich von seinem harten Stuhl. Er wollte am Abendgottesdienst teilnehmen. Vielleicht würden ihm die Gesänge und Gebete helfen, etwas Abstand zu gewinnen und die Situation mit klarem Verstand zu durchdenken.

      Als er das Haus verließ, folgte ihm jemand. Rimberti drehte sich um und erkannte den Bediensteten des Grafen, den dieser am Nachmittag zum Stalldienst abkommandiert hatte.

      »Soll ich ein gutes Wort für dich einlegen?«, fragte Rimberti ihn. »Morgen treffe ich mit Graf Enno zusammen. Vielleicht kann ich etwas ausrichten.«

      »Das könnt Ihr jetzt schon«, antwortete der Diener verlegen. Man merkte dem groß gewachsenen, an den Schläfen ergrauten Mann an, dass es ihn beschämte, auf die Fürsprache anderer angewiesen zu sein. »Ich bitte Euch, mir ohne Aufsehen zu folgen.«

      Rimberti nickte und folgte dem Diener vorsichtig. »Wie lange bist du schon im Dienst des Grafen?«, fragte er.

      »Seit einem halben Jahr. Ich war vorher Mönch im Kloster Ihlow. Ich wollte frei sein. Nun bin ich von einem Gottesdiener zu einem Menschenknecht geworden.«

      Ennos Bediensteter lotste Rimberti in Richtung Hafen. Dann bog er in eine Lohne, die zum Neueweg führte. Bevor sie die Lohne verließen, schaute der Diener sich um. Weder hier noch auf dem Neueweg war jemand außer ihnen unterwegs. Sie betraten eines der erst vor Kurzem errichteten Häuser in dieser Straße, durch die das Norder Stadtgebiet nach Süden in Richtung Hafen erweitert worden war.

      Rimberti war nicht erstaunt, dass Graf Enno in der Upkamer des Hauses auf ihn wartete. Überraschender für ihn war, den Mann wiederzusehen, der neben ihm am Fenster stand: Ulfert Fockena. Er und Rimberti hatten im letzten Jahr Freundschaft geschlossen, als sie im Auftrag Graf Ennos den Tod eines Mönches aufklären und einen Klosterschatz wiederbeschaffen mussten. Fockena war Häuptling einer kleinen Herrlichkeit in der Nähe von Aurich und hatte Ennos Vater, Graf Edzard, viele Jahre als Offizier und Berater gedient. Aus Verbundenheit zu Edzard stand Fockena auch dessen Sohn Enno hin und wieder zur Seite.

      Rimberti deutete Fockenas für den Grafen nicht sichtbare Handbewegung als Zeichen, die Wiedersehensfreude nicht allzu deutlich zum Ausdruck zu bringen.

      »Ihr wundert Euch vielleicht, verehrter Herr Doktor Rimberti, dass ich Euch noch einmal rufen lasse«, begann Enno mit gespielter Herablassung.

      »Euer Diener hat mir nicht gesagt, wer mich erwartet. Er war überaus diskret«, antwortete Rimberti. »Aber ich nehme an, es geht um den Tod dieses Kaufmanns.«

      Ulfert Fockena grinste und zwinkerte Rimberti zu, während Graf Enno sichtlich erschrocken war, dass man ihn so leicht durchschaute.

      »Nun ja, Ihr habt mir während Eures letzten Aufenthaltes bei der Aufklärung eines rätselhaften Todesfalles geholfen«, setzte Graf Enno wieder an.

      »Und er hat Euch den Klosterschatz aus Bendiktshusen zurückgeholt«, unterbrach ihn Fockena mit dröhnender Stimme. Enno drehte sich verärgert zu ihm um.

      Rimberti antwortete: »Der Tod des Kaufmanns hat Euch beunruhigt.«

      »Jakob Sanders war nicht irgendein Kaufmann. Er genoss in besonderer Weise mein Vertrauen und meine Wertschätzung. Er hat als Delegierter eine Reihe recht vorteilhafter Handelsabkommen für uns abgeschlossen. Er war ein wichtiger Kontaktmann zu den Hansestädten und in den Niederlanden. Seine Schiffe fahren sogar in die Ostsee.«

      Rimberti hatte das Gefühl, dass in dieser Aufzählung etwas fehlte, das Ulfert Fockena später gewiss ergänzen würde.

      »Ich wäre Euch nicht undankbar«, fuhr Graf Enno fort, »wenn Ihr während Eures Auftrages in Ostfriesland, der sich sicherlich nicht nur in meinem Anliegen erschöpfen wird, sondern gewiss auch Angelegenheiten Eures Landesherrn zum Inhalt haben wird, etwas Licht in diese unerquickliche Angelegenheit bringen könntet.«

      Graf Enno wusste, dass Graf August von Kringenberg mehrere Höfe und andere Besitzungen in Ostfriesland zu eigen hatte. Lübbert Rimberti war als Beamter des Grafen für alle Verträge und juristischen Angelegenheiten dieser auswärtigen Besitztümer zuständig und hatte deshalb in größeren Abständen in Ostfriesland zu tun.

      Da Rimberti nicht sogleich reagierte, raunte ihm Enno zu: »Es wird gewiss nicht von Nachteil für Euch und für die Angelegenheiten des Grafen August sein.« Graf Enno wusste ebenfalls, dass Graf August von Kringenberg starkes Interesse daran hatte, Handelsschiffe unter seiner Flagge segeln zu lassen, aber über keinen Hafen verfügte. Rimbertis Landesherr war darauf angewiesen, dass Graf Enno ihm einen zur Verfügung stellte. Graf Enno bot also eine Art Geschäft an.

      Nun gut, dachte Lübbert Rimberti, das letzte Mal hatte Graf Enno Wort gehalten. Rechtsstreitigkeiten konnten im guten Sinne beigelegt werden, und mit einigen Kaufleuten aus der Grafschaft Kringenberg waren vorteilhafte Handelsverträge abgeschlossen worden.

      »Womit hat Sanders gehandelt?«, fragte er.

      »Mit allem«, antwortete der Graf eilig.

      Rimberti sah ihn an und antwortete nicht.

      Enno räusperte sich. »Seine Schiffe haben vor allem Wein, Honig und Obst hergebracht. Tuch und Waffen mitunter auch. Gehandelt hat er mit Korn, Butter, Fleisch und Fisch. Und Salz.«

      Der Graf hatte das letzte so betont beiläufig erwähnt, dass Rimberti hellhörig wurde.

      »Salz?«, fragte


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