Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous

Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous


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      Data Leaks

      Wer macht die Wahrheit?

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      Teil 1

      Happy Day

      Sie wollte die Welt sehen. Er installierte Google Earth.

      – Leukespreuken.nl

      Holden

      Den Tracker auf meinem Camphone habe ich zu Hause schon ausgeschaltet und nirgends sind Kameras oder mögliche Denunzianten zu sehen, die mich erwischen können. Nur ein schlichtes Schild mit strengen Buchstaben:

      ZUTRITT VERBOTEN. NATURSCHUTZGEBIET.

      Zum Spaß mache ich ein Camfie.

      Die Eisenstäbe unter meinen Füßen schwingen mit. Drei Schritte, dann habe ich den Wildrost überquert. Das Gelände ist rau, genau wie erhofft. Hohes Gras, dichtes Gestrüpp und hier und da eine Baumgruppe. Alles surrt und summt von Insekten.

      Wenn das ein stumpfsinniges Game wäre, würde jetzt ein Hubschrauber am Himmel auf‌tauchen. Paramilitäreinheiten würden sich abseilen und ihre Waffen auf mich richten.

      Aber das ist kein Game. Das ist echt. Das Rascheln der Blätter, der aufsteigende würzige Duft, der …

      Zwischen den Stämmen bewegt sich etwas!

      Mit klopfendem Herzen zwänge ich mich durchs Unterholz. Zweige piksen durch meine Hose und ein widerspenstiger Dornenzweig hinterlässt einen Kratzer auf meiner Hand. Ich merke es kaum und schlage mich weiter durch, bis ich zu einer Lichtung gelange.

      Achtung! Still jetzt.

      Ich verstecke mich hinter einem riesigen Ahorn und spähe am Stamm vorbei.

      Na bitte, ich habe mich nicht geirrt. Dahinten äst ein Hirsch!

      Mein Camphone auf das imposante Tier gerichtet, schleiche ich mich an. Die Umstände sind perfekt. Die Morgensonne legt eine sanfte Glut über das braune Fell und der Wind weht aus der richtigen Richtung. Solange ich den im Gesicht spüre, wird mich Herr Wapiti nicht riechen. Meine Arme zittern leicht vor Aufregung. Ich bin mir sicher: Das wird das beste Camfie, das ich je gemacht habe!

      Noch einen Schritt …

      Ein leises Knacken unter meinen Füßen.

      Ich erstarre – nein! –, aber es ist schon zu spät. Der Kopf mit dem gigantischen Geweih hebt sich und zwei Augen starren mich an.

       Husch!

      Noch bevor ich die Aufnahmetaste berühren kann, ergreift der Hirsch die Flucht.

      »Blödmann«, murmele ich. So eine Chance bekommst du nie wieder.

      Und da passiert’s.

      Vor lauter Frust stampfe ich mit dem Absatz auf. Offenbar trete ich etwas kaputt, denn plötzlich ist der feste Boden unter meinen Füßen verschwunden! Ich schreie und meine Hand sucht nach einem Strauch oder Zweig, doch da ist nichts, an dem ich mich festklammern kann, also rutsche ich pfeilschnell weiter, geradewegs nach unten in die Tiefe.

      Die Landung erfolgt früher als gedacht. Meine Fußgelenke sind dem Aufprall nicht gewachsen und knicken um, und obwohl ich noch einen ungeschickten Versuch starte, mich mit den Armen zu halten, donnere ich mit der Hüfte auf den Boden.

      Es tut weh. So gemein weh, dass ich einen Moment liegen bleiben muss, bis die schlimmsten Schmerzwellen verebbt sind. Unterdessen versuche ich, mich selbst zu beruhigen. Eigentlich habe ich noch Glück gehabt. Wenn mir das weiche Ding auf dem Boden nicht Kopf und Schultern gerettet hätte …

      Ich schicke meine Finger auf Erkundungstour.

      Eine Matratze, schätze ich, mit einem schmutzigen Schlafsack darauf.

      Als Pa Feuer fing, gab es nichts, das ihn schützte.

      Ich will mich aufrappeln, aber meine Muskeln zittern noch zu sehr vom Schreck des Aufpralls. Es fällt mir schon schwer, mich auf die Matratze zu ziehen und hinzusetzen. Ich fröstele und meine Zähne klappern unauf‌hörlich. Hier ist es kalt und dunkel wie in einem Keller – bloß liegen dort eher selten Matratzen.

      Ich lege mir den Schlafsack um. Staubteilchen kitzeln in meiner Nase und ich muss niesen.

      Ob das eine alte, illegale Deponie ist? Vielleicht hat jemand einfach einen Haufen Müll in eine unterirdische Höhle gekippt und dann Bretter über den Eingang gelegt, damit sie nicht auf‌fällt? Dieselben Bretter, auf die ich vorhin in meiner Wut gestampft habe, sodass …

      Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue nach oben zu dem Loch, durch das ich gefallen bin. Ein quadratisches Stück blauer Himmel, an das ich im Leben nicht heranreiche.

      Jetzt erst wird mir der Ernst der Situation so richtig bewusst.

      In verbotene Naturschutzgebiete kommt fast nie jemand.

      Und kein Mensch ahnt, dass ich hier bin.

      Prissy

      »Richtig schwimmen?«, fragt Flow. »Mit Wasser und allem, meinst du?« Sie macht ein Gesicht, als hätte ich etwas ganz Schreckliches vorgeschlagen. Nackt ins Kino gehen oder so.

      Ich nicke meinen Freundinnen auf dem Camphone-Display zu. »Park Pool ist anders. Wenn man erst einmal dort gewesen ist …«

      »Chlor ist schlecht für die Haut«, sagt Anna mit ihrer tiefen, heiseren Stimme.

      Brooklyn rümpft ihre sommersprossige Stupsnase. »Und man stinkt den ganzen Tag nach Schwimmbad.«

      Seufz.

      Ich lege den Kopf schief, als würde ich lauschen.

      »Mama ruft mich«, lüge ich und tippe mit meinem blau lackierten Fingernagel auf den Bildschirm.

      Camchat beendet.

      Das alte Schwimmbad hatte glanzlose Fliesen und die Duschräume waren voller Schimmel. Wirklich supereklig. Aber nach einer Weile werden sogar die übelsten Dinge selbstverständlich. Ich schaute einfach nicht mehr hin und dann sah ich es nicht mehr.

      Park Pool ist erst seit zwei Monaten eröffnet und längst noch nicht selbstverständlich für mich. Alles an und in diesem Gebäude blinkt und sprudelt. Die Fassade sieht aus wie ein lebensechtes Meeresaquarium mit schwimmenden Fischen und Anemonen, die sich in der Strömung wiegen. Der aufgesperrte Rachen eines Riesenhais bildet den Eingang.

      Kaum bin ich drin, leuchtet das ID-Bändchen an meinem Handgelenk kurz auf.

      Prissy Winters, fünfzehn Jahre und Abonnentin.

      Ich wurde identifiziert. Ein Piepston gibt den Weg frei.

      Ein langer Gang führt mich und die anderen Besucher automatisch zum Poolplatz. Aus den kleinen Lautsprechern an der Wand kommen Walgesänge. Total Zen, würde Mama sagen. Ich hätte lieber den neuen Song von Janx gehört als dieses einsame Gejammere und gehe schnell weiter.

      Der Poolplatz besteht aus einem Kreis blauer Mosaiksteinchen, in deren Mitte eine Säule nonstop Videos zeigt. Flirrende Pfeile weisen den Weg zum Schwimmbad, den Umkleiden und Schließfächern und zu Finding Nemo – ein Restaurant mit unendlich leckeren Algenshakes und Yummys mit Sushigeschmack. Ich schaue mir den neusten Werbespot auf dem Monitor an. In einer Sprechblase wie in einem Comic sagt ein Mädchen mit Muscheln im Haar: Heute ist Thunfisch im Angebot!

      Ich habe meinen Badeanzug zu Hause schon angezogen und gehe gleich weiter zu den Schließfächern.

      Sandalen aus. Reißverschluss auf.

      Gerade will ich aus der Hose steigen, als mein Camphone pingt.

      Hat Flow es sich überlegt? Das kann ich mir nicht vorstellen.

      Neugierig schaue ich auf das Display.

      Prissy Winters, oder?

      Ich runzele die Augenbrauen.


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