Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie

Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie


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      Rosalie sah ihn skeptisch an, verzog dann den Mund und fing an zu lachen.

      »Bien«, sagte Poirot und lachte mit.

      Wie zwei alte Freunde spazierten sie zurück zum Hotel.

      »Ich muss Mutter suchen«, sagte Rosalie, als sie in die kühle, dämmrige Lobby traten.

      Poirot ging in die entgegengesetzte Richtung, zur Terrasse mit Blick auf den Nil. Die Tischchen waren bereits für den Tee gedeckt, aber noch war es zu früh. Eine Weile sah er von oben auf den Fluss, dann bummelte er hinunter und durch den Garten.

      Ein paar Leute spielten in der prallen Sonne Tennis. Er blieb stehen, sah eine Zeitlang zu und kletterte schließlich den steilen Pfad nach unten. Und dort, auf einer Bank, von der aus man den Nil sehen konnte, entdeckte er plötzlich das Mädchen aus dem Chez Ma Tante. Er erkannte sie sofort. Das Gesicht, das er an jenem Abend gesehen hatte, hatte sich fest in sein Gedächtnis eingebrannt. Es hatte jetzt einen anderen Ausdruck. Das Mädchen war auch blasser und dünner, und manche Züge ließen auf eine tiefe Erschöpfung und einen elenden Gemütszustand schließen.

      Er trat ein paar Schritte zurück. Sie hatte ihn nicht gesehen. Er beobachtete sie eine Weile weiter, ohne dass sie seine Anwesenheit bemerkte. Ihr einer kleiner Fuß tappte ungeduldig auf den Boden. In ihren dunklen Augen schien eine Art Glut zu schwelen, ein düsterer Triumph zu lauern. Sie sah hinaus auf den Nil, auf dem weiße Segelboote vorbeiglitten.

      Ein Gesicht – und eine Stimme. An beide konnte er sich genau erinnern. Das Gesicht dieses Mädchens und die Stimme, die er vor kurzem gehört hatte, die Stimme des frischgebackenen Ehemanns …

      Und während er dastand und das ahnungslose Mädchen beobachtete, vollzog sich die nächste Szene des Dramas.

      Oben wurden Stimmen laut. Das Mädchen sprang von der Bank hoch. Linnet Doyle und ihr Mann kamen den Steilpfad herunter. Linnets Stimme klang glücklich und selbstsicher. Sie sah auch nicht mehr so angespannt und verkrampft aus. Linnet war glücklich.

      Jetzt ging das Mädchen vor der Bank ein, zwei Schritte auf sie zu. Die beiden blieben abrupt stehen.

      »Hallo, Linnet«, sagte Jacqueline de Bellefort. »Hier seid ihr also! Wir scheinen uns ja dauernd über den Weg zu laufen. Hallo, Simon, wie geht’s dir denn?«

      Linnet Doyle prallte mit einem kurzen Aufschrei zurück gegen den Felsen. Simon Doyles ebenmäßiges Gesicht war plötzlich wutverzerrt. Er schoss vor, als hätte er die schmale, mädchenhafte Gestalt am liebsten verprügelt.

      Die rasche, vogelartige Drehung ihres Kopfes signalisierte, dass sie jemand Fremdes bemerkt hatte. Auch Simon drehte den Kopf herum, sah Poirot und sagte linkisch: »Hallo, Jacqueline, wir hatten nicht damit gerechnet, dich hier auch zu treffen.«

      Es klang höchst unglaubwürdig.

      Das Mädchen bleckte strahlend weiße Zähne. »Eine ziemliche Überraschung, hm?« Dann stieg sie, mit einem kurzen Nicken, den Steilpfad hinauf.

      Poirot nahm dezent die entgegengesetzte Richtung, hörte im Gehen aber Linnet Doyle noch sagen: »Simon – um Gottes willen! Simon – was sollen wir denn machen?«

      Drittes Kapitel

      Das Dinner war beendet, die Terrasse des Hotel Cataract sanft erleuchtet, und die meisten Hotelgäste hatten an den kleinen Tischen Platz genommen.

      Auch Simon und Linnet Doyle kamen heraus, neben sich einen großen grauhaarigen Mann aus gutem Hause mit einem glattrasierten, aufgeweckten amerikanischen Gesicht. Die kleine Gruppe stand zögernd in der Tür, als Tim Allerton aufsprang und auf sie zuging.

      »Sie erinnern sich sicher nicht mehr an mich«, sagte er liebenswürdig zu Linnet, »aber ich bin Joanna Southwoods Cousin.«

      »Natürlich – wie dumm von mir! Sie sind Tim Allerton. Mein Mann«, ein leises Zittern in der Stimme – vor Stolz? Schüchternheit? »Und mein amerikanischer Treuhänder, Mr Pennington.«

      »Ich muss Sie mit meiner Mutter bekanntmachen«, erwiderte Tim.

      Ein paar Minuten später saßen sie alle zusammen an einem Tisch – Linnet am einen Ende, eingerahmt von Tim und Pennington, die gleichzeitig auf sie einredeten und um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Mrs Allerton unterhielt sich derweil mit Mr Doyle.

      Die Schwingtür flog auf, und das wunderschöne aufrechte Wesen zwischen den beiden Männern am Ende des Tischs schien sich jäh anzuspannen, entspannte sich aber wieder, als ein kleiner Mann heraustrat und quer über die Terrasse ging.

      Mrs Allerton sagte: »Sie sind nicht die einzige Prominenz hier, meine Liebe. Der komische Knirps ist Hercule Poirot.«

      Sie hatte es fast beiläufig gesagt, einfach aus Taktgefühl, um eine peinliche Pause zu überbrücken, aber Linnet war anscheinend tief beeindruckt. »Hercule Poirot? Natürlich – ich habe von ihm gehört …«

      Dann schien sie in Grübeln zu versinken, und die beiden Männer neben ihr waren eine Zeitlang abgemeldet.

      Poirot war bis zum anderen Ende der Terrasse gegangen, aber dort wurde er sofort mit Beschlag belegt.

      »Setzen Sie sich doch, Monsieur Poirot. Was für ein schöner Abend!«

      Er gehorchte. »Mais oui, Madame, wirklich ein wunderschöner Abend.« Er schenkte Mrs Otterbourne ein höfliches Lächeln. Was für ein schwarzes Chiffon-Geschlinge, und dieser alberne Turbanstil!

      Mrs Otterbourne plapperte weiter mit ihrer hohen, nörgelnden Stimme. »Eine ganze Menge Berühmtheiten hier zurzeit, nicht wahr? Ich sehe uns schon alle in der Zeitung stehen. Schönheiten der ersten Gesellschaft, berühmte Roman –« Sie unterbrach ihre Rede für einen gespielt bescheidenen, kurzen Lacher.

      Poirot spürte eher, als dass er sah, wie das Mädchen ihm gegenüber zusammenzuckte und den Schmollmund noch tiefer nach unten zog. »Sie haben derzeit einen Roman in Arbeit, Madame?«, fragte er zurück.

      Mrs Otterbourne lachte noch einmal in ihrer selbstgefälligen Art. »Ich bin grässlich faul. Ich muss wirklich wieder dran. Meine Leser drängeln ja so schrecklich – mein Verleger auch, der arme Mann! Mahnungen mit jeder Post! Sogar telegraphische!«

      Wieder spürte er, wie das Mädchen im Dunkeln zusammenzuckte.

      »Ihnen kann ich’s ja sagen, Monsieur Poirot, ich bin hier auch wegen des Lokalkolorits. ›Schnee im Antlitz der Wüste‹ – so heißt mein nächstes Buch. Stark – gefühlvoll. Schnee – in der Wüste – schmilzt beim ersten flammenden Hauch der Leidenschaft.«

      Rosalie stand auf, murmelte etwas und verschwand in den dunklen Garten.

      Mrs Otterbourne plapperte mit so nachdrücklichem Kopfnicken weiter, dass der Turban wippte. »Stark muss man sein. Und starker Tobak – das sind ja auch meine Bücher – darum geht’s. Sie stehen auf dem Index in Bibliotheken – egal! Ich sage die Wahrheit. Sex – ja! Monsieur Poirot, warum hat alle Welt so viel Angst vor Sex? Er ist der archimedische Punkt des Universums! Haben Sie meine Bücher gelesen?«

      »Leider nein, Madame! Sie müssen wissen, ich lese kaum Romane. Meine Arbeit –«

      Mrs Otterbourne fuhr energisch dazwischen. »Ich muss Ihnen ›Unter dem Feigenbaum‹ geben. Ich glaube, Sie erkennen seine Bedeutung. Das Buch ist sehr unverblümt – aber es ist die Wirklichkeit

      »Sehr freundlich von Ihnen, Madame. Ich werde es mit Vergnügen lesen.«

      Eine Weile schwieg Mrs Otterbourne, nestelte an der doppelreihigen langen Klunkerkette, die ihr am Hals baumelte, und sah nervös um sich. »Ach, vielleicht – ich springe rasch und hole es Ihnen.«

      »Was ist denn, Mutter?« Rosalie stand plötzlich neben ihr.

      »Nichts, Liebling. Ich will nur rasch hoch und ein Buch für Monsieur Poirot holen.«

      »Den ›Feigenbaum‹? Ich hole es.«

      »Du


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