Der Tod auf dem Nil. Agatha Christie

Der Tod auf dem Nil - Agatha Christie


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Vielleicht finde ich das ja auch. Jedenfalls habe ich bisher noch niemandem die Frau oder die Braut ausgespannt.«

      »Ich bin überzeugt, so etwas würdest du auch nie tun«, erwiderte sie und setzte resolut hinterher: »Ich habe dich nämlich zu Anstand erzogen.«

      »Also ist es dein Verdienst, nicht meins.« Er lächelte sie liebevoll spöttisch an, faltete den Brief zusammen und steckte ihn wieder ein.

      Mrs Allerton durchfuhr ein kleiner Gedankenblitz: Meistens zeigt er mir seine Briefe. Aber aus denen von Joanna liest er mir immer nur Stückchen vor. Sie schob ihn sofort wieder beiseite und beschloss, wie gewohnt Dame zu bleiben. »Ist denn Joanna sonst zufrieden mit ihrem Leben?«

      »So lala. Sie schreibt, sie überlegt, ob sie ein Feinkostgeschäft in Mayfair aufmachen soll.«

      »Sie behauptet doch ständig, sie sei abgebrannt«, sagte Mrs Allerton eine Spur boshaft. »Dabei ist sie immer überall dabei, ihre Garderobe muss eine Stange Geld kosten. Sie ist immer tipptopp gekleidet.«

      »Tja, ja«, sagte Tim, »wahrscheinlich bezahlt sie sie gar nicht. Nein, Mutter, ich meine nicht, was du jetzt denkst, mit deinen Ansichten aus dem letzten Jahrhundert. Ich meine einfach, sie bezahlt buchstäblich die Rechnungen nicht.«

      Mrs Allerton seufzte. »Ich verstehe immer noch nicht, wie die Leute das hinkriegen.«

      »Das ist eine besondere Begabung. Wenn du extravagant genug bist und Geschmack hast, aber absolut kein Gefühl für den Wert von Geld, dann geben die Leute dir jeden Kredit.«

      »Ja, nur am Ende stehst du vor Gericht wegen Bankrott wie der arme Sir George Wode.«

      »Du hast ein Faible für den alten Rosstäuscher – wahrscheinlich nur, weil er dich mal Rosenknospe genannt hat, beim Tanztee 1879.«

      »1879 war ich noch gar nicht geboren«, konterte Mrs Allerton. »Sir George hat bezaubernde Manieren, und ich wünsche nicht, dass du ihn Rosstäuscher nennst.«

      »Ich habe schräge Sachen über ihn gehört, von Leuten, die es wissen müssen.«

      »Du und Joanna, ihr erzählt alles Mögliche über andere Leute, Hauptsache, es ist gehässig.«

      Tim zog die Augenbrauen hoch. »Meine Liebe, du bist ja richtig in Rage. Ich wusste gar nicht, dass der alte Wode so einen Stein bei dir im Brett hat.«

      »Du weißt ja auch nicht, wie schwer es ihm gefallen ist, Wode Hall zu verkaufen. Er hat furchtbar daran gehangen.«

      Tim verkniff sich eine Retourkutsche. Mit welchem Recht hätte er ihn auch verurteilen sollen? Er sagte nur nachdenklich: »Na ja, da liegst du, glaube ich, nicht ganz falsch. Linnet hat ihn mal eingeladen, damit er sich ansehen kann, was sie daraus gemacht hat, aber er hat das ziemlich brüsk abgelehnt.«

      »Natürlich. Sie hätte ihn gar nicht einladen dürfen.«

      »Er ist, glaube ich, auch ziemlich sauer auf sie – er brummelt immer in seinen Bart, wenn er sie sieht. Er wird ihr nie verzeihen, dass sie ihm so einen absoluten Spitzenpreis gezahlt hat für seinen wurmstichigen Familienbesitz.«

      »Verstehst du das etwa nicht?« Auch Mrs Allerton klang sauer.

      »Offen gestanden, nein«, antwortete Tim ruhig. »Warum in der Vergangenheit leben? Warum an etwas kleben, das mal gewesen ist?«

      »Was würdest du denn an dessen Stelle setzen?«

      Er zuckte die Schultern. »Etwas Aufregendes vielleicht. Das Neue. Das Vergnügen, nie genau zu wissen, was so wird von einem Tag auf den anderen. Und anstelle eines geerbten nutzlosen Stücks Land den Spaß, sein Geld selbst zu verdienen – mit dem eigenen Grips und der eigenen Tüchtigkeit.«

      »Und erfolgreicher Börsenspekuliererei, meinst du wohl!«

      Er lachte. »Warum denn nicht?«

      »Und was ist, wenn du dabei genauso tüchtig verlierst

      »Das, meine Liebe, war jetzt ausgesprochen taktlos. Und heute auch ausgesprochen unpassend … Was ist denn nun mit dem Projekt Ägypten?«

      »Nun ja –«

      Er ließ sie gar nicht weiterreden, sondern sagte lächelnd: »Also abgemacht. Wir wollten beide immer schon mal nach Ägypten.«

      »Wann soll’s denn sein?«

      »Na, im nächsten Monat. Januar soll da die beste Zeit sein. Wir dürfen uns also noch ein paar Wochen der reizenden Gesellschaft dieses Hotels hier erfreuen.«

      »Tim!«, sagte Mrs Allerton tadelnd. Und fügte schuldbewusst hinzu: »Ich habe leider Mrs Leech versprochen, dass du mit ihr auf die Polizei gehst. Sie versteht doch kein Wort Spanisch.«

      Tim verzog das Gesicht. »Geht’s um den Ring? Den blutroten Rubin der Tochter des Hauses Leech, auch genannt Pferdeegel? Beharrt sie immer noch darauf, dass er gestohlen wurde? Ich tu’s, wenn du das möchtest, aber es ist Zeitverschwendung. Sie wird bloß einem armen gebeutelten Zimmermädchen Scherereien machen. Ich habe ihn mit Sicherheit an ihrem Finger gesehen, als sie an dem Tag baden gegangen ist. Er ist ihr im Wasser abgerutscht, und sie hat es nicht gemerkt.«

      »Sie sagt, sie ist ganz sicher, dass sie ihn vorher abgezogen und auf den Toilettentisch gelegt hat.«

      »Tja, hat sie aber nicht. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen. Die Frau ist überkandidelt. Jede Frau, die im Dezember ins Meer stolziert und sich einbildet, es wäre ganz warm, bloß weil zufällig gerade mal die Sonne scheint, ist überkandidelt. Mollige Frauen sollten sowieso nicht baden dürfen, die sehen in Badeanzügen einfach unappetitlich aus.«

      Mrs Allerton brummte zurück: »Ich werde das Gefühl nicht los, ich soll das Baden auch bald lassen.«

      Tim lachte laut auf. »Du? Du steckst die meisten jungen Dinger in die Tasche.«

      Mrs Allerton seufzte, sagte dann aber: »Ich fände es ja schöner, wenn hier ein bisschen mehr Jugend für dich wäre.«

      Tim Allerton schüttelte energisch den Kopf. »Ich nicht. Du und ich, wir kommen hier auch ohne Ablenkung von außen ganz gut zurande.«

      »Du hättest doch Joanna gern hier.«

      »Hätte ich nicht.« Es kam unerwartet heftig. »Da liegst du völlig falsch. Ich finde Joanna amüsant, aber ich mag sie eigentlich nicht, und ihre Anwesenheit geht mir ziemlich bald auf die Nerven. Ich bin froh, dass sie nicht hier ist. Ich wäre auch nicht untröstlich, wenn ich sie nie wiedersehen dürfte.« Und fast unhörbar fügte er hinzu: »Es gibt nur eine Frau auf der Welt, für die ich wirklich Hochachtung und Respekt empfinde, und ich denke, Mrs Allerton, Sie wissen genau, wer diese Frau ist.«

      Mrs Allerton wurde rot und sah ziemlich verwirrt drein.

      Tim erklärte ernst weiter: »Es gibt nicht sehr viele wirklich nette Frauen auf der Welt. Du bist nun mal eine davon.«

      IX

      In einem Apartment in New York mit Blick auf den Central Park rief Mrs Robson laut: »Wenn das nicht einfach wunderbar ist! Du bist wirklich ein Glückspilz, Cornelia!«

      Cornelias erste Antwort war, rot anzulaufen. Sie war dick und etwas trampelig und hatte braune Hundeaugen. »O ja, das wird wunderbar!«, keuchte sie endlich.

      Die alte Miss Van Schuyler neigte beifällig den Kopf, denn die armen Verwandten hatten reagiert, wie es sich gehörte.

      »Ich habe immer von einer Europareise geträumt«, seufzte Cornelia, »aber ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich mal dorthin komme.«

      »Miss Bowers fährt natürlich auch mit, wie üblich«, sagte Miss Van Schuyler, »aber als Gesellschafterin finde ich sie doch beschränkt – sehr beschränkt. Es gibt eine Menge Kleinigkeiten, die Cornelia für mich erledigen kann.«

      »Von Herzen gern, Cousine Marie«, sagte Cornelia beflissen.

      »Gut, gut, dann ist das abgemacht«, sagte Miss Van Schuyler.


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