Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer

Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer


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in sich hinein. Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie an Julies Zimmertür klopfte. Julie fragte sich, wieso sie überhaupt auf die Idee gekommen war, dass Pamela ihre Zeitpläne und Wünsche respektieren würde. Die Tür öffnete sich, Pamela stand im Zimmer. Julie reagierte nicht, sondern sah angestrengt vor sich auf den Leuchttisch.

      „Ich will dich nicht stören, hast du vielleicht etwas zu lesen für mich?“

      „In der Küche liegen Zeitungen.“

      „Ich sehe schon, du bist nicht gut drauf.“

      „Wundert dich das?“ Julie sah Pamela kalt an.

      „Nein, ist schon gut. Du Arme. Ich werde in Christians Zimmer warten, bis die Wäsche fertig ist.“

      Wie genüsslich sie „du Arme“ und „Christians Zimmer“ ausgesprochen hatte.

      „Ich habe mir einen der Äpfel genommen. Ist das in Ordnung?“

      „Du kannst alles essen, was du findest“, und hoffentlich erstickst du daran, fügte Julie in Gedanken an.

       15

      Diplompsychologe Herwig Blicker analytische Einzel-, Paar- und Gruppentherapie war auf dem goldfarbenen Schild an der Tür zu lesen. Der automatische Türöffner surrte, dann knackte das Messingschloss. Julie stand in einem breiten Flur. Die Wände waren mit dunkel lasiertem Holz getäfelt und ein schokobrauner, dicker Teppichboden schluckte den Klang der Schritte. Es war finster und gruselig.

      „Hallo?“ Langsam ging sie durch den langen Gang bis zur Empfangstheke an dessen Ende. „Hallo?“ Bisher hatte Julie angenommen, Empfangstheken seien am Eingang sinnvoller platziert, aber als Diplompsychologe musste es Herwig Blicker ja wissen. In diesem Fall war es sowieso egal, wo die Rezeption aufgebaut war, da keiner dahinter stand. Durch eine angelehnte Tür drang leise Klaviermusik. Da alle anderen Türen geschlossen waren, nahm Julie an, es sei das Wartezimmer und ließ sich in einen der schweren, braunen Ledersessel plumpsen. Aus dem Raum nebenan waren gedämpft Stimmen zu hören. Ihr war beklommen zumute, weshalb sie froh war, als zehn Minuten später Christian kam. Sie begrüßten sich flüsternd, obwohl beide nicht wussten, warum sie flüsterten, schließlich waren sie alleine. Christian schloss die Augen und hörte der Musik zu, Julie blätterte in den Zeitschriften, die auf dem niedrigen Tisch auslagen: „Finanzplan“, „Wohnung und Bau“, „Der Bauplan“, „Creditforum“. Herr Blicker war offensichtlich mit der Finanzierung einer Wohnung oder eines Hauses beschäftigt.

      Leise und unbemerkt hatte sich die Verbindungstür geöffnet. Wie ein Gespenst erschien Herwig Blicker im Türspalt zum nebenan liegenden Raum. Groß und schlaksig trug er das farblose, schüttere Haar bis zur Schulter, wodurch es noch dünner wirkte. Seine Augen waren von einem wässrigen Blau, die Haut auffallend bleich und wabbelig. Julie schätzte ihn auf Mitte bis Ende 30. Sein schlaffer Händedruck erinnerte sie an feuchtwarmes Fensterleder. Blicker lächelte zwar, sah dabei aber durch sie hindurch. Seine Stimme war berufsmäßig ruhig, gleichmäßig und vermittelte Distanz.

      Im Sprechzimmer nahmen Julie und Christian auf dem weißen Ledersofa Platz, das inmitten der schwarzen Einbauschränke und Bücherregale aus Tropenholz verloren wirkte. Auf den Brettern standen die gesammelten Werke von Freud und Jung sowie eine Reihe moderner psychologischer Lehrbücher. Keines der Bücher sah benutzt aus. Ob er in einem der Bücher nach Julies Anruf unter dem Stichwort Homosexualität nachgeschlagen hatte?

      Die Couch war eng für zwei Personen, zu eng. Christian und Julie saßen so nahe nebeneinander, dass sie sich nicht ansehen konnten, denn bei der kleinsten Wendung hätten sie sich berührt. Herwig Blicker versank in dem einzigen Sessel des Zimmers schräg gegenüber dem Sofa am Fenster.

      „Nun, Frau Eichberg-Frey, Sie haben mich angerufen und mir das Problem angedeutet. Könnten Sie vielleicht genau schildern, was Sie zu mir führt?“

      „Ich denke, das kann Ihnen mein Mann besser erklären.“

      Herwig Blicker wendete sich mit einem Lächeln Christian zu.

      „Herr Frey, worum geht es genau?“

      „Ich bin schwul“, Christians Worte klangen trotzig.

      „Können Sie mir erläutern, seit wann Sie schwul sind?“

      Tränen stiegen Christian in die Augen.

      „Darüber möchte ich nicht reden.“

      Als Julie nach endlosen Minuten sicher war, dass er nichts sagen würde, begann sie zu erzählen, von ihrer Ehe und den letzten Tagen. Blicker notierte ihre Ausführungen in Stichpunkten auf einem großen Block, den er in ein Schreibbrett gespannt auf seinen Knien hielt. Nach 40 Minuten sah er auf die Uhr.

      „Die Sitzung ist jetzt fast um. Herr Frey, stimmen Sie mit dem Gesagten überein?“

      Christian schluchzte ein „Ja“. Julie fühlte sich schlecht, als sie merkte wie er sich quälte. Oder wie sie ihn mit der Sitzung quälte? Hätte sie ihn nicht zu diesem Schritt überreden dürfen? Aber für sie selber war das Treffen wichtig.

      Endlich sprach Christian: „Ich fühle mich wie ein Schwerverbrecher, der in die Ecke gedrängt wird, um seine Schuld einzugestehen.“

      „Herr Frey, würde es Ihnen leichter fallen zu reden, wenn Sie alleine zu mir kämen?“

      „Ich weiß nicht.“ Christian zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Tränen ab.

      „Frau Eichberg-Frey, wäre es für Sie in Ordnung, wenn wir die nächsten Stunden als Einzelsitzungen gestalten?“

      „Ja, natürlich.“ Julie war alles recht, Hauptsache Christian würde sich darüber klar werden, ob er schwul war oder ob es andere Probleme zwischen ihr und ihm gab.

       16

      War Christian zu Hause, verließ er kaum sein Zimmer. Julie dagegen verbrachte, wenn sie wusste, er war da, viel Zeit in der Küche, um ihn wenigstens zu sehen, wenn er aus seinem Zimmer trat oder die Wohnung verließ. Sie sprachen wenig miteinander, Christian hatte sich völlig zurückgezogen. Die Lebensmittel kauften sie getrennt ein, ohne sich abzusprechen.

      Als er jetzt in die Küche kam, um sich Saft aus dem Kühlschrank zu holen, las Julie Zeitung. Er zögerte, ging aber zum Kühlschrank. „Ich werde ein paar Tage weg sein.“ Sie sah erst auf, als er stockte. „Ich fahre nach Paris.“ Sie wusste, auch ohne dass er weitersprach, dass er dort den Musiker besuchen würde. Julie ging mit schnellen Schritten in ihr Zimmer und schlug die Tür mit aller Gewalt zu. Mit einem Mal war die äußere Ruhe und Gefasstheit weg und ihre ganze unterdrückte Wut kam zum Ausbruch. Sie schrie, riss Bücher aus dem Regal und warf sie gegen die Wand. Ihr Blick fiel auf das Telefon. In ihrer Ohnmacht schleuderte sie den Apparat gegen die Tür. Die Glasscheibe zerbarst und landete zersplittert samt Telefon im Gang. Julie stand wie angewurzelt in der Mitte des Zimmers und blickte durch den leeren Türrahmen auf den Scherbenhaufen, als Christian totenbleich aus der Küche kam. Er zog seine Jacke an und flüsterte: „Ich habe Angst vor dir, große Angst.“ Dann verließ er die Wohnung.

      Julie kannte sich selbst nicht mehr. Hatte sie es geschafft, ihn endgültig von sich weg zu treiben? War jetzt alles zwischen ihnen zerstört? Sie holte Schaufel und Besen und begann mechanisch, die Bruchstücke zusammenzukehren. Eigentlich war sie froh, dass das Glas kaputt gegangen war, der Lärm hatte sie zur Vernunft gebracht. Wer weiß, was sie sonst noch zertrümmert hätte. Gleich morgen würde sie beim Glaser anrufen, um eine neue Scheibe zu bestellen. Als sie das Telefon aufhob, war kein Freizeichen zu hören, im Inneren des Apparates klapperte es. Jetzt konnte Christian sie nicht einmal mehr telefonisch erreichen, falls er das überhaupt wollte. In ihren Schmerz mischte sich wieder Groll. Das Geld für den Glaser würde sie vom gemeinsamen Konto nehmen, schließlich wollte ER ja von ihr weg. Schließlich war ER doch an allem schuld. Sollte ER doch zahlen. Nur einen Moment später schämte sie sich für ihre Gedanken. Sie spürte doch, dass Christian genauso trauerte wie sie. Aber anstatt sich von Stimmungsschwankungen hinreißen zu lassen, wie Julie, kapselte er sich von ihr und gemeinsamen Freunden ab.

      


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