Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer

Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer


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Eltern kommen? Ganz allgemein hätte sie sich von ihm mehr Konfliktbereitschaft gewünscht. Auch wenn sie und Christian unterschiedlicher Meinung waren, gab er meist nach und sie wusste nie, ob er etwas ihr zuliebe tat, weil er es wirklich tun wollte, oder weil er Auseinandersetzungen lieber aus dem Weg ging. Und Julie konnte seine Unpünktlichkeit nicht leiden, während er ihre Überpünktlichkeit völlig fehl am Platz fand. Wie oft hatte sie sich geärgert, wenn sie mit den Karten vor dem Kino eine viertel Stunde auf ihn warten musste, um hechelnd im letzten Moment die schlechtesten Plätze einzunehmen.

      ***

      Auf einem Tablett brachte Sophie die gefüllten Suppenteller und einen Korb mit Weißbrot. Während sie die Gemüsesuppe löffelten, erzählte Julie, was ihr durch den Kopf gegangen war.

      „Was du erzählst sind Kleinigkeiten. Bei allen Paaren gibt es Unterschiede und Punkte, die den anderen nerven. Waren noch andere Sachen?“

      Julie wand sich. „Naja, ich glaube, ich habe Christian mehrmals enttäuscht. Er hat es nie angesprochen, aber ich habe es gespürt. Als er unter großem Druck an den letzten Kapiteln seiner Diplomarbeit schrieb, waren die Drucker im Computerraum der Uni defekt. Er hat mich zu Hause angerufen: Julie, könntest du unseren Drucker abbauen und mit dem Fahrrad bringen, weil ich hier ein Programm benutzte, das nicht auf unserem Computer läuft? Ich habe gemurrt und mich geweigert, nicht nur weil ich Angst um den Drucker hatte, es hätte ja irgendetwas verstellt werden können, so dass ich später Schwierigkeiten bei der Arbeit bekommen hätte, sondern weil ich so müde war. Ich war kurz zuvor nach Hause gekommen und hatte mich gerade zu einem Mittagsschlaf hingelegt, als das Telefon bimmelte. Als Christian den Telefonhörer einhängte, habe ich gespürt wie traurig er war. Ich habe mich schlecht gefühlt. Warum hatte ich ihm den Gefallen nicht getan, wo er doch immer alles für mich gemacht hat. Doch ich konnte ihn nicht zurückrufen, weil er aus einer Telefonzelle angerufen hatte. Ich habe einfach über etwas bestimmt, das uns gemeinsam gehörte. Gleichzeitig war ich verärgert, weil Christian nicht auf seinen Standpunkt beharrt oder sich auf einen Konflikt eingelassen hatte. Warum hatte er nicht einfach gesagt, dass er den Drucker ganz dringend braucht und dass ich mich mies verhalte? – Wenig später gab es noch so eine Situation, und zwar bei der Abgabe seiner Diplomarbeit, am letztmöglichen Tag versteht sich, du kennst ihn ja. Als er die Arbeit seinem Professor gab, schlug der sie auf, und drehte die Arbeit um, weil der Text auf dem Kopf stand. Er blätterte um, und sie stand wieder auf dem Kopf. Christian hatte beim Binden die Blätter durcheinander gebracht. Geistesgegenwärtig hat er dem Professor gesagt, dass es ihm leidtue und er ausgerechnet das falsch gebundene Exemplar erwischt hätte. Er würde das richtige Exemplar in zwei Stunden nachliefern. Natürlich gab es kein richtig gebundenes Exemplar. Er ging zum Kopierladen, hat die Arbeit aufgeschnitten, die Seiten sortiert und neu geleimt. Als Christian es mir erzählte, hatte ich überhaupt kein Verständnis dafür. Wie konnte das passieren! Er hat gemeint: Dir passiert ja nie ein Fehler, und ich habe gekontert: Jedenfalls nicht so oft wie dir. Hinterher haben wir beide unser Verhalten bedauert. Und als Christian mir sagte, dass er die Probezeit bei seinem ersten Arbeitgeber nach dem Studienabschluss nicht bestanden hätte, spürte ich das erste Mal, dass er Angst hatte, mir etwas zu sagen. Er fühlte sich wie ein Versager, obwohl ich ihn vor den Eltern und allen anderen in Schutz nahm. Immer. Für mich war am schlimmsten, dass er so traurig war und dass ich ihm nichts von dem elenden Gefühl nehmen konnte.“

      Sophie öffnete eine zweite Flasche Bordeaux, Julie sah ihr hypnotisiert zu.

      „Die Rotweinflasche … vor vielleicht drei Wochen wollte ich ins Badezimmer; ich wusste, dass Christian in der Wanne lag, wollte aber etwas holen. Es war abgeschlossen. Das erste Mal in all den Jahren war abgeschlossen! Und er hat keine Anstalten gemacht aufzusperren. Ich sah, dass die Kabel der Lautsprecherboxen unter der Tür hindurch führten und hörte klassische Musik. Später kam er mit Kerzen und einem leeren Rotweinglas heraus.“

      Sophie hatte geduldig zugehört. „Ich bin mir ganz sicher, dass das Problem nicht die angebliche Homosexualität ist. Irgendetwas steht zwischen euch. Du musst herausbekommen, was es ist. Ihr solltet einen Ehetherapeuten aufsuchen.“

      Julie war verblüfft. „Du bist genial! Wieso bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das ist die beste Idee überhaupt.“ Dann fügte sie verunsichert zu: „Aber was mache ich, wenn Christian nicht mitgehen will?“

      „Er muss mit. Das ist er dir schuldig.“

      „Wenn er das Wort müssen hört, geht überhaupt nichts. Dann entzieht er sich komplett.“

      „Er wird mitgehen. Sag ihm, du kannst sonst die Geschichte nicht verarbeiten. Sprich heute noch mit ihm.“

      „Das geht nicht. Er übernachtet bei einem Musiker, den er gestern kennen gelernt hat.“

      „Wer weiß, ob das stimmt. Vielleicht hat er die Geschichte mit dem Musiker erfunden.“

      Sophie war um den Tisch gegangen und drückte Julie. „Sei nicht traurig, aus irgendeinem Grund tobt er sich aus. Es kommt wieder in Ordnung, bestimmt.“

      Nach der zweiten Rotweinflasche schöpfte Julie entgegen besserem Wissen ein bisschen Zuversicht. Sophie weigerte sich so vehement, die Homosexualität von Christian zu akzeptieren, dass Julie auf dem Nachhauseweg geneigt war, an die Vermutung ihrer Freundin zu glauben. Vielleicht gab es wirklich ein verborgenes Problem zwischen ihr und Christian. Sie musste es herausbekommen und wollte sich gleich morgen auf die Suche nach einem geeigneten Therapeuten machen.

       13

      Die Wohnung war dunkel. Obwohl Julie wusste, dass Christian nicht da sein würde, hatte sie es tief im Herzen gehofft. Der Anrufbeantworter blinkte. Bixi, eine ehemalige Studienkollegin, teilte ihr mit, dass sie nach Hamburg umzog und erwarte, dass sich Julie bei ihr melden würde. Ausgerechnet Bixi, dieser Energievampir. Sie war eine der Personen, auf die Julie gut verzichten konnte. Bixi konzentrierte sich ausschließlich auf das Negative im Leben und sprach schlecht über andere. An Pannen in ihrem Leben hatten natürlich auch nur andere Schuld, niemals sie selbst. Sicher sprach sie auch über Julie schlecht, denn wieso sollte Julie die einzige Person sein, über die Bixi nicht herzog. In Bixis Gegenwart spürte Julie, wie ihre Kraft schwand. Julie drückte auf den Löschknopf. Müde von den Ereignissen der letzten zwei Tage, vom Reden und Rotwein ging sie zu Bett und schlief sofort ein.

      Am nächsten Vormittag rief Julie bei verschiedenen Ehe-, Familien- und Lebensberatungen an, sie ließ sich Adressen und Telefonnummern von Psychotherapeuten geben. Bald hatte sie eine Liste zusammengestellt. Den Nachmittag verbrachte sie damit, ihr neues Zimmer einzurichten. Julie konnte kaum erwarten, bis Christian nach Hause kam und war erleichtert, als sich der Schlüssel im Schloss drehte.

      „Christian, ich muss mit dir reden. Sophie hatte gestern eine gute Idee.“ Er war reserviert, als sie ihn so überfiel. Sie standen noch im Flur und Julie fasste bereits ihren gestrigen Abend zusammen.

      „Ich habe Telefonnummern von Therapeuten besorgt und muss nur wissen, wann du Zeit hast.“

      Christian sah verschlossen aus. „Ich will zu keinem Therapeuten. Ich bin nicht krank und muss nicht geheilt werden. Ich will einfach schwul sein.“

      Widerstand. Wie Julie befürchtet hatte. „Darum geht es nicht. Es geht darum, herauszufinden, ob du schwul bist, weil du schwul bist oder ob es mit uns zu tun hat, dass du schwul bist.“

      „Ich weiß, dass ich schwul bin, und ich werde mich von niemandem davon abbringen lassen“, stieß Christian hervor.

      „Dann geh wenigstens mir zuliebe mit.“

      „Ich will nicht.“ Christian ließ Julie stehen, ging in sein Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.

      Julie verschwand in ihr Zimmer, knallte die Tür zu und warf sich auf das Bett. Sie weinte, bis sie vor Entkräftung einschlief.

      Julie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie das leichte Klopfen an der Rauchglasscheibe hörte.

      Christian blieb im Türrahmen stehen.

      „Ich habe es mir überlegt. Wenn es für dich wichtig ist, komme ich mit zum Therapeuten. Vielleicht


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