Der rosa Wolkenbruch. Dorothea Böhmer

Der rosa Wolkenbruch - Dorothea Böhmer


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beide ins Bett zu gehen. Als sie nicht mehr über Beziehungen sprachen, war der Abend noch recht lustig geworden. Die Tür der Kellerbar fiel knallend hinter ihnen zu, während sie versuchten, untergehakt die Treppenstufen zu treffen. Julie hielt sich am Geländer fest und zog die kichernde Doris hinter sich her. Zur selben Zeit schnappte die gläserne Haustür des Wohnheimes zu. Harry und Christian trafen die beiden jungen Frauen auf der Treppe in nicht gerade vorteilhafter Haltung an, aber mit durchaus sympathischer Ausstrahlung

      „Hallo Harry.“ Julie sah ihn zuerst. Ihr fiel wieder auf, dass er einen ziemlichen Bierbauch hatte.

      „Hallo Mädels. Los, kommt mit runter. Wir müssen nach der langen Fahrt etwas trinken. Das ist Christian.“

      „Hallo Christian“, säuselte Doris angetüdelt.

      „Was meinst du Doris, sollen wir mit? Ich gehe nur, wenn du mitgehst.“ Julies Füße standen bereits treppabwärts.

      Christian sah Julie an. Seine Augenfarbe konnte sie in dem dunklen Treppenhaus nicht erkennen. Bis auf ein ruhiges „Hallo“ hatte er noch nichts gesagt.

      „Das ist Erpressung!“ Aber Doris ging mit.

      Harry nahm Julie rechts und Doris links in die Arme und schob beide vor sich her.

      ***

      Sie redeten ununterbrochen. Christian erfuhr, dass Julie Journalismus studierte, im Nebenfach Kunstgeschichte belegt hatte und sich auf Fotojournalismus spezialisierte. Sie sprachen über Konzerte, über Künstler und über Kunst in und an öffentlichen Gebäuden.

      Harry meinte: „Ich sehe nicht ein, dass manche Künstler und ihre Kunst durch Steuergelder finanziert werden. Warum soll die Allgemeinheit für die Selbstverwirklichung von Egozentrikern zahlen?“

      Das brachte Julie auf: „Weil sie die Allgemeinheit inspirieren und ihr Denkanstöße geben, auf welche die Allermeisten sonst nie kämen, da sie weder Zeit noch den Grips dazu haben.“ Sie unterdrückte zu sagen, Leute wie du zum Beispiel.

      So müsste das Mädchen sein, das ich einmal heirate. Christian wusste selbst nicht, wieso er plötzlich auf diesen Gedanken kam. Es gefiel ihm, wie Julie ihre Meinung vertrat.

      Unvermittelt rief Doris: „Wisst ihr, dass ihr ausseht wie Geschwister?“

      Julie und Christian hatten tatsächlich große Ähnlichkeit, die Haarfarbe, die Augenfarbe, überhaupt die Gesichtszüge. Christian war aber in seiner Stimme, seinen Bewegungen und Bemerkungen sehr viel ruhiger als Julie.

      Harry und Doris waren längst in ihren Zimmern verschwunden, als der studentische Bardienst Christian und Julie hinauswarf. Bevor Christian im Flur verschwand, in dem das Zimmer von Harry lag, umarmte er Julie. „Ich bin froh, dass mich Harry mitgenommen hat.“

      „Für mich war es ein sehr schöner Abend.“ Sie zögerte. „Schade, dass ich die Vorlesung über Bildrechte morgen nicht ausfallen lassen kann.“

      „Ja, schade.“

      „Gute Nacht.“

      „Gute Nacht.“

      Christian drehte sich im Gang noch einmal um und sah Julie nach, die im gegenüberliegenden Flur verschwand.

       4

      Julie schlug so fest auf den piependen Wecker, dass er scheppernd vom Regal auf den Schreibtisch fiel. Klaus, ihr Zimmernachbar, würde sich wieder über den Lärm beschweren. Sie war von selbst aufgewacht und schon fast angezogen. Christian ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Irgendetwas war an ihm anders als bei den Männern, die Julie kannte, aber sie wusste nicht genau, was es war. Er hörte aufmerksam zu, war rücksichtsvoll, fast sanft, hatte nicht über Fußball oder Autos gesprochen, war an Oper und Kunst interessiert und vor allem stellte er nicht das männliche Imponiergehabe zur Schau, das Julie so lächerlich und nervig fand. Außerdem hatte er keine Frauen gemustert. Naja, er hatte Julie zwar beobachtet, aber anders als die vielen Männer, die Frauen nur nach dem Aussehen beurteilten. Julie hatte das Gefühl, Christian sah sie als Person. Sie schlüpfte in die Jeans. Noch bevor sie zur Uni ging, musste sie Sophie erwischen. Ihre Freundin wohnte ein paar Zimmer weiter. Vielleicht wusste Sophie etwas über Christian, schließlich stammten Markus, ihr Freund, Harry und Christian aus demselben Dorf.

      Mit ihren kurzen, dunkelblonden Locken und grünen Augen sah Sophie pfiffig aus. Sie war ein Küstenkind aus dem hohen Norden. Wenn Julie sie betrachtete, war sie immer erstaunt, wie viel Energie Sophie ausstrahlte. Von der angeblich nordischen Kühle war an ihr nichts zu bemerken.

      „Ja, natürlich kenne ich ihn.“ Sophie nahm einen Schluck Tee. Sie saß Julie am Tisch der Stockwerksküche gegenüber, kostete es aus, dass Julie sie erwartungsvoll ansah, und ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. Dann stützte sie ihr Gesicht in die Hände und gab enttäuscht zu: „Weißt du, ich habe ihn nur einmal gesehen. Ich bin zu Harry ins Auto gestiegen. Plötzlich kommt von hinten eine Stimme und sagt „Hallo Sophie“. Ich habe mich umgedreht und war erstaunt, weil ich nicht wusste, dass noch jemand da war. Harry hat Christian dann vorgestellt. Er sieht sehr gut aus. Findest du nicht auch?“

      Mechanisch rührte Julie in ihrem Kaffee und beobachtete die kleinen Kreise an der Oberfläche. „Hm.“

      „Er gefällt dir also? Nicht zu fassen, hattest du nicht gestern noch die Nase von Männern voll?“

      „Du sollst hier nichts über mich erzählen, sondern über Christian. Aber du hast Recht. Ich habe die Nase von Männern voll und überhaupt keine Zeit für eine Beziehung. Danke für den Hinweis, das macht es leichter.“

      „Hör zu. Ich bin nächsten Freitag bei Markus zu Hause und werde Christian wahrscheinlich bei einer Geburtstagsfeier treffen. Ich lade ihn zu unserem Sommerfest ein.“

      „Mach keinen Unsinn.“ In hohem Bogen warf Julie den Kaffeelöffel vom Tisch aus ins Spülbecken, so dass es schepperte, trank ihren Kaffee aus und ließ Sophie sitzen.

       5

      Mit einem lauten Ratsch riss Julie Frischhaltefolie entlang der gezackten Metallleiste von der Rolle. Es war später Samstagnachmittag. Sie und Doris hatten in der Küche alle Hände voll zu tun mit letzten Vorbereitungen für das Sommerfest am See. Auch ihr Zimmernachbar Klaus und seine Freundin Edith, sie war über das Wochenende zu Besuch, halfen mit. Doris rührte eine Vanillecreme an und Julie deckte den Kartoffelsalat mit Folie ab. Sie überlegte, ob sie als nächstes Tomatensalat oder Knoblauchbutter zubereiten sollte, als das Flurtelefon läutete. Alle anderen hatten die Hände voll, also ging sie an den Apparat.

      „Sophie! … Ich verstehe nichts. Es rauscht so. … Ja, jetzt ist es besser. Wo bist du?“

      „Wir sind an einer Autobahnraststätte und ungefähr in einer Stunde bei euch. Christian ist bei uns.“

      „Was? Wie hast du das gemacht?“

      „Ich habe ihn in deinem Namen zum Sommerfest einladen und betont, dass du dich sehr freuen würdest, wenn er mitkäme.“

      „…“

      „Hallo? Julie? Julie, bis du noch dran?“

      Julie sprach langsam, mit tiefer Stimmt und betonte jede Silbe: „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“

      „Reg dich nicht auf. Du klingst wie aus der Gruft. Er hat sofort ja gesagt. Bis gleich.“ Die Leitung knackte.

      Julie hielt den Hörer noch in der Hand. Freute sie sich? Ja. Aber sie war verunsichert und nervös. Wie sollte sie sich Christian gegenüber verhalten?

      „Was ist?“ Doris sah sie erwartungsvoll an.

      „Sophie schätzt, dass sie in einer Stunde da sind.“

      Julie zog eine Flasche Chianti aus der Weinkiste heraus. Im großen Weidenkorb, in dem sie Besteck, Servietten und Gläser verstaut hatte, angelte sie nach dem Korkenzieher. „Noch jemand einen Schluck?“

      „Ja, schenk mir was ein.“ Klaus studierte ebenso wie Doris Lehramt.

      „Dass


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