68er Student. Torsten Ewert
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FürIngeborg
Das leicht Errungene
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergötzt mich schier.
Johann Wolfgang von Goethe
Impressum:
© 2020 Torsten Ewert
Alle Rechte vorbehalten
Titelfoto: AdobeStock von AGAMI
Lektorat: Angelika Fleckenstein
Verlag & Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN:
978-3-347-04826-3 (Paperback)
978-3-347-04827-0 (Hardcover)
978-3-347-04828-7 (e-Book)
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Dr. Torsten Ewert Neurologe und Psychiater Studium in Berlin, nach der Ausbildung Leitender Krankenhausarzt, wohnhaft Kreis Aachen
Torsten Ewert
68er Student
oder
eine Lerche sein
Roman
Die Personen in diesem Roman sind frei erfunden und Ähnlichkeiten rein zufällig.
Inhalt
Aufbruch
Vorklinik
Klinik
Selbsterfahrung
Teil I
Aufbruch
An einem kalten, aber noch sonnigen Herbsttag im Oktober 1968 hielt Peter Quero die Zusage in den Händen, in die Wissenswelt der Universität aufgenommen worden zu sein. Doch es war nicht an der Zeit, sich dem Studium ausschließlich und mit Freuden zu widmen, denn entschlossene Studenten planten den akademischen Elfenbeinturm zu schleifen. Ein revolutionärer Sturmwind sollte nicht nur vom verstaubten akademischen Ballast befreien, sondern auch die Kraft entfalten, von hier aus beginnend die bestehende bürgerliche Zweiklassengesellschaft zu beseitigen, um eine bessere, kommunistische Welt zu erschaffen, in der alle Menschen gleich waren.
Sieben Jahre später verstummten die hitzigen Parolen. Die Revolution zur Beseitigung des bürgerlichen Staates hatte nicht stattgefunden. Der Arbeiter konnte dafür nicht gewonnen werden, und ohne ihn ging es nicht. Dennoch war es den Studenten gelungen, mit ihrer Kritik, ihren visionären Gedanken und entschlossenem Handeln einen Prozess anzustoßen, der lautete: Alle Macht dem Volke.
Jugend
In seiner Jugend an der wind- und regenumtosten Nordseeküste boten der Überseehafen in Bremerhaven und die Wiesen der Unterweser Peter einsame Zufluchtsorte und Abenteuerspielplätze, inmitten roher Eisen- und Betonstrukturen und in endloser Natur. An der Kaimauer des äußeren Hafens, in der Wesermündung gelegen, zerbrachen die ankommenden Wellen aus der Nordsee mit hoch aufspritzender Gischt. Es war eine gleichmäßige Abfolge, wie das pulsierende Blut, das kraftvoll vom Herzen getrieben gegen Peters Schläfen schlug.
Senkrecht stürzte die graue Betonmauer des Columbuskaje ins abgrundtiefe Wasser hinab. Ein Anlegeplatz mit stählernen Pollern, an denen die größten Passagierschiffe der Welt anlanden konnten, allen voran die stolzen englischen Luxusliner. Das Blaue Band wurde dem Schiff zugesprochen, das den Atlantik am schnellsten, zuletzt in ganz knapp 4 Tagen, überquerte. Der Besuch dieser Schiffe hatte Volksfestcharakter mit staunendem Publikum über die hochherrschaftlichen Gäste.
Aber heute nichts davon, und verlassen in zeitloser Einsamkeit lehnten die leeren Gangways an der langgestreckten Abfertigungshalle, wo Peter sein Fahrrad abgestellt hatte. Er balancierte entlang der Abrisskante zum Meer, verspürte dessen verschlingende Gier und trotzte dieser mit waghalsiger Geschicklichkeit. Im Rhythmus der Gezeiten angehoben und fallengelassen floss die Weser der Nordsee entgegen, ging im Atlantik auf, wo das Wasser verdunstete, um als Regen die Küste wieder heimzusuchen. Kreischend schossen die graugesprenkelten Möwen futtersuchend über das brackige Wasser.
Peter sprang aufs Fahrrad, fuhr zwischen den Gleisen der eisernen Entladekräne entlang, deren Ausleger wie Zeiger ins Unendliche eines blassblauen Himmels wiesen, unaufhörlich von einem melodisch-pfeifenden Wind umtönt.
Er bog in den inneren Hafen ab. Keilförmig stemmte sich hier die Schleuse dem angreifenden Außenwasser entgegen, gab dem Hafen ruhige Sicherheit. Sein Ziel war ein kleines Stück Acker in der Aue vor der drehbaren Eisenbahnbrücke, die bei Bedarf den Schiffen den weiteren Weg freigab. Furche um Furche hatte er hier den modrigen Boden umgestoßen, das grasig verwilderte Oberste zuunterst gewendet, dann die Kartoffelknollen der Reihe nach in die krümelige, braunschwarze, glänzende Scholle gesteckt, aus der jetzt das Kraut spross. Mit den bloßen Händen wühlte er in der Erde, fand eine Frucht, die noch unreif grün war, warf sie ins Hafenwasser, reinigte die Hände an der Hose und fuhr weiter in den Hafen hinein. Dessen Lagerhallen glichen heute erstarrten Reptilien, die jedoch kraftvoll erwachen konnten, um die Ladung der ankommenden Schiffe zu verschlingen. Dann waren die jetzt gleichgültigen Zöllner hellwach, jagten Kaffee- und Zigarettenschmugglern hinterher, suchten nach unverzolltem Gut, beschlagnahmten, verhängten Geldstrafen. Unbehelligt fuhr Peter an ihnen vorbei, hinaus aus dem Hafen, hinauf auf den Deich und hinab zur Weser.
Der schmale Basaltdamm zum gesprengten, sich selbst überlassenen und allmählich verfallenden Weserfort, einst Wächter in der Flussmündung, war bei Ebbe mit leichtfüßiger Geschicklichkeit begehbar. In der Einsamkeit des Wattenmeeres provozierte das Schild Betreten verboten, Lebensgefahr zum Gegenteil heraus und wurde ignoriert. Nicht zum ersten Mal kletterte Peter abenteuerlustig über die Trümmer des zerborstenen Betonklotzes, kroch durch die noch offenen, dunklen und kalten Gänge. Vielleicht fand er ein Relikt aus vergangener Zeit? Ein übersehenes Moniereisen zerriss seine Hose, stach ins Knie. Blut tropfte in den Dreck und direkt auf ein kleines kreisrundes Metallteilchen, das sein Interesse weckte. Er stillte das Blut mit dem Taschentuch, nutze es, den blutbesudelten Fund zu polieren, bis ein goldfarbenes Deckelchen zum Vorschein kam. Die erkennbare Gravur zeigte zwei aneinander grenzende verschnörkelte A inmitten eines Lorbeerkranzes. Der Schmerz war vergessen. Erstmals, zu seiner riesigen Freude, hatte er einen Schatz gefunden, den er in der Hosentasche barg. Die Wunde am Knie war die Opfergabe.
Rechtzeitig, mit sicheren Sprüngen, erfolgte der Rückzug über den mit Algen überzogenen Buhnendamm, bevor die einsetzende Flut ihn unter Wasser setzte und die Rückkehr vereitelte.
In den Weserwiesen stiegen die Lerchen mit schnellen Flügelschlägen tirilierend aus dem hohen Gras steil empor, hinein in den blauen Himmel, um hier minutenlang mit wechselndem Gesang zu kreisen, bevor sie sich im Sturzflug mit hochgestellten Flügeln wieder der Erde näherten und verstummten. Peter fühlte sich diesen kleinen erdfarbenen Geschöpfen verbunden, die im melodischem Sing- und eindrucksvollem Schauflug ihr Zuhause bekundeten.
Der Heimweg zurück führte ihn in die Wirklichkeit. Verschmutzt, verletzt und mit zerrissener Hose brach die verzweifelte Wut der Mutter über ihn herein mitsamt der Strafe eines Dunkelarrests im stinkigen Hühnerstall. Seine unbeaufsichtigten, ausschweifenden Streifzüge überforderten sie. Er wusste dies, tat es dennoch. Tapfer lebte sie in einfachen Verhältnissen, dem Nachkriegsalltags nicht immer gewachsen. Der Krieg hatte sie der verwöhnenden Geborgenheit und Sorglosigkeit auf einem Landsitz Ostpreußens entrissen. Geblieben war ihr Bedürfnis,