68er Student. Torsten Ewert

68er Student - Torsten Ewert


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kein Geld, bin festangestellter Heizer in einer Dahlemer Villa, wohne im Keller und habe Kost und Logis frei.”

      Peter war an eine Kellerassel geraten, die sich herausgewagt hatte, nach weiblicher Zuwendung gierte, nach heller Haut und fülligem Fleisch. Aber so wie er aussah, war die Hoffnung, geküsst zu werden, unwahrscheinlich und damit auch die Hoffnung dahin, dass aus ihm ein Prinz werden könne. Aber das schien ihm egal, sein Geld als Opfergabe gab ihm die Zuversicht auf weibliche Zuwendung.

      „Sachte Kumpel, bleib auf dem Teppich. Putz deine Brille, geh zu einer Frisörin, unterhalte dich dort, wenn du herausgeputzt wirst. Vielleicht interessiert sich eine für dich. So wie du jetzt daherkommst, ist eine Kohlenzange zu schade, um dich damit anzufassen.”

      Doch Paul, unbelehrbar, war entschlossen.

      „Heute will ich den Anblick der Bardamen genießen. Um diese frühe Zeit widmen sie sich mir noch fast ausschließlich, ich weiß das. Du lässt dir etwas entgehen, und gleichzeitig können wir Freundschaft schließen.”

      Peter wehrte ab. „Alles schön und gut, aber mir ist nicht daran gelegen zu sehen, wie du dein Geld verschleuderst. Aber sieh dich nur an üppigen Brüsten und strammen Schenkeln satt, ohne sie betatschen zu dürfen, träume den Rest der Woche davon, damit du im Heizungskeller überleben kannst, der dir die Kraft geraubt hat, an Alltagstagen deinen Mann zu stehen. Ein erster, besserer Versuch wäre es, mit der adretten Thekenbedienung hier zu plaudern, die auch sehr adrett ist und fast jeden Tag ansprechbar.”

      Peters Bemühungen Paul zu dessen Vorteil zu bewegen, verliefen im Sande. Dieser glitt nach einem weiteren Bier vom Hocker, machte eine wegwerfende Handbewegung und folgte seiner triebhaften Begehrlichkeit. Wie die Sternschnuppe auch würde sein Geld verglühen und mit ihr sein Wunsch, geliebt zu werden. Was ihm blieb, war die Einsamkeit seines Kellerverschlages, bis der neue Wochenlohn ihn wieder ins Freie spuckte.

      Zwei neu eingetretene junge Frauen hinter und neben Peter blickten sich unsicher um, reckten die Hälse, erkundigten sich bei ihm: „Gibt es hier etwas zu essen?”

      Er wusste es nicht, erkundigte sich, eine Schiefertafel wurde ihm gereicht, das Angebot vermerkte Bouletten, Bockwurst und mit Käse überbackene Zwiebelsuppe, letztere als Spezialität des Hauses angepriesen. Diese Empfehlung kam an, auch Peter bestellte, durfte sich zu ihnen setzen.

      Claudia und Rosi hießen die beiden. Gemeinsam löffelten sie ihre heißen Suppen, kamen ins Gespräch miteinander. Rosi mit unbändigem Kraushaar, offenem, energiegeladenem Gesicht, lachte, gestikulierte viel und sprudelte aus sich heraus. Sie studierte Geschichte, las marxistische Literatur und schwärmte von Rosa Luxemburg. Revolutionäres Rot überzog ihre Wangen, bildete den Kontrast zum makellosen Weiß der Zähne. Eifrig schüttelte sie ihre Haarpracht, nickte heftig beim Sprechen.

      „Rosa wurde von soldatischen Reaktionären erschossen und in den Landwehrkanal geworfen. Ein trauriges Schicksal, und wir sollten ihrer gedenken, eine Hommage für die Herausragende vollbringen, eine Blume am Ort ihrer Vernichtung opfern.” Peter gab sich pathetisch.

      Rosi schwieg augenblicklich beim Gedanken an das gruselige Ende ihres Idols. Eine unvorhergesehene Schweigeminute folgte. Dann rief Rosi hingerissen und begeistert dazu auf, an den Ort aufzubrechen, und zwar sofort.

      „Du weißt wo?”

      Doch Claudia, ein fransiger Kurzhaarschopf mit ernster Miene, funkte dazwischen: „Nichts da, heute keine obskuren Abenteuer mit Erinnerung an Grausamkeit und Mord, du hast mir den Abend versprochen.”

      Schluss war es mit Peters Absicht, in unseliger Umgebung Held und Beschützer zu werden. Claudia drängte zum Aufbruch.

      „Überlegt es euch, vielleicht ein andermal.”

      Wehmütig warf Rosi Peter einen letzten Blick zu, der ganz im Widerspruch zu der abwertenden Handgeste von Claudia stand.

      Peter nahm die U-Bahn nach Tempelhof. In der heimischen Eckkneipe lehnten zwei angetrunkene Männer am Tresen, echte Proletarier wie aus dem Bilderbuch, für die zu kämpfen sich lohnte. Der eine groß mit dickem Bauch, derbem rotem Gesicht, breiter Nase, lauter, dröhnender Stimme, der andere klein und kräftig, das Gesicht ein zerfurchter Acker. Sie nahmen Peter in Augenschein.

      „Keine Frage, du bist ein Student, ein Randalinski.”

      „Nein, Schlosser.”

      „Dann sag mir, was ein M3 ist?”

      „Ein Maschinengewehr.”

      „Falsch, zweiter Versuch, du hast keine Ahnung.”

      „Ein metrisches Gewinde, 3mm.”

      Dem Dicken verschlug es die Sprache.

      „Diesmal hat er recht, ich glaub ihm trotzdem nicht. Er sieht aus wie ein Student, aber egal, trinken wir. Eine Runde auf mich!”

      Sie verbrüderten sich mit ein paar weiteren Bieren, bis Peter es erachtete, vom Tag ermattet, nach Hause zu gehen.

       Eine Werkstatt als Zuhause

      Peters Zuhause in Tempelhof, beziehungsweise seine Unterkunft, befand sich in einem hinfälligen Gebäudekomplex der Firma Rilke, die im Parterre des Vorderhauses ihre Büroräume hatte und gleich darüber im Dachgeschoss über mehrere Wohnkammern verfügte. Hier lebten außer ihm noch Lupo und Schweinebacke, die zur Kernmannschaft des Betriebes gehörten, ein Transportunternehmen mit Fuhrpark im Hinterhof und angeschlossener Autowerkstatt. Letztere war beim Anblick der altersverschlissenen Flotte zweifellos notwendig. Zusätzlich wurden in der Werkshalle alte Autos ausgeschlachtet, deren unbrauchbar gewordene Gerippe auf dem Hof herumlagen, und noch fahrtaugliche Wagen wieder auf Vordermann gebracht. Den Abschluss der Restaurierung bildete eine oberflächliche Lackierung, im betriebseigenen Jargon Händlerlackierung genannt, die dem alten Wagen neuen Glanz verlieh. Für den Verkauf dieser aufgepeppten Wagen war Geschäftsinhaber Rilke zuständig, ein kleiner, dicker und lebhafter Mann, überwiegend in abgetragene Alltagsklamotten gekleidet, stets jovial aufgelegt, mit vertrauensvollem, buschigem Oberlippenbart, listigen Äuglein und vereinnahmendem Lächeln. Immer mal wieder, wenn er im dunklen Anzug erschien, war jedem klar, dass dieser Rosstäuscher einen Gerichtstermin wahrnahm, um in ahnungsloser Unschuld zu bekunden, dass die beklagten Mängel des Autos keinesfalls ihm anzulasten seien, er habe als Händler den Wagen nur weiterverkauft.

      Bronco, der Lacker war für die Lackierungen zuständig, ein uriger, muskulöser Geselle mit aufgezwirbeltem Oberlippenbart und wilder Löwenmähne, der Star der Belegschaft. Raubeinig und lauthals gab er auf dem Hof den Ton an. Im zwielichtigen Milieu Halbstarker, Rocker und leichter Mädchen, wo man auf seine körperliche Unversehrtheit achten musste, suchte er in seiner Freizeit das zumeist sexuelle Abenteuer.

      Da ihm Peter als intelligenter Mensch geeignet erschien, sein Umfeld zu bereichern, lud er ihn zu einer Spritztour in seinem chromblitzenden, rosaroten Cadillac mit ausladenden Heckflossen und aufklappbarem Verdeck ein, sein berechtigter und unverkennbarer Stolz. Nach einigen Kneipenbesuchen mit dreister sexueller Anmache hielt Bronco Peter auch für geeignet, das Steuer zu übernehmen, da er bereits zu viel getrunken hatte. Peter war allerdings auch nicht mehr ganz nüchtern.

      Das Malheur ereignete sich an einer Kreuzung. Mit falsch eingelegtem Rückwärtsgang und kräftigem Gasgeben schoss der Cadillac nach hinten in ein nachfolgendes Taxi, und ein erschrockener Bronco brüllte wutentbrannt: „Der Tölpel ist uns aufgefahren.”

      Der Fahrgast im Taxi war zufällig ein Freund von Bronco. Sie fielen sich im Zeichen der Wiedererkennung um den Hals, und er bestätigte ohne zu zögern der Polizei Broncos Beschuldigung. Peter, alkoholbedingt nicht mehr ganz seiner Sprache mächtig, sagte zu seinem Schutze nichts, gab sich geschockt. Ein am Boden zerstörter Taxifahrer blieb zurück.

      Ein paar Tage später kroch Peter während der Vernehmung auf dem Polizeirevier, um Richtigstellung des Unfalls bemüht, reumütig zu Kreuze. Aber genauso wie ihn die erlittene Scham gegenüber dem Polizisten kränkte, traf ihn Broncos Spott über seine dämliche Ehrlichkeit. Der musste nun auf eigene Kosten sein Fahrzeug wieder herrichten und verschwendete keine Gedanken mehr darauf verschwendete, ihn noch einmal


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