8 Krimis: Killer kennen kein Gebot: Krimi Sammelband 8009. Frank Rehfeld
auch der Lappen war blutig und in der Mitte neben einem Loch rußgeschwärzt. Der Baron nahm Brot und Lappen, wickelte beides sorgsam mit einer Zeitung ein, die er auf dem Fensterbrett fand, und legte es neben die Tür. Dann suchte er weiter.
Im Schreibtisch war weiter kein Fund zu machen. Erst hinter dem Heizkörper unter dem Fenster hatte er wieder Glück. Dort lag ein zusammengeknüllter Lappen, an dem sich Reste von grüner Farbe befanden. So grün wie die Farbe in Dr. Ferrenc‘ Landhaus. Armer Mike, dachte der Baron, und dich habe ich tatsächlich eine Zeitlang verdächtigt.
Es war still im Haus. Selten summte es auf dem Flur, und hastige Schritte trippelten vorbei. Irgendwo hatte ein Kranker geklingelt. Der Baron blieb ungestört. Der Mann, der hier den Tag über seinen Dienst versah, war nicht da.
Er hatte dienstfrei. Er würde auch morgen nicht kommen. Nicht kommen können, um seinen Dienst zu versehen.
Den nächsten Fund machte der Baron in der Garderobe, einem unansehnlichen Schrank im Nebenraum. Es waren nur zwei unscheinbare Perlen einer Damenhalskette. Echte Perlen, harmlos anzusehen. Beides nur scheinbar.
Im gleichen Raum stand auf dem Tisch ein Mikroskop. Der Baron legte die eine Perle darunter und sah durch das Gerät. So erkannte er leicht den Rand rings um die Perle. Ein paar Sekunden später hatte er zwei Hälften in der Hand. Und innen befand sich ein kleiner Hohlraum, durch den die Schnurbohrung verlief.
Eine der Perlen war leer, die andere hatte eine Füllung. Winzig klein diese Füllung, und hier half auch wieder das Mikroskop. So konnte er wenigstens erkennen, dass es sich um einen Mikrofilmausschnitt handelte. Was auf dem Ausschnitt zu sehen war, konnte er nicht erkennen. Dazu hätte er einen Projektor haben müssen. Das war nachzuholen.
Als er diese Überlegung anstellte, sah er auf die Uhr. Es war kurz nach Mitternacht. Er merkte, dass er immer noch nicht ganz ausgeschlafen war und sehnte sich nach einem belebenden Trunk. Aber erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Es gab noch mehr zu suchen. Mochte James unterdessen unten einschlafen, er würde ihn so freundlich wecken, wie er es gestern mit ihm getan hatte.
Als der Baron meinte, nichts mehr finden zu können, wollte er sich hinauf ins Schwesternzimmer von Gloria Mitchell begeben. Da sah er unweit von der Tür des Arbeitszimmers einen kleinen gummibereiften Karren auf dem Flur stehen, in dem Papierreste lagen. Sammelbecken aller Papierkörbe der umliegenden Büros und Sprechzimmer. Mehr durch Zufall als durch bewusstes Suchen sah er ziemlich obenauf einen Prospekt der F. E. C.-Bahnen liegen. Der wurde mitgeliefert, wenn man Fahrkarten im Voraus bestellte und sich ins Haus bringen ließ. Auf diesem Plan war die gesamte Fahrtroute abgedruckt, mit Uhrzeiten, Hinweisen auf den jeweiligen Zwischenbahnhof und die dazugehörige Ortschaft. Ein kleiner Kundendienst, von der Reklame finanziert, die dabei ist.
Dieser Prospekt, den der Baron schon wieder wegwerfen wollte, war vom Zug 712, Abfahrt täglich 11 Uhr 48 abends von der F. E. C.-Station in Richtung Tampa, Mobile, New Orleans, Houston, San Antonio, El Paso, Yuma, Los Angeles, San Francisco. Einer der ganz großen Expresszüge quer durch den Kontinent, mit allem Komfort und mit einem unübertroffenen Service.
Im Augenblick dachte Alexander weder an den Service noch an den Komfort. Aber an die Zeit. Vor etwa einer Viertelstunde musste der Express abgefahren sein. Und dann unten eine Notiz: „Bis New Orleans Zug, an New Orleans 11 Uhr 55 a. m. Abflug International Airport 1 Uhr 10 p. m. Bestellung für Miss G. Mitchell.“
Nicht schlecht, dachte der Baron und dankte dem Zufall für diesen Fund. Jetzt war die Zeit nicht mit Gold aufzuwiegen. Der Baron lief zurück ins Zimmer und wählte die Zentrale, ließ sich eine Verbindung zum Ortsbüro vom FBI geben und verlangte Larry. Er war sofort am Apparat.
„Larry, mein Goldjunge, jetzt kannst du loslegen“, sagte der Baron. „Erstens wirst du den Express ab 11 Uhr 48 p. m. F. E. C.-Station nach New Orleans und so weiter abstoppen. In ihm ist die reizende Dame Gloria Mitchell. Es wäre ratsam, sie festzunehmen. Quetsche sie aus wie eine Zitrone, ich bin sicher, sie weiß, was aus Lucy Gillmore geworden ist. Der Zug ist noch nicht weit, in Tampa hast du ihn immer! Besser, du verständigst noch Kollegen dort und sagst ihnen, was sie Gloria fragen sollen.“
„Okay, sonst noch was?“
„Es geht alles wie besprochen weiter. Du erreichst mich unter Sprechfunk, wenn James nicht gerade so fest schläft, dass er den Summer nicht hört.“
„Okay, ich lege los.“
Das war es. Und nun weiter. Das Zimmer der lieblichen Gloria konnte sich der Baron aufsparen. Jetzt kam der Hauptbrocken. Falls nichts dazwischenkam!
Es kam aber einiges dazwischen. Aber wer konnte das ahnen.
Wie erwartet, lag James schräg im Sitz und schnarchte, dass die Scheiben zitterten. Bedauernswerte Frau, die einmal an seiner Seite schlummern musste!
17
Das FBI ist eine schnelle Truppe. Die Kollegen aus Tampa reagierten blitzschnell. Zufällig befand sich eine Streife im Zug 712. Nicht um Gloria Mitchell zu suchen, sondern um einen unerwünschten Ausländer zu fassen, der vermutlich im gleichen Zug fuhr. Jeder große Express hat Funkverbindung. Und so war in dem Augenblick, als der Baron James unsanft aus seinen Träumen schreckte, bereits im Zug 712 eine Aktion im Gange. Nur, eine Miss Gloria Mitchell stand in keinem Buch der verschiedenen Schlafwagenschaffner. Und die beiden G-men hatten kein Bild von ihr. Mit der Beschreibung kamen sie nur allmählich weiter. Acht blonde Damen zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahren wurden aus den Betten gebeten. Die achte endlich war Gloria Mitchell. Sie hatte einen Pass auf einen anderen Namen. Aber der eine G-man entdeckte, dass es ein gefälschter Pass war.
Von nun an ging es rasend schnell. Noch fuhr Express 712 durch die Nacht. Noch trommelten die Räder Stakkato. Aber die Fahndung lief über Funk, und nach weiteren zehn Minuten stand es endgültig fest, dass die Katze im Netz saß.
18
Baron Strehlitz und James fuhren gerade den Biscaye Boulevard entlang, als die Funkmeldung von Larry kam.
„Alexander“, sagte Larry aufgeregt, „es geht um die Wurst. Gloria Mitchell hat ausgesagt, dass Dr. Ferrenc und Lucy Gillmore in einem Bootshaus, unweit vom North-Shore Park, festgehalten werden, und dass man sie in einem Boot umbringen will, in dem sich eine Bombe befindet. Es wird irgendwo draußen auf See geschehen. Sie sagte, dass bei beginnender Ebbe das Boot gestartet werden wird. Wir haben Großeinsatz gegeben. Kommst du?“
„Dumme Frage, Larry, ich bin früher da als ihr, wenn mich James nicht über die Brücke wirft.“
„Okay, dann good luck!“
Der Baron schaltete ab und rief James zu: „Let‘s go, Sportsfreund! Großes Licht an und Vollgas. Sie dürfen wieder Rennfahrer markieren.“
„Dann halten Sie sich mal gut fest. Ich habe da einiges von Le Beau gelernt.“ Diese Behauptung konnte der Baron ihm in den kommenden Minuten nicht widerlegen. Irgendein Engel musste sie aber im Auge gehabt haben, denn sie landeten weder in der Biscaye Bay, als sie über die Brücke nach Miami Beach hinüberrasten, noch umarmten sie einen Lichtmast.
Während sie dahinrasten, versuchte sich der Baron auszurechnen, wann hier Ebbe einsetzte. James sagte es ihm auf Anhieb, als er ihn fragte. „Wird wohl schon beginnen. Heute Nacht so gegen halb eins.“
„Das hätten wir. Hoffentlich haben Sie sich um eine Stunde vertan, James.“
„Bestimmt nicht, Baron.“
Am North-Shore Park gab es nicht ein Bootshaus, es gab deren zwanzig. Und es war Nacht.
Immerhin tauchten hinter dem Baron noch zwei Wagen auf, deren Sirenen schrill und durchdringend den letzten Ganoven am Horizont verjagen mussten.
Noch mehr Streifenwagen kreuzten auf. Von allen Seiten wurden die Bootshäuser umstellt. Und dann drangen der Baron und James zu Fuß vor. Von Weitem konnte man hin und wieder das mürrische Organ Hartmans vernehmen.
Vorsichtig