8 Krimis: Killer kennen kein Gebot: Krimi Sammelband 8009. Frank Rehfeld

8 Krimis: Killer kennen kein Gebot: Krimi Sammelband 8009 - Frank Rehfeld


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ruhte der See. Die Wellen rauschten schwach gegen den feuchten Strand, der jetzt viel breiter war als vor zwei Stunden. Und er würde noch breiter werden.

      Der Baron hatte den scheußlichen Verdacht, dass hier alles schon gelaufen war. Der Küstenschutz musste her. Vielleicht waren sie zu spät gekommen.

      Der Baron hastete zu Hartmans Wagen. Da tauchte Hartman selbst auf. „Was ist?“, fragte er.

      „Der Küstenschutz, wir müssen Boote bereithalten!“, keuchte der Baron.

      „Das wollte ich eben in Szene setzen“, entgegnete Hartman.

      Da schlug einer der Streifenhunde an. Sie sahen beide hinüber zu einer der Bootshütten. Sprunghaft arbeiteten sich die Polizisten unter Larrys Führung vor. Dann schrie einer der Cops: „Frische Reifenspuren! Und Fußtritte im Sand!“

      Eine Minute später, während der der Baron über Funk mit den Küstenschutz-Leuten sprach, brüllte Larry: „Der Vogel ist aus dem Nest! Wir sind zu spät dran.“

      Noch nicht, mein Junge, noch nicht, dachte der Baron. Zu Hartman gewandt sagte er: „In den anderen Schuppen sind Boote. Los, alle Boote raus und ein paar Scheinwerfer hinein. Stellt die Autos so auf, dass ihre Lampen mit Fernlicht auf See strahlen. Vielleicht sehen wir das Boot. Es kommt auf jede Sekunde an.“

      Die Fahrer wendeten ihre Wagen. Fernlicht blitzte auf, leuchtete weit hinaus aufs Meer. Und dann sahen sie das Boot. Weit weg war es schon, aber noch nahe genug, dass es von einem Küstenschutzboot nicht erreicht werden konnte, weil der Tiefgang nicht ausreichte. Und wann würde dieses Küstenwachboot eintreffen? Bestimmt zu spät, viel zu spät. Vielleicht explodierte diese verfluchte Bombe schon in wenigen Augenblicken. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie mussten alles riskieren.

      Die Cops fügten sich Larrys Kommando. Das geschah ganz von selbst. Hartman zog einen Teil seiner Leute ab, um die Verfolgung der Gangster aufzunehmen, die den Spuren nach wieder in die Stadt zurückgefahren waren.

      Drei Motorboote waren da. Der Baron ließ sie sofort zu Wasser bringen. In das eine kletterte er selbst, außer ihm noch drei Männer. Zwei von ihnen hatten Handscheinwerfer dabei, der dritte bediente den Motor.

      Dann knatterten sie los. Der Seegang, der vom Land aus so harmlos aussah, war doch noch recht beachtlich. Der Baron meinte, das Boot würde wie eine Schnecke über das Wasser kriechen. Der Abstand zwischen dem Boot dort draußen und dem seinen wollte und wollte nicht kleiner werden. Dabei sah der Baron, dass die beiden anderen Boote noch langsamer waren.

      Und es kam auf jede Sekunde an. Warum fuhr dieses Ding nur nicht schneller?

      Sie lagen gefesselt auf dem Boden des Bootes, und sie wussten, dass unter ihnen, zwischen Bootskiel und den Planken, die Bombe befestigt war. Mike Ferrenc konnte seine Uhr erkennen. Die Leuchtziffern verrieten ihm, dass noch zehn Minuten blieben, bis die Bombe explodierte. Noch zehn Minuten.

      Lucy Gillmore weinte nicht mehr. Jetzt presste sie die Lippen zusammen und starrte aus weit geöffneten Augen zum Sternenhimmel, den sie über sich hatten. Mehr konnte sie nicht sehen, dazu waren die Bootswände zu hoch. Die Fesselung war am Boden festgemacht. Lucy konnte sich nicht rühren. Auch Dr. Ferrenc nicht, aber ihm hatte man die Hände vorn zusammengebunden. So sah er die Uhr wenigstens, aber er sagte Lucy nicht, wie knapp die Zeit zu leben noch war.

      Der Motor blubberte hinter ihnen, und ihn hörten sie, nichts anderes. Und sie sahen oben die Sterne.

      „Doktor“, sagte Lucy, „wenn es eine Rettung gäbe, was würden Sie tun?“

      „Ich verstehe Sie nicht, Schwester Lucy …“

      „Ich bin nicht unschuldig. Zwar habe ich mit der Sache an Lieutenant Koog nichts zu tun, aber ich habe mit … mit …“

      „Dafür haben Sie genug gebüßt, Schwester Lucy.“

      „Glauben Sie, dass Alexander, ich meine, dass der Baron auch so denkt?“

      „Aber … ah, jetzt begreife ich. Na, dem würde ich die Hammelbeine langziehen. So ein Bursche! Verdreht meiner besten OP-Schwester, die ich je hatte, den Kopf!“ Und er lachte. Dieser Dr. Mike Ferrenc lachte und sprach, als würde er noch fünfzig Jahre leben. Dabei waren es nur noch lächerliche sechs Minuten. Was waren sechs Minuten? Ein Nichts, und doch so viel, so unendlich viel. In sechs Minuten konnte alles geschehen und auch nichts.

      Sie wussten nicht, dass dicht hinter ihnen die Boote der Polizei waren. Sie ahnten es nicht, aber Dr. Ferrenc hatte die Uhr. Und jetzt waren es nur noch fünf Minuten.

      Vielleicht geht es noch früher los, dachte er. Ich habe so vieles falsch gemacht im Leben. Diese kleine Lucy macht sich Sorgen, und sie ist verliebt in Alexander. Und ich, was hatte ich für lächerliche Probleme noch vor Stunden. Nun ist das alles so unwichtig geworden. Ein Nichts, ein Dreck. In drei oder zwei Minuten bin ich tot. Dann tut mir nichts mehr weh. Aber ich bin noch jung, hatte eigentlich noch so viel vor. Ich wollte heiraten. Vielleicht zu Weihnachten. Manche Frauen möchten zu Weihnachten heiraten. Verrückt, daran zu denken. Jetzt, wo es jede Sekunde passieren muss. Noch eine Minute. Mein Gott, was wird danach sein? Was ist ein Mensch, wenn er gestorben ist? Bange ewige Frage der Menschen. Hoffnung, Zweifel, alles vermischt. Und über mir die Sterne. Ein Traum. Vielleicht lebe ich schon gar nicht mehr?

      Aber da war Lucy. Sie fragte mit ihrer dunklen Stimme: „Wie lange noch?“

      Soll ich es ihr sagen?, dachte Dr. Ferrenc. Soll ich ihr sagen, dass sie … vielleicht komme ich gar nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden? Es ist sonderbar, vorhin hatte ich Angst. Jetzt bin ich ganz ruhig. Nur Schweiß auf der Stirn ist noch da von vorhin. Der kalte Angstschweiß.

       Jetzt gleich muss es vorüber sein. Wenn es doch nur endlich geschähe. Dieses Warten ist die Hölle.

      „Es ist bald soweit!“, rief er Lucy zu.

      „Ich will leben!“ Lucy schrie es, aber nur Mike hörte es – und er konnte nicht helfen.

      19

      Etwas trat ein, das dem Baron zu Hilfe kam. Das Boot, das sie einzuholen versuchten, veränderte den Kurs. Es schlug einen Bogen. Hatten die beiden drinnen das Ruder verändern können? Der Baron sah überhaupt niemanden im Boot sitzen. Mit dem Handscheinwerfer konnten sie deutlich das Boot anstrahlen, aber es wirkte leer. Sie werden am Boden angebunden sein, sagte sich Alexander

      Der Cop am Ruder des Bootes reagierte schnell, er schnitt ab und kam rasch dem Boot näher.

      „Baron, wenn wir dicht dran sind, und die Bombe geht los?“, fragte der Polizist neben dem Baron, der den Scheinwerfer hielt.

      „Legt euch platt auf den Boden! Gib den Scheinwerfer her!“, befahl der Baron, und sie gehorchten. Nur der Mann achtern lugte übers Dollbord, damit er sah, wohin er zu fahren hatte.

      Sie kamen sehr rasch näher. Jetzt drehte das Boot der beiden schon auf die Küste zu bei. Das Ruder musste sich wirklich verstellt haben.

      Nun waren sie nahe genug. Der Baron schrie: „Mike! Mike! Seid ihr drinnen?“

      Keine Antwort. Der Baron konnte sich denken, dass der Motor zu laut war. Aber da! Alexander hörte Mikes Stimme.

      „Vorsicht! Es ist gleich soweit! Komm nicht heran, Alexander!“

      Zum Teufel, das war wie in Korea! Damals hatte der Baron ihm auch gesagt: „Geh zurück! Es ist sinnlos, die decken uns hier ein.“ Damals in Korea. Verfluchter Krieg. Und das hier war so verteufelt ähnlich, und es gab keine Sekunde der Überlegung. Der Baron richtete sich auf, legte die Lampe weg, zog sein Taschenmesser heraus und klemmte es zwischen die Zähne. Dann warf er Jacke und Schulterholster von sich und sprang mit einem Satz ins Wasser.

      Vier, fünf heftige Kraulschläge, und er packte die Bordwand des anderen Bootes.

      Explosion? Vielleicht, vielleicht auch nicht.

      Das Boot kenterte


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