Und mittendrin kam die Kraft. Regina Endraß

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      Impressum:

      © 2020 Regina Endraß

      Titelbild: © Tartila by Adobe Stock

      Standardlizenz Vektorgrafiken: Freepik.com

      Satz: Angelika Fleckenstein, Spotsrock

      ISBN 978-3-347-11149-3 (Paperback)

      ISBN 978-3-347-11151-6 (e-Book)

      Verlag und Druck:

      tredition GmbH

      Halenreie 40–44

      22359 Hamburg

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

       Regina Endraß

      Und mittendrin

      kam die Kraft

      In der Mitte des Lebens ändert sich die Blickrichtung. Von der scheinbaren Endlosigkeit hin zur Endgültigkeit, unwissend, ob wir überhaupt in der Mitte sind oder nicht doch schon kurz vor dem Ende.

      Die noch junge Lisa sucht ihren Weg. Selbstzweifel und Versagensängste erlebt sie dabei wie riesige Wellen, die sich vor ihr aufbäumen und unbezwingbar erscheinen. Mit den Jahren lernt sie, in diese Herausforderungen des Lebens mutig einzutauchen. Mit jedem Mal gewinnt sie an Kraft und Zuversicht.

      In der voraussichtlichen Mitte ihres Lebens glaubt sie, alles Wichtige erreicht zu haben. Doch die Sehnsucht bleibt und sie spürt, dass ihr Weg ganz woanders hinführt. Ihm zu folgen ist weniger eine Entscheidung, eher eine Notwendigkeit.

      Eine Geschichte über die Liebe und andere Unwägbarkeiten des Lebens. Vor allem aber erzählt sie von Menschen, die ihren Weg finden, indem sie ihrer Intuition vertrauen.

      Für Nadine

       „Ich habe geträumt, nicht von dir, nicht von dieser Welt. Von mir habe ich geträumt, als wäre ich die Welt und nichts könnte mich abhalten, meinen Weg zu gehen.“

      2002

      Sie saßen schon eine ganze Weile im Dunkeln, ihren Gedanken nachhängend. Er drehte sich eine Zigarette, zündete sie an, gab sie ihr und sagte: „Ist es nicht ein Wunder, dass wir beide zusammen sind?“

      Sie nahm einen tiefen Zug und blies kleine Rauchkringel in die Dunkelheit. Sie stiegen langsam in den vom Mond erhellten Nachthimmel. Eine dieser seltenen glasklaren Nächte.

      „Warum, wäre es nicht eher ein Wunder, wenn wir nicht zusammen wären?“

      „Wieso, wie meinst du das denn schon wieder? Lass uns bitte nicht wieder diskutieren. Ich glaub, da geh ich lieber ins Bett.“ Er nahm sein Glas und verschwand.

      Sie saß noch lang im Dunkeln, rauchte und dachte darüber nach, wie sehr sich Klaus verändert hatte, oder war sie selbst diejenige? Seit einiger Zeit beschränkte sich ihre Beziehung auf gelegentlichen Sex und die Bewältigung des Alltags. Für die meisten Beziehungen wahrscheinlich Standard und völlig normal, aber Lisa fehlte was. Etwas, was schwer mit einem Wort zu benennen war, etwas … ja, was eigentlich? Zum Beispiel hätte sie gerade wirklich gerne gemeinsam mit ihm darüber nachgedacht, ob es nun ein Wunder ist, dass sie zusammen sind, oder ob es eines wäre, wenn sie nicht zusammen wären. Oder war es so oder so das Gleiche? Wenn es ein Wunder wäre, egal ob sie zusammen sind oder nicht, wäre es dann auch egal, ob sie zusammen sind oder nicht?

      Der Mond schien prall und hell ins Fenster. Obwohl todmüde, konnte sie kein Auge zu tun. Sie liebte diese Nächte, allein in der Dunkelheit. Sie starrte in den Mond und sah ganz deutlich seine Berge. Er schien so nah zu sein. Einsamkeit umhüllte sie, ein wohlbekanntes Gefühl, und immer diese Sehnsucht nach mehr. Nichts hatte sich geändert, sie war wohl nur älter geworden.

      Wie gut sie dieses Gefühl kannte, dass ihr die vorhandenen Wörter nicht genügten. Gäbe es mehr Wörter, so dachte sie, könnte ich mich vielleicht besser verständigen. Immer muss ich alles, was ich sage, sofort wieder mit anderen Worten erklären.

      Wenn unsere Beziehung für uns eine tiefere Bedeutung hat, wäre es dann nicht wirklich ein Wunder, wenn wir nicht zusammen wären? Hat ein Wunder nicht etwas mit sich darüber wundern zu tun? Und wäre dann unsere Beziehung nicht bedeutungslos, wenn sie ein Wunder ist? Sie fand keine Antwort darauf, heute nicht mehr.

      Der Morgen war kühl und leise. Sie lag schon eine Weile wach zwischen Traum und Wirklichkeit. Als die Haustüre von außen zugezogen wurde, stand sie auf. Tiefe Nebel hingen in den Bäumen und der erste Raureif überzog das Gras. Jetzt kam wieder ihre Zeit!

      Wehmütig blätterte sie durch ihr altes Tagebuch, keines im klassischen Sinne, sondern mehr eine Sammlung ihrer Gedanken und Gefühle die sie versucht hatte in Worte zu formulieren. Sie blieb bei einem Eintrag vom 5.11.1986 hängen und las ihre Gedanken, die sie vor rund 16 Jahren aufgeschrieben hatte:

       Und wenn ich nicht wüsste,

       dass jetzt meine Zeit kommt,

       ich müsste mich fragen

       was es ist.

       Immer dasselbe Lied,

       immer die gleiche Sehnsucht

       und diese ewige Melancholie,

       Tagträume,

       ständig, unwirklich, unrealisierbar.

       Gut, dass ich weiß,

       dass jetzt meine Zeit kommt.

       Alles geht einem Ende entgegen,

       und ich leide mit den Dingen,

       mit jedem Baum,

       der seine Blätter lässt,

       mit jedem Grashalm,

       der keine Kraft mehr zum Wachsen aufbringt.

       Ich leide mit der Welt,

       die sich vom Nebel einfangen lässt

       und ich bewundere sie gleichzeitig,

       weil sie trotzdem,

       oder vielleicht gerade deswegen,

       so wunderschöne Bilder abgibt.

       Meine Zeit ist wieder da,

       trauernd und zugleich begierig,

       lasse ich mich auf sie ein.

      Dieses Gefühl kannte sie auch heute noch gut, auch die damit verbundene Angst. Verdammt, dachte Lisa, die Zeit zieht einem zwar Falten ins Gesicht, aber sie nimmt einem nicht die Angst!

      Da war dieses Bild, Lisa als kleines Mädchen, das nie ein Mädchen sein wollte, wie sie mit bloßen Händen Gräber aushob, für kleine Vögel, die aus dem Nest gefallen waren. Dutzende von kleinen, geflochtenen Holzkreuzen waren unter den Büschen, wohin sie sich als Kind immer zurückgezogen hatte. Die anderen Kinder grinsten verständnislos. Irgendwie war sie dem Tod schon immer näher gewesen als dem Leben.

      Sie konnte sich nicht mehr erinnern, wann sie aus dem Nest gefallen war. Seit sie denken konnte, war da dieses Gefühl des nicht aufgehoben seins.

      Sie ging erst nach draußen, als Leben auf den Straßen war. Das geschäftige Tun der Leute machte ihr irgendwie Mut. Wie wenn sie dazu gehören würde, ging sie zielstrebig durch die Stadt. Sie funktionierte, jeden Tag aufs Neue. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal


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