5 Romane Auswahlband Ärzte und Schicksale Februar 2019. A. F. Morland
Ernst sein. Das kannst du doch nicht wirklich wollen. Ich appelliere an dein Gewissen und an dein gutes Herz. Du hast mich vielleicht in schlechter Erinnerung, aber ich habe mich geändert. Den Bruno, der dir früher das Leben schwer gemacht hat, gibt es nicht mehr. Ich bin harmlos und friedlich geworden, mache keine krummen Sachen mehr. Das Leben hat mir die Ecken und Kanten abgeschliffen. Ich bin heute angepasst. Aus mir ist ein angenehmer Zeitgenosse geworden. Lass es mich dir beweisen.“
Nicola Sperling geriet innerlich ins Wanken. Sie ärgerte sich über sich, aber so war sie nun mal. Sie konnte so schwer nein sagen.
Vor allem bei Bruno. Das war immer schon so gewesen. Was immer er von ihr gewollt hatte – er hatte es bekommen. Weil das Blut derselben Mutter in ihren Adern floss.
Nicola schaffte es auch diesmal nicht, hart zu bleiben und ihren Stiefbruder wie einen Fremden fortzuschicken, obwohl sie ahnte, dass eine Menge Ärger auf sie zukam, wenn sie nachgab.
Bruno harmlos, friedlich, abgeschliffen und angepasst … das war für sie genauso unvorstellbar, wie wenn man ihr einzureden versucht hätte, die Isar würde seit heute aufwärts fließen. In Nicolas Kopf fuhren die Gedanken Karussell. Sie sagte sich, sie müsse endlich mit Torben reden.
Er muss erfahren, dass ich einen Stiefbruder habe, auf den ich leider überhaupt nicht stolz sein kann, dachte sie. Torben möchte mich heiraten. Ich darf ihm Brunos Existenz nicht länger verheimlichen.
„An wie lange hast du gedacht?“, fragte sie knapp, und sie überlegte gleichzeitig fieberhaft, wie sie Torben erklären sollte, dass sie ihm erst jetzt von Bruno erzählte. Würde er für ihre Beweggründe Verständnis aufbringen?
„Wie?“, fragte Bruno.
„Wie lange willst du hier wohnen?“
Es funkelte triumphierend in seinen Augen. Er hatte sie wieder einmal weich gekriegt. „Nur so lange, bis ich etwas Passendes gefunden habe. Das kann schon in drei, vier Tagen sein.“
Drei, vier Tage mit Bruno unter einem Dach. Das ging gerade noch. „Hast du kein Gepäck?“, fragte Nicola.
„Es steht draußen auf der Terrasse. Danke, dass du mich nicht fortschickst. Ich wusste, dass du mich bei dir wohnen lässt. Du bist ein Engel, die Güte in Person. Der Himmel wird es dir vergelten. Ich werde keine Last für dich sein.“ Bruno ging zur offenen Terrassentür, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Dann winkte er jemanden zu sich. Ein junges Mädchen mit roten Zöpfen, billig geschminkt und auch so gekleidet, erschien.
„Darf ich vorstellen?“, sagte er. „Nicola, das ist Rosy Kupfer, mein Mädchen. Rosy, das ist Nicola Sperling, meine Schwester. Doktor Sperling. Nicola ist Kinderärztin. Sie arbeitet an der renommierten Seeberg-Klinik. Ich bin sehr stolz auf sie.“ Er gab seiner Freundin einen Klaps auf den Po. „Gib Pfötchen, Rosy. Sag hallo zu Nicola.“
„Hallo, Nicola“, grüßte Rosy Kupfer und streckte der jungen Ärztin die Hand entgegen, die diese jedoch ignorierte.
Nicola war wütend, fühlte sich von ihrem Stiefbruder hereingelegt, überfahren. Er hatte sie gebeten, ihn für kurze Zeit bei sich aufzunehmen, und nachdem sie eingewilligt hatte, zauberte er plötzlich diese – diese – Person aus dem Hut.
„Ist irgend etwas nicht in Ordnung, Schwesterherz?“, fragte Bruno unschuldig.
Nicola deutete mit dem Kopf auf Rosy. „Davon war nicht die Rede.“ Bruno hob die Schultern und sagte lachend: „Nicola, ich bin ein Mann, kein Mönch.“
Sie sah ihn eisig an. „Ich bin kein öffentlicher Beherbergungsbetrieb.“
„Rosy gehört zu mir.“ Bruno legte den Arm um die Schultern seiner ordinär aufgemachten Freundin und drückte sie an sich. „Mit einem Trauschein kann ich nicht dienen, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass wir ein Paar sind. Wir haben in Hamburg zusammen gewohnt. Rosy ist ein nettes Mädchen, sie wird dir keinen Kummer machen.“ Er griente. „Ob in deinem Gästezimmer einer schläft oder zwei – was macht das schon für einen Unterschied?“
Rosy Kupfer meldete sich zu Wort: „Wenn deine Schwester mich nicht in ihrem Haus haben will …“
„Du hältst dich da raus, Schätzchen, okay?“, schnauzte Bruno Pfaff sie an. „Das kläre ich selbst mit Nicola.“
„Vielleicht hat sie Angst, dass ich sie beklaue“, sagte Rosy.
„Verdammt, ich will, dass du die Klappe hältst!“, blaffte Bruno.
Rosy zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen. „Ich bin ja schon still“, sagte sie kleinlaut.
Bruno ließ sie los und wandte sich an seine Schwester. „Drei, vier Tage, Nicola, dann bist du uns wieder los“ , versprach er – und erreichte einmal mehr, was er wollte.
14
Mit Nicolas Einwilligung waren Ärger und Komplikationen vorprogrammiert, denn Bruno Pfaff bezog mit seiner Freundin nicht nur das Gästezimmer – er übernahm das ganze Haus. Schließlich war es auch sein Elternhaus, wie er des öfteren betonte, und deshalb sah er nicht ein, warum er sich ausschließlich im Gästezimmer aufhalten sollte, wenn seine Stiefschwester ohnedies nicht daheim war.
Während Nicola in der Seeberg-Klinik Dienst hatte, breiteten sich er und seine Freundin in allen Räumen aus.
Rosy spielte Nicolas CDs. Bruno trank Nicolas Wein, lümmelte vor dem Fernsehapparat herum und machte den Videorecorder durch unsachgemäße Bedienung kaputt. Da das Gerät die Kassette nicht auswarf, holte er fluchend – eine Flasche Rotwein intus – ein Fleischmesser aus der Küche. Damit gelang es ihm zwar, die Kassette aus dem Recorder zu hebeln, doch hinterher reagierte das Gerät auf keinen Befehl mehr. Wütend warf er die Fernbedienung in die Ecke.
„Japanischer Schrott!“, schimpfte er. „Oder koreanischer! Oder taiwanesischer!“
Rosy Kupfer behängte sich mit Nicolas Schmuck, benutzte während deren Abwesenheit verschwenderisch die exquisiten Kosmetika und Parfüms, und zog auch ohne Wissen und Erlaubnis der Ärztin ihre teuren Kleider an.
Bruno sagte: „In den Klamotten meiner Schwester siehst du besser aus, Baby. Sie sind viel eleganter als die Sachen, die du sonst immer trägst.“
Rosy schmollte. „Bisher hattest du an meinem Outfit nichts auszusetzen.“
Er lachte schnarrend. „Weil du mir nackt ohnedies am besten gefällst.“ Er saß auf der Couch. Sie stand vor ihm. Er griff breit grinsend unter das Chiffonkleid, das sie aus Nicolas Schrank geholt hatte.
Sie trat rasch zurück und schlug ihm auf die Finger. „Pfoten weg!“
„He, was soll das?“, begehrte er auf. „Du hast sie wohl nicht alle. Du denkst wohl, wenn du mal was Teureres anhast, musst du gleich auf feine Dame machen, wie? Komm her!“
Rosy schüttelte trotzig den Kopf. „Du hast keinen Respekt vor mir.“
Bruno kniff die Augen zusammen. „Sag mal, was soll das? Wieso sollte ich denn auf einmal Respekt vor dir haben?“
„Ich bin in deinen Augen bloß ein billiges Flittchen.“
„Ja. Vielleicht. Aber wieso stört dich das auf einmal?“
„Es hat mich immer schon gestört.“ Rosys Augen füllten sich mit Tränen.
„Das ist mir noch nie auf gefallen.“
„Weil du ein grober, herzloser Klotz bist. Ein gefühlloser, egoistischer Mistkerl. Du bist nicht besser als alle anderen Männer, denkst immer nur an dich.“
„Verdammt noch mal, was ist denn plötzlich in dich gefahren?“, brauste Bruno auf. „Was soll auf einmal dieser idiotische Aufstand.“ Er winkte sie zu sich. „Komm her!“
„Nein!“