Isola Mortale. Giulia Conti

Isola Mortale - Giulia Conti


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gar nicht an ihr kannte. »Fahren Sie zurück nach Omegna, Stefano. Ich melde mich, wenn wir hier fertig sind und wieder abgeholt werden wollen.«

      Sie liefen schweigend nebeneinander her, eine Treppe hoch, durch einen Torbogen vorbei am Eingang zur Basilika und an dem Inselshop, der einst eine Taverne war und in dem nun Postkarten, Drucke, kleinere Antiquitäten und allerlei Krimskrams verkauft wurden. Schließlich kamen sie auf einen schmalen, mit runden Steinen gepflasterten Pfad, die Via del Silenzio, den Weg der Stille, der um die kleine Insel herumlief.

      Carla blieb an einer niedrigen Mauer stehen. »Einen Moment haben wir noch, Simone. Den hat Stefano gerade für uns herausgefahren.« Sie grinste, nahm ihre Sonnenbrille ab, setzte sich mit lang ausgestreckten Beinen auf die Mauer, zündete sich eine Zigarette an, hielt Simon das Päckchen hin.

      »Nein, danke. Seit wann rauchen Sie denn? Ich habe Sie noch nie mit einer Zigarette gesehen.«

      »Ein kleiner Rückfall. Mir ist im Augenblick danach.«

      Diesen Ton kannte Simon. Er erlaubte keine Rückfragen. Schweigend setzte er sich neben sie.

      Sie nahm einen tiefen Zug. »Ich habe Ihnen doch von meinem Kollegen erzählt, oder? Der vor ein paar Monaten in Frankfurt spurlos verschwunden ist.«

      »Der bei der Sanitärmesse war? Um Raubkopien aufzuspüren? Wegen dem ich bei der Polizei in Frankfurt nachgehakt habe, weil er auf einmal verschwunden war?«

      Sie nickte. »Ja, genau. Sie haben ja wohl seitdem nichts mehr aus Frankfurt gehört?«

      »Nein, mein Bekannter, der für Vermisstensachen zuständige Kommissar, wollte sich melden, wenn er etwas Neues von Ihrem Kollegen erfährt. Das hat er aber bisher nicht getan.«

      Sie zog wieder an ihrer Zigarette. »Aber ich habe schlechte Nachrichten. Es hat nämlich jetzt jemand in Mexiko mit seiner Kreditkarte bezahlt. Das weiß ich von meinen italienischen Kollegen.«

      »Was heißt jemand?«

      »Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass er das selbst war. Ich vermute, dass man ihm etwas angetan hat. Er war kein Typ, der sich korrumpieren lässt, dann verschwindet und sich einen Lenz in Acapulco macht.«

      »War?«

      »Ja, Sie haben richtig gehört. Ich glaube nicht mehr, dass er noch lebt. Ich hätte von ihm gehört.«

      »Soll ich noch mal in Frankfurt nachfragen?«

      »Ja, das wäre gut, auch wenn es wahrscheinlich nichts bringt.« Carla wich seinem Blick aus. »Sorry, die Sache nimmt mich ziemlich mit.« Hastig drückte sie ihre Zigarette auf der Mauer aus und warf sie mit Schwung weg. »Basta, genug davon.« Sie schaute auf ihre Uhr, tippte mit dem Finger darauf. »Es wird auch Zeit, wir müssen los.« Mit einem Ruck richtete sie sich auf. »Gleich treffen wir übrigens eine, die nichts so schnell umwirft.«

      »Die Äbtissin?«, fragte Simon.

      »Haben Sie schon mal von ihr gehört?«

      »Nein. Ich sagte Ihnen ja schon, dass ich mit Religion nicht viel am Hut habe.«

      »Dann machen Sie sich mal auf eine Offenbarung gefasst.«

      5

      Die Holztür zum Büro der Äbtissin stand offen, und als Simon und Carla vorsichtig ihre Köpfe hineinsteckten, sprang die Oberin sofort von ihrem Schreibtisch auf und kam ihnen mit energischen Schritten entgegen. Ihr Büro hätte auch das eines Managers eines mittelständischen Unternehmens sein können. Der hohe Raum war licht und geräumig, öffnete sich mit einer Fensterfront zum See, war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet. Rund um einen Konferenztisch aus Glas standen ordentlich aufgereiht ein paar Holzstühle, dahinter, am Kopfende, nahmen ein Schreibtisch mit einem großen Computerbildschirm und ein Flipchart fast die gesamte Breite ein, und an den Wänden reihten sich Regale, prall gefüllt mit Aktenordnern. Altes Eichenparkett verlieh dem Raum trotz der eher spartanischen Einrichtung Würde und sogar etwas Wärme. Nur das Kreuz aus grauem Metall an der Wand hinter dem Schreibtisch gab einen Hinweis auf die religiöse Bestimmung dieses Ortes.

      Die Äbtissin musste auf die siebzig zugehen, war sehr groß, aber ihr Oberköper war schmal, und sie bewegte sich trotz ihres Alters ausgesprochen leichtfüßig in ihrer schwarzen Kutte. Abrupt blieb sie vor den Besuchern stehen, einen gewissen Abstand wahrend, aber doch so nah, dass Simon unter ihrer Haube die hohe Stirn und die klugen hellblauen Augen wahrnahm. Ihre Augenbrauen darüber waren aschgrau und buschig und kontrastierten mit ihrem schmalen Gesicht und ihrer fast weißen, glatten Haut.

      Simon wollte ihr seine Hand geben, bemerkte aber noch rechtzeitig, dass das verfehlt war. Mit einem Nicken, das ihn an die Queen erinnerte, begrüßte die Oberin sie. »Maresciallo Moretti, ja? Sie kommen wegen Suor Teresa.«

      »Sì, Reverenda Madre«, sagte Carla und gab damit auch die Antwort auf die Frage, die Simon sich in diesem Moment stellte, nämlich, wie man eine Äbtissin eigentlich ansprach. Carla schien in Religionsfragen nicht ganz so inkompetent zu sein wie er. War sie eigentlich gläubig? Simon wusste es nicht, wie er überhaupt wenig über den Menschen Carla wusste. Sie war eine so nüchterne Person, dass er sich Frömmigkeit bei ihr nur schwer vorstellen konnte, aber er war zu lange Journalist, zu vielen Menschen begegnet, zu oft von ihnen überrascht worden, als dass er solchen voreiligen Urteilen traute.

      »Ich habe Signor Strasser mitgebracht. Er spricht Deutsch und könnte uns vielleicht eine Hilfe sein. Die ermordete Nonne kam ja aus Deutschland …«, fuhr Carla fort.

      Die Äbtissin ging auf Carlas Bemerkung nicht ein, schenkte Simon keinen Blick und wies auf den großen Tisch in der Mitte des Raums, auf dem eine kleine Holzkiste stand und ein paar Papiere bereitlagen. »Nehmen Sie Platz. Dieser Mord ist ein schrecklicher Schlag für unser Kloster. Alle meine Nonnen sind sehr verstört und sie brauchen meinen Beistand. Also bringen wir es schnell hinter uns.« Sie wirkte enorm wach und selbstbewusst, dachte Simon, war einer dieser Menschen, die automatisch alle Blicke auf sich zogen, wenn sie einen Raum betraten.

      »Also, Signora, was wollen Sie wissen?«

      »Seit wann war Leonie Hofmann in Ihrem Kloster?«

      Die Äbtissin setzte eine Brille auf, blätterte in den Unterlagen auf dem Schreibtisch. »Sie meinen Suor Teresa. Ich habe hier ihre Akte. Sie ist im März zu uns gekommen, aus einem Benediktinerkloster in Bayern, auf eigenen Wunsch. Weil sie glaubte, sie könne ihre Mutter hier am See finden. Die ist vor acht Jahren spurlos in München verschwunden. Suor Teresa muss vor einiger Zeit einen Hinweis bekommen haben, dass sie hier in der Gegend zu finden sein könnte, Genaueres weiß ich aber nicht.«

      »Hat sie denn mit Ihnen darüber gesprochen?«, fragte Carla.

      »Wir sprechen hier im Kloster nicht viel, das wissen Sie ja wohl.« Der Ton der Äbtissin schwankte zwischen Ironie und Belehrung. »Aber ja, ich habe mit ihr gesprochen, als wir sie aufgenommen haben. Auch danach noch ein paarmal. Sie war überzeugt, dass ihrer Mutter etwas passiert sei. Und hat sich wohl erhofft, etwas darüber herauszufinden, wenn sie selbst hierher an den See kommt. Am liebsten hätte ich sie eigentlich gleich wieder weggeschickt. Aber schließlich habe ich doch christliche Milde walten lassen. Das erwartet man ja auch von mir, nicht wahr?« Jetzt umspielte wieder ein leises Lächeln ihre Lippen. »Allerdings habe ich das später durchaus bereut. Sie war eine schwierige Person.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Haben Sie sie gesehen?«

      »Ja.«

      Der Blick der Äbtissin ging aus dem Fenster auf den See, wo das Boot der Carabinieri gerade wieder mit hoher Geschwindigkeit zurück in Richtung Omegna sauste. »Sie hat länger im Wasser gelegen, nicht wahr?«, fragte sie.

      Carla nickte. »Ja, ein oder zwei Stunden.«

      »Aber vielleicht haben Sie trotzdem bemerkt, dass sie eine besonders schöne Frau war. Ich glaube nicht, dass sie eine gute Nonne geworden wäre. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine nicht, dass man unattraktiv sein muss, wenn man Nonne werden will.« Sie legte eine Pause ein und sah


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