Mord mit verteilten Rollen. Agatha Christie

Mord mit verteilten Rollen - Agatha Christie


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Korken.«

      »Nur, verstehen Sie«, warf Mrs Oliver schnell ein, »das Fläschchen hat einen Schraubverschluss, weshalb der Korken der eigentliche Hinweis ist.«

      »Madame, ich weiß, dass Sie immer höchst einfallsreich sind, nur verstehe ich nicht ganz …«

      Mrs Oliver unterbrach ihn.

      »Es gehört natürlich auch noch eine Geschichte dazu. Wie bei einem Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift – ein Handlungsabriss.« Sie wandte sich an Captain Warburton. »Haben Sie die Handzettel?«

      »Die Druckerei hat sie noch nicht geliefert.«

      »Aber man hat sie uns fest versprochen!«

      »Ich weiß, ich weiß. Alle versprechen einem ständig das Blaue vom Himmel. Heute Abend um sechs sind sie fertig. Ich fahre mit dem Wagen hin und hole sie höchstpersönlich ab.«

      »Ah, gut.«

      Mrs Oliver stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus und wandte sich an Poirot.

      »Nun, dann muss ich es Ihnen halt erzählen. Nur bin ich nicht sehr gut im Erzählen. Ich meine, wenn ich schreibe, dann klingt alles absolut klar, aber wenn ich rede, hört es sich immer fürchterlich verworren an, und genau deshalb spreche ich auch nie mit irgendjemandem über meinen Handlungsaufbau. Das habe ich mir abgewöhnt, denn wenn ich es doch tue, starren mich alle immer nur groß an und sagen: ›Äh, ja, aber – ich verstehe die Handlung nicht, daraus kann man doch unmöglich ein Buch machen.‹ Höchst entmutigend. Und einfach nicht wahr, denn sobald ich es aufschreibe, ist es sehr wohl ein Buch!«

      Mrs Oliver hielt kurz inne, um Luft zu holen, dann fuhr sie fort: »Also, es ist so. Peter Gaye, ein junger Atomphysiker, wird verdächtigt, bei den Kommunisten in Lohn zu stehen, und ist mit diesem Mädchen verheiratet, mit Joan Blunt, und seine erste Frau ist tot, aber das ist sie gar nicht, und sie taucht auf, weil sie eine Geheimagentin ist oder vielleicht auch nicht, ich meine, vielleicht ist sie wirklich eine Anhalterin – und die Gattin hat eine Affäre, und dieser Loyola taucht auf, entweder um Maya zu treffen oder um sie auszuspionieren, und es kommt ein Erpresserbrief, der von der Haushälterin stammen könnte, andererseits allerdings auch vom Butler, und die Pistole ist verschwunden, und da man nicht weiß, an wen der Erpresserbrief gerichtet ist, und die Injektionsspritze beim Abendessen heruntergefallen und danach verschwunden ist …«

      Mrs Oliver hielt abrupt inne, denn sie wusste Poirots Reaktion richtig einzuschätzen.

      »Ich weiß«, sagte sie mitfühlend. »Es klingt etwas konfus, aber eigentlich ist es das nicht, jedenfalls nicht bei mir im Kopf, und wenn Sie den Handzettel mit dem Handlungsabriss lesen, wird alles absolut verständlich.

      Und außerdem«, schloss sie, »ist die Geschichte selbst eigentlich ziemlich unwichtig, oder? Für Sie, meine ich. Sie müssen ja lediglich die Preise überreichen – übrigens sehr schöne Preise, der erste ist ein silbernes Zigarettenetui in Form eines Revolvers – und betonen, wie bemerkenswert clever der Gewinner war.«

      Poirot dachte bei sich, dass der Gewinner tatsächlich ausgesprochen clever sein müsste. Eigentlich bezweifelte er sehr stark, dass es überhaupt einen Gewinner geben würde. Der ganze Handlungsverlauf dieser Mörderjagd schien in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt.

      »Nun«, sagte Captain Warburton mit einem Blick auf seine Uhr fröhlich, »ich sollte zur Druckerei fahren und die Zettel abholen.«

      Mrs Oliver stöhnte.

      »Wenn sie nicht fertig sind …«

      »Ach, natürlich sind sie fertig. Ich habe doch angerufen. Bis dann.«

      Er verließ das Zimmer.

      Sofort packte Mrs Oliver Poirot am Arm und fragte mit einem heiseren Flüstern: »Und?«

      »Und was?«

      »Haben Sie etwas herausgefunden? Oder jemanden im Auge?«

      Mit leicht vorwurfsvoller Stimme erwiderte Poirot: »Mir kommt hier alles und jeder völlig normal vor.«

      »Normal?«

      »Na ja, vielleicht ist das nicht unbedingt das richtige Wort. Lady Stubbs ist, wie Sie andeuteten, sozusagen subnormal, während Mr Legge eher ziemlich abnormal zu sein scheint.«

      »Ach, der ist in Ordnung«, entgegnete Mrs Oliver ungeduldig. »Er hatte lediglich einen Nervenzusammenbruch.«

      Poirot erhob keine Einwände gegen ihre etwas fragwürdige Wortwahl, sondern nahm die Aussage einfach für bare Münze.

      »Alle scheinen sich in dem erwartbaren Zustand nervöser Unruhe, hoher Erregung, allgemeiner Müdigkeit und starker Gereiztheit zu befinden, der charakteristisch ist für die Vorbereitungen solch einer Form von Unterhaltung. Wenn Sie mir nur einen Hinweis geben könnten …«

      »Sch!« Mrs Oliver packte ihn erneut beim Arm. »Es kommt jemand.«

      Wie in einem schlechten Melodrama, dachte Poirot, dessen Gereiztheit ebenfalls wuchs.

      Miss Brewis’ freundliches, sanftmütiges Gesicht tauchte in der Tür auf.

      »Ach, hier sind Sie, Monsieur Poirot. Ich habe überall nach Ihnen gesucht, damit ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen kann.«

      Sie führte ihn die Treppe hinauf und einen Gang entlang zu einem großen, luftigen Zimmer mit Blick auf den Fluss.

      »Das Badezimmer ist direkt gegenüber. Sir George spricht davon, noch das eine oder andere Badezimmer einbauen zu lassen, aber das würde die Proportionen der Zimmer unsäglich beeinträchtigen. Ich hoffe, Sie fühlen sich hier wohl.«

      »Ganz bestimmt.« Poirot ließ den Blick genüsslich über das kleine Bücherregal, die Leselampe und die Keksschachtel auf dem Nachttisch gleiten. »Sie scheinen in diesem Haus alles perfekt organisiert zu haben. Darf ich Ihnen dazu gratulieren oder meiner charmanten Gastgeberin?«

      »Lady Stubbs’ gesamte Zeit wird davon in Anspruch genommen, charmant zu sein«, erwiderte Miss Brewis in einem leicht säuerlichen Tonfall.

      »Eine höchst dekorative junge Dame«, sinnierte Poirot.

      »Sie sagen es.«

      »In anderer Hinsicht ist sie eventuell nicht …« Er unterbrach sich. »Pardon. Ich bin indiskret. Ich äußere mich hier über Dinge, die ich vielleicht nicht erwähnen sollte.«

      Miss Brewis sah ihn mit festem Blick an. Trocken erwiderte sie: »Lady Stubbs weiß sehr genau, was sie tut. Abgesehen davon, dass sie eine sehr dekorative junge Dame ist, wie Sie es ausdrückten, ist sie nämlich auch eine sehr gerissene Person.«

      Noch ehe Poirots Augenbrauen vor Überraschung in ihren Zenit geschnellt waren, hatte sie sich abgewandt und das Zimmer verlassen. Das war es also, was die tüchtige Miss Brewis dachte, ja? Oder hatte sie es aus einem bestimmten Grund gesagt? Und warum ihm gegenüber, einem Außenstehenden? Vielleicht gerade weil er ein Außenstehender war? Und auch weil er ein Ausländer war. Hercule Poirot hatte schon des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass viele Engländer der Ansicht waren, was man zu Ausländern sagte, zähle nicht!

      Verwirrt runzelte er die Stirn und starrte geistesabwesend auf die Tür, durch die Miss Brewis verschwunden war. Dann schlenderte er zum Fenster und blickte nach draußen. Plötzlich sah er, wie Lady Stubbs und Mrs Folliat zusammen aus dem Haus traten und sich kurz an der großen Magnolie unterhielten. Dann verabschiedete sich Mrs Folliat mit einem Nicken, griff sich Gartenkorb und Handschuhe und zuckelte die Auffahrt hinunter. Lady Stubbs blickte ihr einen Augenblick nach, pflückte selbstvergessen eine Magnolienblüte, roch daran und ging langsam den Pfad entlang, der zwischen den Bäumen hindurch zum Fluss hinunterführte. Sie sah sich noch einmal kurz um, dann verschwand sie aus Poirots Blickfeld. Jetzt trat Michael Weyman auf leisen Sohlen hinter der Magnolie hervor, blieb einen Moment unschlüssig stehen und folgte dann der großen, schlanken Gestalt in den Wald hinein.

      Ein gut aussehender, dynamischer junger Mann, dachte Poirot. Zweifellos eine attraktivere Persönlichkeit als Sir George Stubbs …


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