Mord mit verteilten Rollen. Agatha Christie

Mord mit verteilten Rollen - Agatha Christie


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Folliat zögerte. Lady Stubbs erhob sich und sagte mit Nachdruck:

      »Sie müssen mitkommen. Bitte. Es ist ein wunderschönes Kleid. Jetzt kommen Sie doch!«

      »Also gut.« Mrs Folliat lachte halbherzig und stand auf.

      Als ihre kleine Gestalt der hochgewachsenen Hattie folgte, sah Poirot verblüfft, dass Müdigkeit und Lustlosigkeit ihre lächelnde Contenance abgelöst hatten. Es war, als hätte sie in einem entspannten, unachtsamen Augenblick einfach ihre Gesellschaftsmaske fallen lassen. Doch da schien noch mehr zu sein. Vielleicht laborierte sie an Beschwerden, über die sie, wie viele Frauen, nie sprach. Sie war kein Mensch, dachte er, der es darauf anlegen würde, Mitleid und Mitgefühl zu erregen.

      Captain Warburton ließ sich in den Sessel fallen, den Hattie Stubbs gerade frei gemacht hatte. Auch er richtete den Blick auf die Tür, durch die die beiden Frauen verschwunden waren, doch sein Kommentar galt nicht der alten Dame. Stattdessen sagte er in einem gedehnten Tonfall und mit einem leichten Grinsen: »Ein schönes Geschöpf, was?« Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Sir George mit Mrs Masterton und Mrs Oliver im Schlepptau durch eine der Terrassentüren trat. »Hat den alten George Stubbs einfach umgehauen. Nichts ist gut genug für sie! Juwelen, Nerze, der ganze Plunder. Ob ihm klar ist, dass sie nicht ganz richtig im Oberstübchen ist, habe ich nie herausbekommen. Wahrscheinlich spielt es für ihn keine Rolle. Diese begüterten Burschen sind schließlich nicht an einer intellektuellen Beziehung interessiert.«

      »Woher stammt sie denn?«, fragte Poirot neugierig.

      »Ich finde immer, sie sieht südamerikanisch aus. Aber ich glaube, sie kommt aus der Karibik. Von einer dieser Westindischen Inseln, wo Zucker und Rum und so hergestellt werden. Aus einer der alten Familien dort – eine Kreolin, kein Halbblut. Ich glaube, auf diesen Inseln sind fast alle miteinander verschwägert. Erklärt auch den geistigen Defekt.«

      Die junge Mrs Legge kam und setzte sich zu ihnen.

      »Hören Sie, Jim«, sagte sie, »Sie müssen mir zur Seite stehen. Das Zelt muss, wie wir alle gemeinsam beschlossen haben, am Ende des Rasens, direkt vor den Rhododendronsträuchern, aufgebaut werden. Das ist der einzig mögliche Platz.«

      »Leider ist Mama Masterton da anderer Meinung.«

      »Nun, dann müssen Sie es ihr ausreden.«

      Er setzte ein listiges Lächeln auf.

      »Mrs Masterton ist meine Vorgesetzte.«

      »Wilfred Masterton ist Ihr Vorgesetzter. Er ist der Unterhausabgeordnete.«

      »Schon möglich, aber eigentlich sollte sie es sein. Sie hat nämlich die Hosen an, das kann ich Ihnen flüstern.«

      Sir George trat durch die Terrassentür wieder herein.

      »Ach, da sind Sie ja, Sally«, sagte er. »Wir brauchen Sie. Man sollte es nicht für möglich halten, aber alle zanken sich darum, wer jetzt die Brötchen mit Butter bestreichen und wer die Torte verlosen darf und warum der Stand mit dem Gartengemüse an dem Platz steht, der für die modischen Wollsachen reserviert war. Wo ist Amy Folliat? Sie soll sich darum kümmern – ist ja praktisch die Einzige, die mit diesen Leute fertigwird.«

      »Sie ist mit Hattie nach oben gegangen.«

      »Ach, wirklich?«

      Ein wenig hilflos blickte sich Sir George um, woraufhin Miss Brewis, die gerade die Eintrittskarten beschriftete, aufsprang und meinte:

      »Ich gehe sie holen, Sir George.«

      »Danke, Amanda.«

      Miss Brewis verließ das Zimmer.

      »Muss noch ein Stück Drahtzaun auftreiben«, murmelte Sir George.

      »Für das Fest?«

      »Nein, nein. Für die Grenze zum Nachbargrundstück, Hoodown Park, hinten im Wald. Der alte Zaun ist vermodert, und genau da kommen sie immer rein.«

      »Wer kommt da immer rein?«

      »Unbefugte! Eindringlinge!«, stieß Sir George aus.

      Amüsiert warf Sally Legge ein: »Sie klingen wie Betsey Trotwood auf ihrem Feldzug gegen Esel.«

      »Betsey Trotwood? Wer ist das?«, fragte Sir George.

      »Dickens.«

      »Ach, Dickens. Ich habe mal Die Pickwickier gelesen. Nicht übel. Wirklich nicht übel – hat mich überrascht. Aber im Ernst, seit es mit diesem Jugendherbergsblödsinn angefangen hat, sind unbefugte Eindringlinge zu einer echten Bedrohung geworden. Aus allen Richtungen fallen sie über einen her, tragen die unglaublichsten Hemden – ein Junge heute Morgen hatte eins, auf dem wimmelte es nur so von Schildkröten, ich dachte schon, ich hätte zu tief in die Flasche geguckt. Die Hälfte von denen kann überhaupt kein Englisch, stammelt nur herum: ›Oh, biiihte – ja, ham Sie – sagen Sie – is Weg zu Fähre?‹ Ich sage: ›Nein, das ist er nicht‹, brülle sie an und scheuche sie dahin zurück, wo sie hergekommen sind, aber meistens blinzeln sie bloß, starren einen an und verstehen kein Wort. Und die Mädchen kichern. Alle möglichen Nationalitäten: Italiener, Jugoslawen, Holländer, Finnen – selbst über Eskimos würde ich mich nicht mehr wundern! Und es würde mich auch nicht überraschen, wenn sie zur Hälfte Kommunisten wären«, schloss er finster.

      »Kommen Sie, George, fangen Sie jetzt nicht mit den Kommunisten an«, sagte Mrs Legge. »Los, ich helfe Ihnen mit den rabiaten Frauen.«

      Sie führte ihn durch die Tür ins Freie und rief über die Schulter zurück: »Kommen Sie, Jim. Kommen Sie und lassen Sie sich für einen guten Zweck in Stücke reißen.«

      »Na gut, aber erst möchte ich noch Monsieur Poirot über die Mörderjagd ins Bild setzen, da er ja die Preise überreichen soll.«

      »Das können Sie auch nachher machen.«

      »Ich warte hier auf Sie«, sagte Poirot entgegenkommend.

      In der darauffolgenden Stille streckte sich Alec Legge in seinem Sessel aus und seufzte.

      »Frauen!«, sagte er. »Wie ein Schwarm Bienen.«

      Er drehte den Kopf zur Seite und sah aus dem Fenster.

      »Und wozu das alles? Für ein albernes Gartenfest, das niemanden interessiert.«

      »Offensichtlich«, entgegnete Poirot, »interessiert es aber doch so einige.«

      »Warum können die Menschen keine Vernunft annehmen? Warum können sie nicht ihr Gehirn einschalten? Sehen Sie sich doch bloß an, in was für einem Schlamassel die ganze Welt steckt. Ist den Leuten denn nicht klar, dass die Bewohner der Erdkugel dabei sind, Selbstmord zu begehen?«

      Poirot nahm zu Recht an, dass auf diese Frage keine Antwort erwartet wurde. Er schüttelte nur bedenklich den Kopf.

      »Wenn wir nicht etwas unternehmen, ehe es zu spät ist …« Alec Legge brach ab. Wut überzog sein Gesicht. »Ja ja«, sagte er, »ich weiß, was Sie denken. Dass ich nervlich angeschlagen bin, neurotisch, diesen ganzen Quatsch. Genau wie diese verdammten Ärzte. Empfehlen einem Ruhe, Abwechslung und Seeluft. Gut, Sally und ich sind also hier runtergekommen und haben für ein paar Monate das Mill Cottage gemietet, und ich habe alle Verordnungen befolgt. Ich habe geangelt, gebadet, lange Spaziergänge gemacht und Sonnenbäder genommen …«

      »Ja, dass Sie in der Sonne gelegen haben, das habe ich bemerkt«, sagte Poirot höflich.

      »Ach, das hier?« Alec fasste sich mit der Hand an sein verbranntes Gesicht. »Das ist sozusagen das Ergebnis eines ausnahmsweise einmal schönen englischen Sommers. Aber was bringt es schon? Man kann der Wahrheit nicht entkommen, indem man einfach vor ihr davonläuft.«

      »Nein, davonzulaufen ist nie gut.«

      »Und wenn man, wie hier, in einer ländlichen Gegend lebt, erkennt man noch deutlicher, was los ist – und wie unglaublich apathisch die Leute in diesem Land sind. Selbst Sally, die nun wirklich intelligent ist. Warum sich die Mühe machen? So redet sie.


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