Der wilde Weg der Honigbienen. Christoph Nietfeld
Somit wartete ich bei meinen „Verdachtsmomenten“ oft vergeblich auf „Beweise“, die aus der Wissenschaft kommen sollten. In der Zwischenzeit durfte ich allerdings bereits Menschen kennenlernen, die ähnlich dachten und fühlten wie ich. Dies ermutigte mich, aufzuschreiben, wie sich für mich ein neuer Weg MIT den Bienen öffnete.
Zu den Menschen, die in Sachen Bienen ähnlich unterwegs waren wie ich, gehört Uwe. Das stellte sich schon bei unserem ersten Treffen heraus. Uns einte und eint die Überzeugung, dass Veränderungen in der Bienenhaltung unumgänglich sind. So tasteten wir uns an die – wie auch immer gearteten – möglichen Lösungsansätze für die rund um die Bienenhaltung bestehenden Probleme heran. Uwe näherte sich dem Ganzen – kurz gesagt – über die Sichtweise der wesensgemäßen Bienenhaltung. „Wesensgemäß“ bedeutet, dass man die Bedürfnisse der Bienen in den Vordergrund stellt. Die Biene wird nicht wie in der konventionellen Imkerei dem Ziel der Honiggewinnung untergeordnet. Als alter „Bienen“-Hase bekam ich die Gelegenheit, die imkerliche Tätigkeit in einem zweiten Anlauf aus diesem neuen Blickwinkel zu betrachten. Als wir uns Ende April zum ersten Mal sahen, tobte das Leben am Flugloch von Uwes Bienenkiste. Wenige Tage vor unserem Treffen hatte er einen Bienenschwarm bekommen und ihn dort einlogiert. Uwe strahlte vor Freude darüber, ein Bienenvolk in seinem Garten beherbergen zu dürfen. Wir machten es uns direkt neben der Bienenkiste gemütlich und beobachteten die Aktivitäten am Flugloch. Das junge Bienenvolk befand sich gerade im Aufbau. Für uns sichtbar waren die am Flugloch ein- und ausfliegenden Bienen, die Nektar als „Treibstoff“ und Pollen als „Kraftfutter“ für das heranwachsende junge Bienenvolk in der Umgebung sammelten. Für uns verborgen, im Inneren der Bienenkiste, bildete sich gerade der „Bien“ heraus: Es wurden Abertausende von Wachsplättchen geschwitzt, aus denen die Bienen das neue Wabenwerk aufbauten, das Innere der Bienenbehausung wurde mit Propolis, einem Baum- und Blattharz, ausgekleidet und damit sozusagen „desinfiziert“, es wurden Vorräte angelegt und sicherlich begann die Königin bald mit der Eiablage, so hofften wir zumindest. Eine für uns, und vermutlich auch für die Bienen, aufregende Zeit. Wir sprachen noch lange über die Bedürfnisse der Bienen und darüber, was Uwes Motivation war, seinen Garten mit ihnen zu teilen.
Die Bienenkiste für „seine“ Bienen hatte Uwe selbst gebaut. Er war in den Monaten zuvor auf die wesensgemäße Bienenhaltung aufmerksam geworden und hatte sich in einem Anfängerkurs mit dem nötigen Grundwissen vertraut gemacht. Er hatte sich von diesem Konzept, das unter anderem mit dem Schwarmtrieb arbeitet, sofort angesprochen gefühlt und sich mit gutem Gefühl auf diese Art der Bienenhaltung eingelassen. „Mehr Bienenbetreuer als Imker“ – das passte gut zu seinen Vorstellungen. Dabei hatte er eine mögliche Honigernte – das Gesprächsthema Nummer eins unter Mitmenschen, mit dem man sich unvermeidlich konfrontiert sieht – zum ungläubigen Erstaunen des Einen oder Anderen erst einmal hintenangestellt. „Wofür machst du das dann mit den Bienen, wenn du keinen Honig ernten willst?“, war eine der beliebtesten Fragen von interessierten Freunden und Bekannten gewesen, auf die er zunächst nicht so richtig eine Antwort finden konnte. Erst gemeinsam ist uns später eine gute Gegenfrage in den Sinn gekommen: „Wir hängen Nistkästen für Vögel auf, aber essen wir deshalb auch Meiseneier zum Frühstück?“
Während wir weiter die Sonne genossen und den Bienen bei ihrer Arbeit zuschauten, berichtete Uwe von einem Treffen mit den örtlichen Imkern, dem er beigewohnt hatte. Es war bestes Bienenflugwetter gewesen an diesem Tag. Die Bienenstöcke standen gleich neben einem blühenden Rapsfeld in regelmäßigem Abstand. Die Imker hatten es sich an einem mitgebrachten Biertisch gemütlich gemacht. Es war Kaffeezeit und mit einem verschmitzten Lächeln wurde frisch gebackener „Bienenstich“ serviert. Für Uwe, der heute zu Gast sein durfte, gab es dazu jede Menge Informationen und Tipps zur Bienenhaltung. Ein rundum sehr freundlicher Empfang für den potenziellen Neueinsteiger. Der ganze Stolz der Imkertruppe war eine selbst entwickelte Trachtwaage mit automatischer Datenfernübertragung. Sie wurde gerade im Feldversuch getestet. Als Tracht bezeichnet man das Angebot an Nektar, Honigtau und Pollen, den die Bienen in den Bienenstock eintragen. Von zu Hause aus ließe sich mit der Waage online verfolgen, wie sich das Gewicht der Bienenbeute durch den Eintrag von Nektar verändere, am liebsten natürlich nach oben in Richtung einer guten Honigernte. Was für eine verlockende Vorstellung! Uwe zeigte auch hierfür sein Interesse, wie es sich für einen Neuling unter Experten nun einmal gehört. Innerlich kamen – wie er mir erzählte – allerdings zum ersten Mal Zweifel auf, ob das wohl der richtige Weg sei.
„Mit welcher Beute willst du denn imkern?“, erkundigten sich die Imker beim Neuling. „Ich möchte meine Bienen in einer Bienenkiste halten!“, hatte Uwe geantwortet. Ein kurzes, aber deutlich erkennbares Schweigen folgte. Vielleicht eine Schrecksekunde auf imkerlicher Seite? Oder kannte man das Konzept der Bienenkiste nicht oder nur vom Hörensagen? Wie auch immer: „Die Bienenkiste ist nicht für die Haltung von Bienen geeignet“, einigten sich die Imker schnell. Verschiedenste Gründe wurden aufgeführt: Eine ordnungsgemäße Behandlung gegen die Varroamilbe sei nicht möglich, die Überwinterung sei schwierig, die Wabenhöhe sei zu kurz, das Volumen zu klein und nicht veränderbar, das Format nicht üblich, überhaupt ließe sich die Kontrolle des Bienenvolkes nicht wie erforderlich durchführen. Der Imker wäre in gewissem Maße seiner Kontrollfunktion über das Bienenvolk beraubt. Das könne nicht funktionieren! Und Uwe sollte die Wahl seiner Bienenbehausung noch einmal gründlich überdenken!
Erst als wir bei unserem Treffen neben besagter Bienenkiste in Uwes Garten saßen und die Situation noch einmal mit Abstand rekapitulierten, wurde uns beiden klar, dass in dieser Situation seinerzeit schlichtweg zwei Welten aufeinander getroffen waren: die des Honigernte-Profis mit der des angehenden Bienenbetreuers mit der Bienenkiste, des Bienenschwarm-Verursachers, des vermeintlichen Varroamilben-Verbreiters, von einem dieser komischen Spinner, die die Imkerei in Gefahr bringen könnten und von denen man in letzter Zeit zunehmend gehört hatte. Zu diesem Zeitpunkt lagen die traditionelle Imkerei und die sich gerade erst in der Breite entwickelnde wesensgemäße Bienenhaltung tatsächlich in entscheidenden Fragen zur „richtigen“ Bienenhaltung noch recht weit auseinander. Das war am Rapsfeld bei „Bienenstich“ und Kaffee für beide Seiten, für Uwe und die Imker, zu spüren gewesen. Am Ende des Nachmittags hatte man sich freundlich verabschiedet, sich gegenseitig eine gute Honigernte gewünscht und sich stillschweigend darauf geeinigt, getrennte Wege zu gehen. Für Uwe war das zunächst eine Enttäuschung. In den Tagen danach hatte sich Unsicherheit in seine Gedanken gemischt. Hatte er, der Anfänger, nun tatsächlich den „richtigen“ Weg eingeschlagen?
Wir beide kamen im Laufe unseres Gespräches darauf zu sprechen, dass es den allgemeingültig zu jeder Zeit und für alle „richtigen“ Weg ohnehin nicht gibt. Von den konventionellen Imkern war, zumindest was Uwes neuen, wesensgemäßen Zugang zu den Bienen betraf, derzeit wenig Unterstützung zu erwarten. Und so war er froh, sich mit einem gleich gesinnten, aber dennoch in der konventionellen Imkerei erfahrenen Menschen auszutauschen. So bestärkten wir uns gegenseitig darin, unserem Bauchgefühl zu folgen.
Mit der Bienenkiste hatte Uwe seinen Bienen nicht einfach nur irgendeine beliebige (Bienen-) Kiste gezimmert, sondern es handelt sich – wie Sie sicher vermuten werden – um einen feststehenden Begriff für eine alternative Bienenbehausung. Entwickelt wurde die Idee der Bienenkiste von Imkermeister Thomas Radetzki vom gemeinnützigen Verein Mellifera e. V. und vom Projektleiter des Bienenkistenprojektes Erhard Maria Klein. Das damit verbundene Konzept ist, Bienen mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand halten zu können. Bei der traditionellen Hobby-Imkerei zur Honiggewinnung bedarf es einer recht umfangreichen Mindestausstattung und einem Mindesteinsatz an jährlicher Arbeitszeit. Das Konzept „Bienenkiste“ ist ein Kompromiss. Es wird weniger Material und Zeit gebraucht. Der Fokus verschiebt sich dahingehend, dass die Bedürfnisse des Biens mehr Berücksichtigung finden und im Gegenzug die Interessen des Imkers mehr in den Hintergrund rücken. Die Ernte von Honig steht nicht im alles überschattenden Vordergrund – wenngleich es auch möglich ist, der Bienenkiste Honig zu entnehmen, sobald sich das Bienenvolk entsprechend entwickelt hat. Laut beiden Initiatoren des Projektes eignet sich diese Form der Bienenhaltung für Menschen, die aus Freude an der Natur und für den Eigenbedarf etwas Honig ernten wollen.1 Die Bienenkiste ist keine vollständige Neuerfindung der beiden Bienenfreunde, sondern baut auf der langjährigen Tradition des Krainer Bauernstocks auf. Sie wurde an die Bedürfnisse der zeitgemäßen Bienenhaltung