Aufgang. Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst. Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Micha
AUFGANG 13 • 2016
AUFGANG
Jahrbuch für Denken, Dichten, hunst
Band 13 • 2016
Facetten des Wachstums
Herausgegeben von
José Sánchez de Murillo
Mit Beiträgen von:
Heinrich Beck, Barbara Bräutigam, Christian Dries, Silja Graupe, Anna Grear, Klaus Haack, Rüdiger Haas, Michael Hüther, Ingrid Lanzl, Christoph Lütge, Abdel-Hakim Ourghi, Thomas Rusche und Dieter Witt
AUFGANG
Jahrbuch für Denken, Dichten, Kunst
Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. José Sánchez de Murillo
Schriftleitung:
Dr. phil. Rüdiger Haas
Bgm.-Bohl-Str.68 H
86157 Augsburg
Tel.0821-5895325
E-mail: [email protected]
Redaktion:
Renate Bürckmann, Dagmar Lick-Haas, Christoph Rinser, Renate M. Romor, Elke C. Tilk
jährlich in 1 Band. Der Bezug des Jahrgangs 2016 kostet im
Abonnement € 20,- zuzüglich Porto- und Versandkosten; das Einzelheft € 23,- zuzüglich Versandkosten. In den Bezugspreisen sind 7% MWSt. enthalten. Kündigung des Abonnements ist bis zum Jahresende für das Folgejahr beim Verlag möglich.
Verlag: Aufgang Verlag Bgm. Bohl-Str. 68H 86157 Augsburg e-mail: [email protected]
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ISBN 978-3-945732-18-2 (Paperback) bzw. 978-3-945732-19-9 (Hardcover)
Vorwort
Die Beiträge im vorliegenden Band stellen die Frage nach dem Wesen des Wachstums aus verschiedenen Perspektiven. Es geht also primär nicht um wirtschaftliches Wachstum, sondern um das Phänomen selbst und um die Vielfalt von Wachstumsmöglichkeiten.
Hinter der Frage nach dem Wesen des Wachstums verbirgt sich die Grundfrage des Menschen nach sich selbst, nach dem Sinn des Ganzen, in dem er steht und das zugleich in ihm wirkt. Genau gesehen ist der Mensch nicht. Sein Wesen geschieht vielmehr als ein Insgesamt von Gängen und Übergängen, die man Lebensphasen nennt: Kindheit und Jugend, Adoleszenz und Alter. So ist er nie derselbe, obwohl er meint, immer derselbe zu sein. Der Mensch verändert sich, wächst in verschiedene Richtungen. Er blüht, expandiert, wuchert sogar, er welkt aber auch, schrumpft und stirbt. Welches Geheimnis liegt diesem Auf und Ab zugrunde? Gibt es hier überhaupt einen erkennbaren Grund oder ist dieses Zu-Grunde-Gehen der letzte grundlose Grund?
Das Wachstum der Natur zeigt sich zyklisch und rhythmisch. Während die Erde sich mit Achsenschräglage um die Sonne dreht, erleben wir die Wiederholung der Jahreszeiten. Die Natur wächst im Frühling und Sommer nach außen, blüht, erschafft neues Leben. Sie welkt dahin im Herbst und Winter, wenn wiederum das Innenleben wächst und sich Ruhe und Bewegungslosigkeit ausbreiten. So hat das natürliche Wachstum zwei Richtungen, eine extrovertierte und eine introvertierte. Beide gehören zusammen. Die Natur ist in der Lage, Maß zwischen beiden zu halten. Mit bestechender Präzision kommt sie in den Tag- und Nachtgleichen immer wieder in die Mitte. Dies gelingt ihrer Kreatur Mensch kaum. Sein äußeres und inneres Wachstum ist meist unausgewogen. Aber das Kind von Mutter Erde sucht ständig nach Ausgewogenheit, Gerechtigkeit und Frieden. In dieser Unruhe, die stets nach Harmonie und Stille sucht, wächst der Mensch. Ist sein Wesen das Wachsen in diese Mitte?
Herausgeber, Schriftleiter und Verleger haben sich entschlossen, mit dem vorliegenden Band die Schrifttype zu wechseln: Statt der über viele Jahre bevorzugten Schrift Times New Roman mit 10,5 pt haben wir uns für die Garamond mit 12 pt entschieden, da wir der Meinung sind, das Schriftbild sei viel freundlicher und besser lesbar. Wir hoffen, dass auch Sie, geneigte Leserin, geneigter Leser, diesen Wechsel begrüßen und den AUFGANG noch lieber lesen als bisher.
Den Beitrag von Anna Grear „Growing Justice“ haben wir angesichts der Qualität seines Inhalts im englischen Original übernommen, da keine angemessene Übersetzung ins Deutsche vorliegt. Wir bitten Sie um Ihr Verständnis.
Augsburg, den 17. April 2016
Rüdiger Haas
Schriftleiter
Eröffnung
Klaus Haack
Die Treppe des Lebens
Wachsen, Blühen, Welken
Im 16. Jahrhundert stellten Künstler in Europa den Verlauf des menschlichen Lebens gerne in einem Stufenmodell, der Lebenstreppe, dar. In einer ersten Phase des Wachsens, Stufe um Stufe, erreichte der Mensch von seiner Geburt an, zwischen dem 40. und 50. Geburtstag, die Blüte seiner Jahre im Zenit seines theoretischen Erdendaseins, die höchste Blüte seiner vitalen Entwicklung. Dann setzte das Welken ein, der stufenweise Niedergang, begleitet von einem körperlichen und geistigen Verfall hin bis zum Tod.
Eine der ersten Darstellungen dieser Treppe des Lebens wurde 1540 vom Augsburger Maler und Zeichner Jörg Breu dem Jüngeren geschaffen. Das Motiv wurde bis in das 19. Jahrhundert hinein immer wieder aufgegriffen, um den Lebensweg des Menschen anschaulich darzustellen. Auch denen, die des Lesens nicht mächtig waren, sollte die Vorstellung von der Endlichkeit ihres Daseins nähergebracht werden. Die Werke standen zunächst in einem engen religiösen Zusammenhang und die zweiseitige Treppe wollte nicht die Realität abbilden, sondern allegorisch Anstieg und Abstieg, Wachsen, Blühen und Welken, kurz das Werden und Vergehen alles irdischen Lebens.
Sterben und Tod waren für die Menschen im Mittelalter bis in die frühe Neuzeit nichts Wesensfremdes, sondern eine unmittelbare Alltagserfahrung, eingebettet in den Glauben an Erlösung, an das Paradies, aber auch an Fegefeuer, Hölle und ewige Verdammnis. Der Tod bedeutete, mehr noch als heute, keine endgültige Trennung von den Hinterbliebenen und demnach kein absolutes Ende der Beziehungen zwischen den Verstorbenen und den Lebenden.1
Die Treppe des Lebens im Mittelalter
Jörg Breu d. J., Augsburg 1540, British Museum
Kaum ist aus dem Neugeborenen ein Jüngling, dann ein Mann geworden, zeigt sich schon auf der obersten Stufe der Treppe drohend der Tod, bewaffnet mit Pfeil und Bogen. Schnell altert danach der Mann, verliert seine Vitalität und wird zum Greis. Unter der Treppe ist im Gewölbe das Jüngste Gericht zu sehen, dessen Urteil entweder Himmel oder Hölle, Belohnung oder Strafe verspricht. Dazwischen sind die Etappen des Lebens durch Tiere gekennzeichnet. Vom springenden Zicklein über das junge Kalb, dem starken Stier zum mächtigen Löwen, schnürt auf dem höchsten Treppenpodest der schlaue Fuchs. Abwärts geht es mit dem listigen Wolf, der dösenden Katze, dem schon altersschwachen Hund, bis hinunter zum störrischen alten Esel.
William Shakespeare lässt in seinem Theaterstück „Wie es Euch gefällt“ den Edelmann Lord Jacques zu Wort kommen:
Die ganze Welt ist Bühne
Und alle Fraun und Männer bloße Spieler.
Sie treten auf und gehen wieder ab,
Sein