Faszination und Wunder der Technik. Werner Dupont
Beginnend mit einer Machbarkeitsstudie entstand hieraus ein Torso mit zwei anthropomorphen Roboterarmen und Fünffingerhänden. Das Schlüsselelement für die technische Umsetzung lieferten die fluidischen Muskel von Festo, deren Zugkraft mittels künstlicher Sehnen aus extrem reißfesten Dyneema-Seilen momentfrei auch über mehrere Gelenke hinweg an die gewünschten Stellglieder übertragen werden kann. So kann die Aktuatorik günstig im Körper angeordnet und die Masse der bewegten Teile klein gehalten werden. Jeweils zwei dieser kraftvollen und ultraleichten Aktuatoren können als antagonistisches Muskelpaar zusammengeschaltet werden und dienen zugleich als federnde Energiespeicher, die fließendelastische Bewegungen ermöglichen. Mit elementaren Funktionen wie Beugen, Strecken, Drehen werden im Gesamtkontext der Konstruktion mit insgesamt 48 Freiheitsgraden hochkomplexe Bewegungsabläufe realisierbar.
Der Humanoid verfügt annähernd über denselben Bewegungsradius wie ein gleich großer Mensch. Mit seinem guten Gewichts-Leistungs-Verhältnis, seiner Fähigkeit, Gegenstände zu greifen und im Bewegungsraum zu positionieren, und seinen menschähnlichen Proportionen lässt er keine Zweifel an seinem Vorbild aufkommen. Der Roboter kann sowohl vorprogrammierte Bewegungen abfahren als auch über Datenanzug und Datenhandschuh online aktuiert werden. So können alle Bewegungen des menschlichen Protagonisten mit einer leichten Zeitverzögerung von etwa 0,5 Sekunden selbst auch über große Entfernungen direkt auf den Roboter übertragen werden. Daher kann der bionische Stellvertreter an Orten eingesetzt werden, die dem Menschen nicht zugänglich oder für ihn zu gefährlich sind. Die Palette potenzieller Anwendungsgebiete erstreckt sich vom terrestrischen Umfeld über die Tiefen des Ozeans bis zu Arbeiten im Weltraum.
Bionische Raffinesse in Form strömungsoptimierter Pinguingeometrie war Pate für einen technologischen Versuchsträger namens b-Ionic Airfish, einen Flugkörper mit Ionenstrahltriebwerk. Ionenstrahlantriebe wurden ursprünglich für Weltraumanwendungen konzipiert und arbeiten mit hohen Gleichspannungsfeldern. Solche Antriebe wurden am 1. Physikalischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen erforscht und in Form des von dem Institut entwickelten Radiofrequenz-Ionen-Triebwerks (RIT) hergestellt. Die von einem solchen Triebwerk erreichbaren Rückstoßkräfte sind im luftleeren Raum sehr klein und bewegen sich im Millinewtonbereich. Dort reicht dies jedoch aus, um durch stetige Beschleunigung massereicher Ionen über lange interplanetare Flugstrecken hohe Geschwindigkeiten zu erreichen. In der Atmosphäre kann das gleiche Prinzip eingesetzt werden, um Luftionen zu beschleunigen und kleine Rückstoßkräfte für hochfliegende Flugkörper leichter als Luft zu erzielen.
Hohe Gleichspannungsfelder von 20.000 bis 30.000 Volt entreißen an dünnen Kupferdrähten umgebenden Luftmolekülen Elektronen. Die dadurch entstehenden positiven Luftionen werden dann mit hoher Geschwindigkeit von 300 bis 400 Metern pro Sekunde zu den negativ geladenen Gegenelektroden in Form von streifenförmigen Aluminiumfolien beschleunigt und reißen neutrale Luftmoleküle mit. Dies erzeugt einen effektiven Ionenwind mit einer Geschwindigkeit von bis zu zehn Metern pro Sekunde.
Dieser Ionenstrahlantrieb wird in den schwenkbaren Stummelflügeln der Flugkörper eingesetzt und arbeitet nahezu lautlos und ohne bewegte Teile und macht das Flugobjekt beliebig steuerbar. Die flächige Luftbeschleunigung über der Tragfläche entspricht quasi dem mechanischen Schlagflügelantrieb von Pinguinen und treibt den b-IONIC Airfish an.
Zukünftige Einsatzmöglichkeiten für atmosphärische Ionenantriebe liegen aber nicht schwerpunktmäßig auf dem Erzielen einer Vortriebskraft, sondern vielmehr in den Gebieten der Widerstandsreduktion und Widerstandsaufhebung. Hierzu sei darauf hingewiesen, dass Pinguine um ihren Körper eine Luftblase haben, gebildet durch Mikrobläschen im Federkleid, die den gesamten Körper umhüllt. Der hervorragende Widerstandsbeiwert liegt nicht nur in der geometrischen Besonderheit der Form, sondern auch in der Grenzschichtbeeinflussung mittels der umgebenden gasförmigen und flüssigen Phasen begründet.
Strömungsphänomene der beschriebenen Art spielen auch in der Ventiltechnik eine große Rolle. Nach der Realisierung des Airfish mittels pneumatischer Strukturen und Schlaufenpropellerantrieben wurde beim nachfolgenden Versuchsträger die konsequente Fortsetzung der gezielten Beeinflussung des Strömungswiderstandes durch einen Ionenstrahl an der Oberfläche thematisiert. Davon ableitbar ist eine gezielte Reibungsreduktion mittels Ionenwind. Dadurch würde ein b-IONIC Airfish der Zukunft in der Luft „schwimmen“ wie ein Pinguin im Wasser.
Bei der bionischen Prothetik wird wie bereits oben bezüglich Werkstoffthemen angesprochen die Entwicklung von Prothesen für den behinderten Menschen zukünftig einen wesentlichen Teil der Medizintechnik ausmachen. Die Prothesen werden sich nicht nur auf mechanischen Gliedsatz beschränken, sondern beispielsweise als Seh- und Hörprothesen direkt in die Sensorik eingreifen. Entscheidend wichtig wird sein, inwieweit es gelingt, die Informationsleiter der Biologie und der Technik – Neurone und Kabel – zu verbinden. Hierfür gibt es hoffnungsvolle Ansätze. Aber auch das Abgreifen von Potenzialen an Muskeln von Extremitätsstümpfen und die Ansteuerung von muskelähnlichen Stellgliedern in der Prothese kann sicherlich deutlich weiterentwickelt werden. Die direkte Interaktion von Mensch und Maschine gehört im weitesten Sinn hierzu.
Die bionische Robotik geht davon aus, dass Roboter heute meistens mit Stellgliedern arbeiten, die genau, aber ruckartig positionieren. Die Natur arbeitet ganz anders: Nichtlineare Stellglieder (Muskeln) positionieren die Extremitätsspitze nicht von Anfang an präzise, werden aber bis zum Erreichen des Kotaktpunkts in eigentümlicher Weise – an ihre Nichtlinearitäten angepasst – nachgesteuert. Die Nachahmung dieser natürlichen Technologie in einer bionischen Robotik steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen und könnte wie auch die bionische Prothetik sehr wesentlich werden.
Hinsichtlich der Klima- und Energiebionik stellen passive Lüftung, Kühlung und Heizung wesentliche Gesichtspunkte dar. Das Studium natürlicher Konstruktionen und die Analyse sogenannter primitiver Bauten beispielsweise in Zentralamerika und Nordafrika kann zu unkonventionellen Anordnungen und Einrichtungen führen. Dazu gehören die Idealausrichtung zu Sonne und Wind, Dachformen, Nischen in der Erde, eine ideale Unterkellerung und Luftführung vom kühlen Erdreich in die sommerwarmen Räume, eine Luftumwälzung mit Gasaustausch unter Verwendung poröser Materialien und die Energiespeicherung in wärmeaufnehmenden Systemen. Mit der Übernahme solcher natürlichen Prinzipien, wie sie beispielsweise die Termiten verwirklichen, können bis zu 80 Prozent der elektrischen Energie zur sommerlichen Kühlung und 40 bis 60 Prozent der Energie zur Winterheizung gespart werden. Symbiotische Integration von Pflanzen in die Wohnlandschaft kann zur Verbesserung des Sauerstoffpartialdrucks und zur Nahrungsversorgung dienen.
Die Energiebionik befasst sich mit Energiewandlungen in lebenden Organismen, Strukturen und Systemen der Natur, um dadurch ähnliche technische Systeme, Verfahren und Geräte für die Energiewandlung und Energieproduktion zu entwickeln und herzustellen. Ebenso stehen Systeme im Fokus des Interesses, die zur Reduktion des Energieaufwands und Energieeinsatzes oder zur Optimierung des Energieverbrauchs von der Natur evolutiv entwickelt wurden, wie auf dem Innovationskongress im österreichischen Villach im Jahr 2012 thematisiert. In engem Zusammenhang mit energetischen Fragestellungen stehen Aspekte der Klimatisierung. Passive Lüftung, Kühlung und Heizung sind wesentliche Gesichtspunkte.
Hinsichtlich passiver Ventilation von Bauten und Häusern sei folgendes Fallbeispiel angeführt: Der Präriehund Cynomys erzeugt unter Nutzung des Bernoulli-Prinzips durch unterschiedliche Gestaltung der Ein- und Ausgänge seines Baus trotz unterschiedlicher Richtungen des darüberströmenden Windes eine eindeutig gerichtete Luftströmung durch den Bau. Damit ventiliert er ohne eigenen Energieaufwand sein Heim. Analog nutzt die alte iranische Architektur in ariden Regionen mithilfe von Kuppelbauten und Windtürmen die Windströmung nach ähnlichen Prinzipien. Da die Luft vom Windturm zum Wohngebäude durch unterirdische Gänge geleitet wird, wird die Erdkühle und Erdfeuchtigkeit zur Temperierung und Klimatisierung benutzt.
Die Präriehunde wissen zwar nichts vom Bernoulli-Effekt, aber sie nutzen ihn souverän aus, was durch ein genetisches Programm bedingt ist. Beim Bau einer neuen Höhle wird die ausgebuddelte Erdmasse nur an einer der beiden Öffnungen verteilt. Dort entsteht dann ein immer höher werdender „Vesuv-Kegel“ mit Plateau. Wenn der Wind darüberstreicht, entsteht eine Saugkraft und die Luft wird an dieser Stelle aus dem Bau herausgezogen. An der gegenüberliegenden Öffnung, die flach ist und keine Erhebung hat, wird die Luft im Stil einer vollautomatischen