Faszination und Wunder der Technik. Werner Dupont
1913 der Nobelpreis für Physik verliehen. Er hatte Helium bis zu einer Temperatur von 0,9 Kelvin, entsprechend minus 272,25 Grad Celsius, herabgekühlt. Dabei stellte er den als Supraleitung bezeichneten Zustand der Widerstandslosigkeit fest, der im Falle von Quecksilber unterhalb von minus 269 Grad Celsius, also etwas mehr als 4 Grad über dem absoluten Nullpunkt, liegt. Die Verflüssigung des Heliums ermöglichte die Entdeckung einer Reihe weiterer Supraleiter mit Sprungtemperaturen von etwas oberhalb des absoluten Nullpunkts. Mit dem Begriff Sprungtemperatur bezeichnet man diejenige Temperatur, bei der ein Material schlagartig den elektrischen Widerstand verliert.
Die Kühlung mit Helium limitierte zunächst wegen des erforderlichen Aufwands und der damit einhergehenden Kosten das Spektrum der Anwendungen der neuen Supraleitertechnologie. So manifestierten sich Anwendungen zunächst im Bereich der Medizin durch die Entwicklung und den Einsatz supraleitender Sensoren zur ultrapräzisen Bestimmung von extrem schwachen Magnetfeldern des Gehirns und des Herzens durch die in ihnen präsenten elektrischen Ströme.
Einige von uns haben vielleicht schon einmal mit einem auf Supraleitertechnik basierenden Diagnosesystem der Radiologie Bekanntschaft gemacht. Das dabei eingesetzte Verfahren der sogenannten Kernspinresonanz, auch als MRT bezeichnet, machen sich die Absorption und Emission elektromagnetischer Wechselfelder von Atomkernen zu eigen. Im MRT-Gerät können die Patienten diese als sehr laute Knackgeräusche wahrnehmen. Durch den Einsatz sehr hoher Magnetfelder, die umgerechnet bei etwa dem Zehntausendfachen der Stärke des Erdmagnetfeldes liegen, wird eine räumliche Auflösung mit einer Genauigkeit von nur einem Millimeter ermöglicht. Im Fall der medizinischen Anwendung überwog das überragende Kosten-Nutzen-Verhältnis der alternativlosen Messtechnik die wirtschaftlichen Hemmnisse und begründete ihren Siegeszug zum Wohle der Betroffenen seit den 1980er-Jahren.
Es dauerte bis Mitte der 1980er-Jahre, bis sich das MRT in der medizinischen Diagnostik etablieren konnte. Für die medizinischen Errungenschaften des Kernspinresonanzeffektes wurde 2003 ein Nobelpreis verliehen, und zwar an den Briten Peter Mansfield für Physiologie/Medizin.
Beim physikalischen Effekt der Kernspinresonanz absorbieren und emittieren Atomkerne eines Materials in einem konstanten Magnetfeld elektromagnetische Wechselfelder. Normalerweise drehen sich alle Atomkerne im menschlichen Körper um ihre eigene Achse. Diesen Drehimpuls nennt man Kernspin. Durch ihre eigene Drehung erzeugen diese Kerne ein minimales Magnetfeld. Dies betrifft vor allem die Wasserstoffkerne, die am häufigsten im Körper vorkommen. Die magnetische Ausrichtung der Wasserstoffkerne ist normalerweise rein zufällig. Wenn man jedoch an den Körper von außen ein starkes Magnetfeld anlegt, dann ordnen sich diese Atomkerne alle in der gleichen Richtung an, und zwar in Längsrichtung des Körpers. Dieses Verfahren nutzt die Magnetresonanztomographie. Im MRT-System befindet sich ein starkes konstantes Magnetfeld von typischerweise 1,5 Tesla. Zusätzlich zu diesem Magnetfeld gibt das MRT-Gerät während der Messungen noch Radiowellen mit einer hohen Frequenz von ca. 10 bis 130 Megahertz auf den Körper ab, wodurch sich die parallele Ausrichtung der Wasserstoffkerne im Magnetfeld verändert. Nach jedem Radiowellenimpuls, der sich für den Patienten als Knacken bemerkbar macht, kehren die Wasserstoffkerne wieder in die vom Magneten vorgegebene Längsrichtung zurück. Hierbei senden die Atomkerne spezielle Signale aus, die während der Untersuchung gemessen und dann vom Computer zu Bildern zusammengesetzt werden. Es werden zusätzliche Magnetfelder mithilfe von sogenannten Spulen an den Körper angelegt, um eine Körperregion aus verschiedenen Blickwinkeln abzubilden. So erhält man die verwertbaren Schichtaufnahmen des Körpers.
Das MRT zeichnet sich durch konkurrenzlose Präzision in der Darstellung bestimmter menschlicher Gewebe aus. So ist das Verfahren unabdingbar bei der Kontrolle der Entwicklung von Läsionen bei Multiple-Sklerose-Erkrankungen (MS). Etwa 200.000 Menschen sind in Deutschland von MS betroffen. Das Kontrollverfahren ermöglicht die anatomische Darstellung von Organstrukturen. Durch Gabe von paramagnetischem Gadolinium als Kontrastmittel können Neurologen beurteilen, ob es sich um akute Entzündungsherde handelt, die entsprechende medizinische Maßnahmen erfordern, oder um ältere inaktive Läsionen, die keinerlei Maßnahmen bedürfen. Wegen fehlender Strahlenbelastungen kann die MRT-Methode für Untersuchungen von Säuglingen und Kindern sowie während der Schwangerschaft bevorzugt angewandt werden.
Der Markt der MS-relevanten Produkte für die weltweit 2,5 Millionen Betroffenen in den Segmenten Diagnose und Therapie umfasste 2010 für die häufigste neuro-immunologische Erkrankung allein sieben Milliarden Euro für MS-Medikamente. Hierzu komplementär beläuft sich der Weltmarkt für Diagnostik einschließlich des besagten MRT-Verfahrens auf rund fünfunddreißig Milliarden Euro.
Als Technologie des 21. Jahrhunderts kommt der Supraleitung für die Bewahrung und Steigerung der Lebensqualität eine außerordentliche strategische Bedeutung zu. Der Markt der Supraleiteranwendungen wurde mit Stand 2010 auf mehr als zwei Milliarden Euro geschätzt. Für das Jahr 2020 wurde eine Steigerung des weltweiten Marktvolumens für supraleiterbasierte Produkte auf etwa 45 Milliarden Euro prognostiziert. Dieser Betrag schlüsselt sich auf in die Sektoren Elektronik (13,5 Mrd. Euro), Energie (12,0 Mrd. Euro), Prozesstechnik (8,3 Mrd. Euro), Transport (4,1 Mrd. Euro), Medizin (4,3 Mrd. Euro) und Forschung (2,8 Mrd. Euro). Der Medizinsektor wird sich demnach in den nächsten zehn Jahren bei einem Marktanteil von rund zehn Prozent einpendeln.
Es vergingen nahezu 50 Jahre, bis 1957 das Geheimnis der Entdeckung von Kammerlingh Onnes gelüftet werden konnte. Dies geschah gemeinschaftlich durch die Amerikaner John Bardeen, Leon N. Cooper und Robert Schrieffer. Sie lieferten die fundamentale mikroskopische Erklärung der Supraleitung und erhielten dafür 1972 den Nobelpreis für Physik. Ihre bahnbrechende Erkenntnis konzentrierte sich auf die Beschreibung der Supraleitung als kollektives Phänomen. Die nach ihren Erfindern benannte BCS-Theorie lieferte Erklärungen für diverse mit der Supraleitung einhergehende Phänomene.
Über sogenannte Phononen, so nennt man in der Sprache der Quantenmechanik quantisierte Gitterschwingungen, werden Elektronenpaare miteinander verkoppelt, lautete die Zauberformel. Dabei animieren Gitterschwingungen des Festkörperkristalls die Elektronen zur massenhaften Paarbildung, die man Cooper-Paare nennt. Als Folge verliert das Material den elektrischen Widerstand unterhalb der bereits erwähnten Sprungtemperatur. Die hierzu entwickelte BCS-Theorie fußte auf der in Experimenten gemachten Beobachtung, dass die Sprungtemperatur des Metalls eine signifikante Abhängigkeit von der Masse der Atomkerne zeigte. Deswegen wurde gefolgert, dass die Supraleitung offenbar etwas mit der Wechselwirkung der Elektronen mit den masseabhängigen Gitterschwingungen zu tun haben müsse. Anschaulich gesehen kann man sich die Wechselwirkung von Elektronen und Gitterschwingungen etwa wie folgt vorstellen: Ein negativ geladenes Elektron zieht einen positiv geladenen Ionenrumpf hinter sich her. Dabei entsteht eine aus positiven Ionen bestehende Ladungspolarisationswolke. Wegen der wesentlich größeren Masse der Ionenrümpfe erfolgt die Bewegung der Polarisationswolke zeitlich verzögert. Ein zweites Elektron wird von der Polarisationswolke angezogen, das heißt, letztendlich vermittelt das Ionengitter eine attraktive Wechselwirkung zwischen zwei Elektronen, die beschließen, ein Cooper-Paar zu bilden und den supraleitenden Zustand zu ermöglichen.
Da die damaligen metallischen Supraleiter Sprungtemperaturen von maximal minus 250 Grad Celsius erreichten, war ihr technischer Einsatz natürlich begrenzt, wenn man einmal von der Medizin absieht.
Für diesen Bereich erwiesen sich supraleitende Quanteninterferenz-Detektoren (SQUIDs) als der Königsweg, um geringste vom Gehirn oder dem Herzen erzeugte Magnetfelder mit extremer Empfindlichkeit und genauer Lokalisierung berührungsfrei zu erfassen, und ermöglichten die Entwicklung und das Einsatzgebiet der oben beschriebenen Kernspintomographen.
Den diesen Detektoren zugrundeliegenden physikalischen Effekt der Eigenschaften eines Suprastroms aus Cooper-Paaren durch eine Tunnelbarriere sagte 1962 der britische Physiker Brian D. Josephson als 23-jähriger Doktorand theoretisch voraus. Klassisch gesehen kann natürlich eine Barriere nicht durchtunnelt werden. Quantenmechanisch betrachtet ist dies jedoch sehr wohl möglich, denn es gibt für jedes physikalische Objekt eine gewisse Tunnelwahrscheinlichkeit, die es erlaubt, dass ein Objekt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Barriere per „Durchtunneln“ überwinden kann. Der Tunneleffekt ist auch dafür verantwortlich, dass aus unseren Steckdosen elektrischer Strom kommt, obgleich ihre Oberflächen mit einer nichtleitenden Oxidschicht überzogen sind. Im Fall der Josephson-Kontakte tunneln keineswegs