Der tiefe Graben. Ezra Klein
ist das Volk nicht in der Lage, eine intelligente Wahl zwischen ihnen zu treffen«, warnten die Autoren.[2]
Angesichts des Abstimmungsverhaltens entlang harter Parteilinien und der geringschätzigen Haltung gegenüber Kompromissen, die den Kongress von heute prägen, ist es schwer erträglich, Sätze zu lesen wie: »Die Parteien haben wenig dafür getan, jene Art von Einigkeit innerhalb der Kongresspartei herzustellen, die derzeit so flächendeckend gewünscht wird«, und die Logik herauszuhören, die hinter solchen Äußerungen steht. Fasst man diesen Bericht in heutiger Zeit zusammen, dann kann er leicht nach »Weniger Hundebabys, mehr Hautpilz!« klingen.
Doch wie Sam Rosenfeld, Politikwissenschaftler an der Colgate University, in seinem Buch The Polarizers: Postwar Architects of Our Partisan Era argumentiert, gab es damals gute Gründe, sich Sorgen zu machen wegen des Kuddelmuddels, in das die Parteien die amerikanische Politik um die Mitte des Jahrhunderts verwandelt hatten. Die Aktivisten und Politiker, die über Jahre unermüdlich daran arbeiteten, das polarisierte politische System zu schaffen, das wir heute sehen, hatten gute Gründe für ihr Tun. Die Anerkennung der Logik hinter den Argumenten der Polarisierer in Verbindung mit dem Trümmerhaufen, den ihr Erfolg hinterlassen hat, ist nicht nur ein wirksames Heilmittel gegen eine Verklärung der Vergangenheit als Goldene Zeit, sondern auch gegen übertrieben zuversichtliche Rezepte für die Zukunft.d
Um die Besorgnis der Politikwissenschaftler zu verstehen, müssen wir die Rolle begreifen, die politischen Parteien in einer Demokratie zukommt. Betrachten Sie einmal die Themen, über die Sie sich als Bürger oder Bürgerin dieses Landes üblicherweise ein Urteil bilden sollen. Sollten wir in den Krieg ziehen gegen den Irak oder Syrien oder Iran oder Nordkorea? Ist es sinnvoll, unser um private Versicherer gestricktes Gesundheitssystem mit Hilfe von Regulierung und einem Einzelmandat, einem staatlichen Versicherungssystem für alle, auf Vordermann zu bringen? Was wäre die richtige Geltungsdauer für ein Urheberrecht – zehn Jahre, 40 Jahre, 100 Jahre? Oder bis die Sonne zu einer Supernova wird und diese zerbrechliche Welt hinwegfegt? Sollten die Steuereinnahmen des Bundes in der kommenden Dekade bei 28 Prozent, 31 Prozent oder 30 Prozent des BIP liegen? Wo liegt die angemessene Obergrenze für die Zahl von Einwanderern pro Jahr, und wie viele der Immigranten sollten zum Zweck der Familienzusammenführung ins Land kommen beziehungsweise um wirtschaftliche Bedarfe zu decken? Niemand von uns ist in der Lage, sich genügend Fachwissen zu einer derart breitgefächerten Anzahl von Themen anzueignen.
Politische Parteien sind Abkürzungen. Der APSA-Bericht nannte sie »unverzichtbare Regierungsinstrumente«, weil sie »den Wählern eine angemessen breite Auswahl zwischen alternativen Handlungsvorschlägen [bieten]«. Wir mögen das exakt richtige Niveau von Steuereinnahmen nicht kennen, wir mögen nicht wissen, ob es sinnvoll ist, eine Flugverbotszone über Syrien einzurichten. Was wir aber wissen, ist, ob wir die Demokraten, die Republikaner, die Grünen oder die Liberalen unterstützen. Die Entscheidung für eine Partei ist die Entscheidung darüber, wem wir es zutrauen, unsere Werte in exakte politische Urteile in Bezug auf eine riesige Bandbreite von Herausforderungen umzuwandeln, vor denen das Land steht. »Für die große Mehrheit der Amerikaner«, schreiben die Autoren, »liegt die wertvollste Möglichkeit, den Kurs der öffentlichen Angelegenheiten zu beeinflussen, darin, eine Entscheidung bei den wesentlichen Wahlen treffen zu können.«
1950 bestand das Problem darin, dass die beiden wichtigsten Parteien des Landes die Absichten ihrer Wähler nicht einlösten. Eine Demokratin aus Minnesota, die 1954 für Hubert Humphrey stimmte, den liberalen Senatskandidaten ihrer Partei, stimmte ebenso für eine Senatsmehrheit, zu der auch Strom Thurmond gehören würde, Senator aus South Carolina und eines der konservativsten Mitglieder der Kammer überhaupt. Anstatt den Wählern eine echte Wahl zu bieten, boten sie ihnen einen undefinierbaren Brei.e
So sahen die Mitglieder von APSA das Problem. Die State Parties (Parteien auf Bundesstaatsebene) organisierten Politik entlang von Linien, die die National Parties (Parteien auf nationaler Ebene) nach und nach aufweichten. »Die National- und State-Party-Organisationen sind größtenteils unabhängig voneinander. Sie operieren alle in ihrer eigenen Sphäre, ohne nennenswerte gemeinsame Ansätze zu Fragen der Parteipolitik und -strategie«, beschwerten sich die Autoren. Im US-Kongress saßen Demokraten, die konservativer waren als viele Republikaner, und Republikaner, die genauso liberal waren wie die meisten linksgerichteten Demokraten. Sie beraubten die Wähler ihrer wertvollsten Möglichkeit, den Kurs der öffentlichen Angelegenheiten zu beeinflussen.
Senator William Borah, ein Republikaner aus Idaho, brachte es 1923 pikanterweise so auf den Punkt: »Jeder Mann, der eine republikanische Vorwahl tragen kann, ist ein Republikaner.« Und weiter: »Er mag an freien Handel glauben, an eine vorbehaltlose Mitgliedschaft im Bund der Völker, an die Rechte der Bundesstaaten und an jede Politik, für die sich die Demokratische Partei jemals starkgemacht hat. Und dennoch: Hat er seine republikanische Vorwahl getragen, dann wäre er ein Republikaner.«[3] Republikaner zu sein bedeutete nicht, Konservativer zu sein. Es bedeutete, Republikaner zu sein. Parteienzugehörigkeit war eine Tautologie in sich, kein reichhaltiger Signifikant für bestimmte Prinzipien und Sichtweisen.
1950 gab Thomas Dewey, der ehemalige Gouverneur von New York und Präsidentschaftskandidat der GOP 1944, offen zu, dass, wenn der Maßstab für eine »echte« politische Partei darin bestünde, dass es sich um »eine einheitliche Organisation mit einem nationalen Blickwinkel auf wichtige Themen« handele, weder die Republikanische noch die Demokratische Partei eine seien. Dewey hielt dies für eine große Stärke, denn »keine einzige Religion oder Hautfarbe oder Rasse und auch kein einziges ökonomisches Interesse ist beschränkt auf die eine oder andere unserer Parteien. Jede Partei stellt bis zu einem gewissen Grad das Spiegelbild der anderen dar. […] Vielleicht ist dies ein Teil des Geheimnisses unserer enormen Macht, dass der Wechsel von einer Partei zur anderen für gewöhnlich eine Kontinuität des Handelns und der politischen Entscheidungen der Nation als Ganzes zu den meisten grundlegenden Fragen eingeschlossen hat.« Er räumte ein, dass es auch jene gebe, die »über beide Parteien lästern und sagen, sie würden nichts weiter repräsentieren als die Wahl zwischen Dick und Doof«. Würden die Kritiker ihren Kopf durchsetzen, so sagte er, »würden sie in der Tat dafür sorgen, dass alles schön geordnet ist. Die Demokratische Partei wäre die liberale bis radikale Partei. Die Republikanische Partei wäre die konservative bis reaktionäre Partei.«[4] (Erzähler: Sie sollten ihren Kopf durchsetzen.)
1959 zog Richard Nixon – der später als Präsident die Environmental Protection Agency, die Staatliche Umweltbehörde, schuf, über ein minimales Grundeinkommen nachdachte und einen Plan für ein nationales Gesundheitswesen vorlegte, der ambitionierter war als Obamacare – voller Spott über jene her, die danach strebten, die Parteien nach ihren Überzeugungen voneinander zu scheiden. »Es wäre eine große Tragödie, wenn es dazu käme, dass sich unsere beiden größten und wichtigsten politischen Parteien entlang einer Linie auseinanderdividierten, die wir konservativ-liberal nennen würden«, sagte er. Die Stärke des politischen Systems der USA läge darin, dass »wir im Großen und Ganzen bei Regierungswechseln brutale Umschwünge von einem Extrem in das andere bisher vermieden haben. Und der Grund dafür ist der, dass es in beiden Parteien stets Raum für ein breites Spektrum an Meinungen gegeben hat.«[5]
In diesem Punkt (einem von sehr wenigen) stimmte sogar Robert F. Kennedy Nixon zu. Der Journalist Godfrey Hodgson erinnert sich an ein Gespräch, in dem Kennedy davor warnte, dass »das Land bereits in vertikaler Richtung gespalten« sei, »nämlich in Sektionen, Rassen und ethnische Gruppen«, und es daher »gefährlich« wäre, »es auch noch horizontal zu spalten, nämlich in Liberale und Konservative«.[6] So betrachtet war Politik dazu da, unsere Divergenzen einzuebnen, nicht dazu, sie zu repräsentieren.
1959 veranstaltete das Republican National Committee, die bundesweite Parteiorganisation der Republikaner, eine interne Debatte darüber, ob die Partei sich von einem Kanon präzise umschriebener ideologischer Werte leiten lassen sollte. Zur Eröffnungsversammlung des Committee for Program and Progress (Komitee für Programm und Fortschritt), das mit der Ausarbeitung einer Agenda für die GOP beauftragt war, lud die Gruppe den Politikwissenschaftler Robert Goldwin ein, der dafür plädieren sollte, dass es »für eine große politische Partei weder möglich noch wünschenswert« sei, »sich von Prinzipien leiten zu lassen«. Unsere modernen Grabenbrüche verleihen Goldwins Bedenken ein Gewicht, das sie 1959 wohl nicht hatten.