Anmerkungen eines ganz gewöhnlichen Hundes. Katja Hildebrand
Hund muss man sehr viele Mäuse fangen, um davon satt zu werden, und deswegen suchten wir uns auch bei manchen Menschen-Häusern unser Futter aus den Eimern, in die Menschen alles werfen, was sie nicht mehr brauchen. Ich kann euch sagen, da waren manchmal die abenteuerlichsten Dinge dabei. Oft fand man aber noch wirklich sehr leckere Sachen zum Essen. Auch am Strand gab es viel zu essen, da waren nämlich die Menschen, die dieses Land nur für kurze Zeit besuchten. Mama erklärte uns, dass die Menschen das „Urlaub“ nennen. Urlaub sei dafür da, um sich von der Arbeit zu erholen.
Ich fand es toll, dass es die Urlaub-Menschen gab, denn sie waren ja ohne Arbeit und mussten sich keine Sorgen machen und waren eigentlich immer gut gelaunt. Und wenn man die Urlaub-Menschen entsprechend nett anlächelte (und ich kann echt gut lächeln), dann bekam man eigentlich immer was ab von ihrem Urlaub-Essen, das sie sich schmecken ließen. Aber da am Strand bei den Urlaub-Menschen war es für uns Hunde verboten. Wir sollten uns dort normalerweise nicht blicken lassen, denn wenn man erwischt wurde, kam man in eine Kiste und wurde weggebracht. Wir alle wussten das. Schon als kleiner Welpe bekam man diese Warnung eingeimpft. Wenn aber der Hunger zu groß wurde, gingen wir eben doch dort hin. Mama wusste, wie man es anstellen musste, wo es gute Versteck-Plätze gab und wo sich die meisten Urlaub-Menschen aufhielten.
Mama brachte uns auch vieles über die Menschen bei. Wie bei uns Hunden, gab es natürlich auch bei den Menschen Weibchen und Rüden. Das ist ja klar, sonst könnten sie auch keine Menschen-Welpen bekommen. Die Menschen-Welpen wurden, das konnte ich schnell feststellen, bei weitem nicht so streng erzogen, wie wir Hunde-Welpen. Mama erklärte uns, dass es im Urlaub bei den Menschen besonders schlimm sei mit der fehlenden Erziehung. Menschen-Weibchen packen ihre Welpen übrigens nicht im Genick und tragen sie zurück an die Stelle, an der sie sich aufhalten sollen, sondern sie ziehen sie an den Vorderpfoten mit, die man „Hand“ nennt. Menschen-Welpen können dabei furchtbar laut werden, wenn ihnen das nicht passt, und ich fragte mich jedes Mal, weshalb die Menschen-Weibchen die Welpen nicht mal kurz und kräftig in die Seiten beißen, so wie Mama das bei uns tat. Aber Menschen, so sagte meine Mama zu uns, erziehen ihre Welpen eben anders. Ich muss zugeben, dass ich damals im Spanien-Land, wenn ich hungrig hinter den Häusern lauerte und gerne vorgeprescht wäre, aber Mama uns unmissverständlich deutlich gemacht hatte, dass wir alle bei ihr zu bleiben hatten, also dass ich da ziemlich neidisch auf die Menschen-Welpen war, die offensichtlich immer alles bekamen, was sie wollten, wenn sie nur laut genug quengelten und schrien. Aber mein Respekt vor Mama war so groß, dass ich es nicht auf einen Quengelversuch ankommen lassen wollte und lieber das tat, was Mama von uns verlangte. Schließlich wusste sie, was das Beste für uns war.
Bei den Menschen-Welpen gab es übrigens natürlich auch Weibchen und Männchen. Man konnte das nicht nur unterscheiden, wenn sie nackt im Meer badeten, sondern oft auch daran, weil die Menschen-Eltern ihren Welpen bestimmte „Farben“ gaben mit der Kleidung, die die Welpen tragen mussten. Die weiblichen Menschen-Welpen hatten oft „rosafarbene“ Kleidung mit viel Glitzer und Pferden auf den „Kleidchen“. Bei den männlichen Menschen-Welpen gab es grüne Monster mit großen Zähnen oder Autos, die auf die „Tischörts“ gedruckt waren. Das fand ich eigentlich ganz praktisch, wenn man mal von der Tatsache absieht, dass wir Hunde es viel besser haben, weil wir einfach nur ein Fell am Körper tragen. Allerdings kann man dadurch die Hunde-Welpen eben nicht an der Fellfarbe unterscheiden.
Erst später, als ich schon nicht mehr im Spanien-Land war, lernte ich, dass die männlichen Menschen-Welpen „Junge“ und die weiblichen Menschen-Welpen „Mädchen“ heißen. Ich war aber froh, dass meine Mama mir schon so viel über die Menschen beigebracht hatte. Auf diese Erfahrungen konnte ich prima aufbauen.
Es gab unter uns Straßenhunden eine Rangordnung. Nicht jeder durfte an allen Plätzen zu den Urlaub-Menschen. Das war streng nach Straßen aufgeteilt. Manchmal erlebte ich, dass Mama wieder für eine neue Straße bei den Urlaub-Menschen kämpfte. Sie seufzte dann immer und sagte, sie wüsste bald nicht mehr, wie sie uns noch satt bekommen sollte. Wichtig war, dass man bestimmten Menschen nicht zu nahekam. Männer mit Schildmützen auf dem Kopf beispielsweise waren die „Fänger“. Mama hatte uns von Anfang an vor denen gewarnt. Wenn diese Fänger-Menschen einen Straßenhund erwischten, kam der in ein Kisten-Auto und wurde in die „Perrera“ nach Jerez de la Frontera gebracht. Ich weiß das, weil Mama uns davon erzählt hatte, und Mama wusste das, weil es einen Hund gab, der von einer Menschen-Familie aus dieser Perrera befreit wurde und der jetzt bei dieser Menschen-Familie leben durfte. Es war nicht schön, was der Hund über die Zeit und die Zustände in dieser Perrera berichtete, und ehrlich gesagt konnte ich es gar nicht glauben, was ich da hören musste.
Eine Perrera ist, ich mag es gar nicht aussprechen, eine Tötungsstation. Die Menschen-Regierung im Spanien-Land hat beschlossen, dass man in allen größeren Städten solche Perreras bauen soll, weil es zu viele von uns Straßenhunden gibt, sagen die Regierungs-Menschen. Also sollen die Fänger-Menschen die Hunde in diese Perreras bringen. Dort wird unsereins in Zwinger gesperrt, meistens sind mehrere Hunde zusammen in einem Zwinger. Länger als 21 Tage ist keiner der Hunde dort. Meldet sich nämlich kein Mensch, der einen Hund vermisst, oder kommt kein Mensch, der einen Hund befreien möchte, dann werden die Hunde in der Perrera getötet.
Ich hoffe immer noch, dass meine Mama und meine Geschwister Glück hatten und befreit wurden. Aber ich weiß es nicht. Den Tag, an dem sie von den Fänger-Menschen geschnappt wurden, werde ich nie vergessen. Wir waren schon seit zwei Tagen fast vergeblich auf Futtersuche gewesen. Es waren viele Urlaub-Menschen da, und obwohl Mama kein gutes Gefühl hatte, beschloss sie, abends mit uns an den Strand zu gehen. Geduckt und immer auf der Hut vor den Fänger-Menschen huschten wir durch die Straßen. Anfangs hatten wir richtig Glück und fanden eine Menschen-Familie, bei der die Kinder darauf bestanden, ein eigenes Essen zu bekommen. Menschen-Welpen wollen meistens eigenes Essen wie die großen Menschen und können dann aber nicht alles aufessen (was ich nicht verstehen kann, ich kann nämlich immer alles aufessen, und das konnte ich auch schon als Hunde-Welpe), und dann lassen die Menschen-Welpen das Essen manchmal einfach fallen, weil sie es vor den Menschen-Eltern nicht zugeben wollen, dass sie doch nicht alles schaffen konnten. Wir erwischten also ziemlich leckere, frische „Empanadas“ und gefülltes Pitabrot, denn die Menschen-Welpen hatten einen Eisstand entdeckt und wollten lieber Eis essen. Noch bevor die Menschen-Eltern es bemerken konnten, waren wir mit dem Essen im Maul schon hinter der nächsten Hausecke verschwunden, und eigentlich war das doch ein guter Deal und jedem geholfen.
Während meine Mama und meine Geschwister ihr Essen verspeisten, war meines schon längst weg – ich kann nämlich ziemlich schnell essen, weshalb mich Mama oft getadelt hatte, was aber wiederum nichts nützte, denn es war eben meine Art zu essen und ist es bis heute geblieben. Darum, also weil ich schon fertig war, aber immer noch Hunger verspürte, hängte ich mich an eine zweite Menschen-Familie mit Essen in den Händen. Mama knurrte hinter mir her, aber ich tat so, als würde ich es nicht hören. Im Ignorieren war ich schon als Hunde-Kind super, und ich kann das bis heute noch gut. Was dann geschah, lässt mich noch bis heute erzittern.
Gerade, als ich mich vor die Menschen-Frau gesetzt und sie mit schiefem Kopf angelächelt hatte und sie zurück lächelte und ganz freundlich ein Stück von ihrem Pitabrot für mich abbrechen wollte, hörte ich einen Schrei, das Aufjaulen von Mama und das Fiepen meiner Geschwister. Ich rannte zurück zu der Stelle, wo wir gemeinsam in Deckung gegangen waren, doch ich sah nur noch die Rücklichter des Kisten-Autos, und keine Mama und keine Geschwister waren mehr da. Die Fänger-Menschen hatten sie erwischt. Und mich, mich hatten sie nicht, weil ich Mamas Warnung ignoriert hatte. Aber jetzt war ich allein. Mutterseelenallein in der großen Stadt mit vielen Urlaub-Menschen, Fänger-Menschen und ganz viel Angst. Was sollte nur werden?
Auf einmal spürte ich nicht einmal mehr den bohrenden Hunger, der manchmal so weh tun konnte. Es war, als hätte die Welt aufgehört, sich zu drehen. Mit eingezogenem Schwanz schlich ich davon, ohne zu wissen, wohin ich gehen sollte. Es gab im Spanien-Land in El Puerto viele Hunde, die oft in kleinen Rudeln zusammenlebten, aber Mama und wir waren ja unser eigenes kleines Rudel gewesen. Jetzt wusste ich überhaupt nicht, wo eigentlich mein Platz war, an dem ich schlafen und mich zurückziehen konnte, ohne dass ich jemandem sein Revier streitig machte. Das bedeutete, dass ich fortan nicht nur vor den Fänger-Menschen, sondern auch von den Revier-Hunden auf der Hut sein und mich in eine etwas ruhigere Gegend in