Anmerkungen eines ganz gewöhnlichen Hundes. Katja Hildebrand

Anmerkungen eines ganz gewöhnlichen Hundes - Katja Hildebrand


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sich der Hunger irgendwann nicht mehr überhören ließ, machte ich mich auf die Suche nach etwas zwischen die Lefzen. Dabei begegnete ich einer jungen, schwarz-braun gestromerten Hündin, die etwa in meinem Alter war und die ein ähnliches Schicksal teilte. Man sagt, geteiltes Leid ist halbes Leid, und da ist wirklich etwas Wahres dran. Fortan waren wir quasi unzertrennlich, und ich kam allmählich über den ärgsten Schmerz des Verlustes hinweg. Die Gestromerte und ich hatten eine gute Zeit. Wenn wir zu den Urlaub-Menschen gingen, was wir häufiger machten, weil es am schnellsten die hungrigen Mägen stopfte, hatten wir uns einen sehr gut funktionierenden Trick ausgedacht. Wir setzten uns nebeneinander, ich legte meinen Kopf auf die eine Seite, sie ihren Kopf auf die andere, dann ließen wir das Maul nur so ganz leicht geöffnet und zogen unsere Lefzen ein bisschen hoch und spitzten die Ohren. Es sah für die Urlaub-Menschen aus, als würden wir lächeln, und sie fanden das wohl gut, denn oft riefen sie ganz entzückt solche Worte wie: „Oh, süß!“, und dann gaben sie uns eigentlich immer etwas von ihrem leckeren Urlaub-Essen ab. Wir fanden gute Plätze zum Schlafen und gingen den anderen Straßen-Hunden nach Möglichkeit aus dem Weg, denn da gab es einige, die echt nicht gern ihr Futter teilten. Mag sein, ich habe mir das von damals beibehalten, dass ich nicht gerne mein Futter teile. Man musste immer nehmen, was man bekommen konnte und so viel wie möglich so schnell es ging hinunterschlingen, denn man wusste nie, wann man das nächste Mal was zu fressen bekommen würde und ob nicht im nächsten Augenblick ein Hunde-Rivale oder ein Fänger-Mensch um die Ecke biegen würde.

      Auch das mit dem Schnell-Essen konnte ich mir nie mehr ganz abgewöhnen, auch wenn sich meine Menschen-Familie dafür einen Trick ausgedacht hat: Sie zwingen mich, langsam zu essen, indem sie mein Futter entweder im ganzen Garten verstreuen und ich es mir suchen muss (aber das ist schon okay und macht meistens sogar Spaß) oder indem sie es in einen Ball mit kleiner Öffnung stopfen, aus der dann immer nur ein Stück herausfällt, wenn ich den Ball mit der Schnauze über den Boden rolle. Aber ich wollte ja von damals erzählen und was dann noch so alles passierte in dem Spanien-Land. Wie schon gesagt, die Gestromerte und ich hatten eine gute Zeit, und wir waren ein echt gutes Team. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir so zusammen auf der Straße lebten. Wir fühlten uns frei, unabhängig und eigentlich unschlagbar.

      Aber eines Tages passierte es dann doch. Wir hatten gerade wieder einer Urlaub-Menschenfamilie mit unserem Kopf-Schieflege-Lächel-Trick ein paar Happen Brot abgeluchst und vor lauter Freude nicht gut genug aufgepasst, als sie von hinten kamen. Keine Chance. Die Fänger-Menschen hatten Schlingen, die an langen Stangen befestigt waren, weshalb sie sich so gut anschleichen konnten. Die warfen sie uns über die Köpfe, und diese fiesen Schlingen zogen sich so um den Hals zu, dass an ein Entkommen nicht mehr zu denken war. So kamen wir in das Kisten-Auto, zusammen in eine Kiste, zum Glück. Ich flüsterte der Gestromerten zu, dass wir jetzt bestimmt in diese Perrera kommen würden, und dann hätten wir noch 21 Tage zu leben. Maximal 21 Tage.

      Das wollte die Gestromerte nicht hören. Sie wollte eigentlich überhaupt nichts mehr hören, so traurig war sie. Ich war auch traurig, denn das war natürlich ansteckend, und unsere Lage war alles andere als rosig. In dieser Perrera steckten sie uns zusammen in einen kleinen Zwinger. Der Boden war weiß und kalt, aber wir hatten eine Decke, auf die wir uns legen konnten. Es gab einmal am Tag einen Napf voller Futter und Wasser, so dass ich sagen kann: Hunger mussten wir dort nicht leiden. Schlimm war vielmehr, dass weder die Gestromerte noch ich je eingesperrt gewesen waren. Bis zu diesem Tag war unser Leben grenzenlos frei gewesen, doch nun konnten wir gerade mal zehn Schritte in die eine und zehn in die andere Richtung machen und waren umgeben von Gitterstäben. Das war kein schönes Gefühl. Auch roch es nicht gut.

       Auf diesem Foto sieht man die Gestromerte und mich in der Perrera.

      Rechts von uns waren vier große Hunde in einem Zwinger, die zum einen sich gegenseitig nicht mochten und zum anderen auch uns überhaupt nicht ausstehen konnten. Also versuchten wir tunlichst zu vermeiden, diesem Gitter zu nahe zu kommen, denn die Großen fühlten sich sofort provoziert und fingen an, auf’s Übelste mit den Zähnen zu fletschen und zu keifen. Also ich muss sagen, auch wenn ich ihnen im Nachhinein vielleicht Unrecht tue, ich glaube, die haben das manchmal regelrecht herausgefordert, dass sie einen Grund zum Keifen hatten. Vielleicht waren sie auch schadenfroh, denn manchmal, wenn sie so laut wurden und so gefährlich taten, kam jemand und spritzte eiskaltes Wasser aus einem Schlauch in den Zwinger, sowohl zu denen als auch zu uns. An einem heißen Tag war das ja in Ordnung, aber der Wasserstrahl war hart, und wenn er dich direkt traf, tat er richtig weh. Links von uns waren bestimmt sechs kleinere Hunde, die waren alle alt oder krank oder schon so traurig, dass sie nicht einmal mehr fressen wollten und nur noch winselten. Eines Tages wurden die da rausgeholt und kamen nicht mehr zurück, und ich sagte zur Gestromerten, dass die bestimmt nun getötet worden waren.

      Da wurde sie noch trauriger, als sie ohnehin schon war und wollte nicht mehr fressen. Wie sollte ich da noch mit Appetit mein Futter verzehren? Es war nicht nur eng und erniedrigend, beängstigend und befremdlich, es war auch langweilig in der Perrera. Es war so schlimm, dass ich manchmal das Gefühl hatte, ich würde mich selbst nicht mehr spüren. Da begann ich, mir in mein Bein zu beißen, denn dann spürte ich, dass ich noch lebte. Noch heute überkommt mich diese Angewohnheit aus der Zeit in der Tötungsstation ab und zu, aber ich glaube, meine Menschen-Chefin hat Verständnis dafür.

      So vegetierten wir vor uns hin. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Tage richtig gezählt hatte, aber mir war klar, dass auch uns beiden nicht mehr viel Zeit blieb. Der einzige Trost für mich war, dass ich wusste, meine Mama und meine Geschwister hatten vielleicht zusammen in solch einem Zwinger sein dürfen und zumindest jeden Tag was zu fressen bekommen.

      An einem Tag geschah das Unfassbare. Es kam eine Menschen-Frau in die Perrera, die wir schon einmal gesehen hatten. Sie zeigte auf einzelne Hunde, und diese Hunde wurden dann aus den Zwingern geholt und gingen mit der Frau mit. Sie sah nicht aus, als würde sie Hunde töten, ganz im Gegenteil. Und so beschlossen die Gestromerte und ich, ein letztes Mal unseren Lächel-Trick anzuwenden.

      Wir setzten uns dicht an das Zwingergitter und legten unsere Köpfe schief. Die Frau blieb stehen und blickte uns an. Dann schüttelte sie den Kopf und wollte schon weitergehen. Mir gefroren fast die Lefzen vor Schreck, und das Lächeln sah bestimmt sehr künstlich aus, doch es schien im letzten Augenblick auch bei dieser Menschen-Frau zu funktionieren, denn nachdem sie in ein kleines Kästchen gesprochen hatte, welches sie sich an’s Ohr hielt, nickte sie und zeigte schließlich auch auf uns. Und so kam es, dass wir von dieser Menschen-Frau gerettet, aus der Perrera befreit und zu einer sogenannten Pflegestelle gebracht wurden. Dort bekamen wir Namen, denn die Menschen machen das so. Sie geben Hunden, die sie zu sich in Familien holen, Namen. Die Gestromerte wurde Candela genannt und ich Selena. Zum Glück durften wir auch dort vorerst noch zusammenbleiben.

      Auf diesem Foto werde ich zum ersten Mal an einer „Leine“ aus der Perrera geführt. Einen Strick um den Hals zu haben fand ich anfangs ziemlich doof. Man sieht, wie ich die Ohren anlege. Das mache ich eigentlich nur, wenn ich ganz unsicher bin.

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