Die reiche Zukunft hat ein Double. Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double - Christine Schick


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und zwar genau bei dem Unternehmen, das die Drohnen herstellt und sie dem Gesundheitssystem kontinuierlich spendet“, sagte der Richter.

      „Was?“ Malik war völlig irritiert. „Bei Kronberg?“

      „Ganz genau, ich möchte, dass Sie die Perspektive derer kennenlernen, die tagtäglich für unsere Gesellschaft arbeiten und Verantwortung übernehmen“, sagte Clemens Elderstedt.

      „Au ja!“ Malik hatte das Gefühl, dass seine Stimme eine Oktave nach oben verlegt worden war. Sein ironischer Ausrutscher tat ihm schon leid, als er sich selbst noch sprechen hörte. Scheiße, scheiße, scheiße! Du bist ein Idiot, dachte er und suchte fieberhaft nach einer Verharmlosungsstrategie.

      Der Richter sah ihn mit einem mitleidigen Lächeln an, schüttelte den Kopf und wurde wieder ernst. „Sie müssen Ihre Arroganz und Destruktivität in den Griff bekommen.“

      Malik rauschten Bilder und Halbsätze durch den Kopf. Seine Arroganz und Destruktivität? Was hätte Clemens Elderstedt gemacht, wenn Dragusch Winter zuckend vor ihm zusammengebrochen wäre? Liegen lassen? Lasst sie doch einfach alle liegen, wo sie hinfallen. Was war das für ein Land, in dem sich immer nur alles um Anpassung, Leistung und Funktionieren drehte? Wieso hatte die Generation, welcher der Richter angehörte, nie eine Maschinensteuer eingeführt? So könnten sie heute wenigstens die Sozialleistungen bezahlen, die für junge, alte und nicht hoch qualifizierte Menschen wichtig wären. Aber nein, man machte alle zu Prostituierten, die sich Firmen wie Kronberg anzudienen hatten. Unternehmen steuerten heutzutage nicht ihren Anteil zur Gesellschaft bei, nein, sie spendeten. Ganz zufällig waren diese Spenden Geräte, die sie selbst herstellten. Drohnen, die dich nie zu einer medizinischen Behandlung vordringen ließen. Kronberg war auch dafür verantwortlich gewesen, die Leistungskürzungen gegenüber seinem Vater durchzusetzen. Kostenoptimierung bis zur Windel. Als Urheber der Verwaltungssoftware, die damals bei den Krankenkassen eingesetzt wurde und seinem Vater nur die allerbilligsten Einlagen genehmigt hatte. Die Kriterien: Bewegungsfähigkeit und Wahrnehmungsmöglichkeiten unterhalb der Gürtellinie. Wie sich sein Vater beim ständigen Umziehen fühlte, weil sie nicht passten und ihren Zweck nicht erfüllten, spielte keine Rolle.

      „Ich weiß, was Sie jetzt denken. Aber Sie werden nicht im Ansatz mit technischen Dingen zu tun haben, sondern in der Kantine arbeiten“, riss ihn der Richter aus seinen Gedanken.

      Das war seine Chance, Himmel. Bitte, vermassel das jetzt nicht wieder, betete er ein bisschen zu sich selbst und legte eine irritierte Miene auf. „In der Kantine?“, fragte er.

      „Ganz genau. Den Beiköchen assistieren, Essen ausgeben, Extrawünsche der Mitarbeiter vom Karottensüppchen bis zur sternförmig geschnittenen Kiwi erfüllen.“

      Malik konnte es kaum glauben, was ihm Clemens Elderstedt da auf dem Silbertablett servierte. Selber schuld, wenn er sich als genug qualifiziert einstufte und keinen Technikbeirat für notwendig erachtete. Wer war hier eigentlich arrogant?

      „Aber ich habe keine Ahnung von solchen Sachen und …“ Malik fuhr sich durchs Haar. Er wollte so wirken, als beschäftigte ihn das, was sich dort in der Küche oder beim Bedienen abspielen sollte, durfte, konnte.

      „Sie sind nicht der Erste und der Einzige, der bei dieser Firma Sozialstunden ableistet. Sie werden entsprechend eingewiesen und angeleitet. Tut Ihnen vielleicht auch mal gut, etwas ganz und gar Praktisches zu machen“, sagte Elderstedt. Unglaublich. Wenn der Richter unbedingt wollte, dass er sich die Taschen voll Passwörter stopfte, Zugänge erkundete und das Unternehmen studierte, würde er sich fügen. Er hatte schließlich keine Wahl. Elderstedt saß am längeren Hebel. Malik wollte den Richter noch weiter auf Nebengleise führen. Sicher war sicher.

      „Herr Elderstedt, ich finde es klasse, dass Sie mir Sozialstunden anbieten. Aber ich muss zugeben, dass ich ein bisschen unsicher bei Gesprächen und Kontakten bin. Vielleicht wäre es besser, wenn ich nur irgendwo etwas sortiere, aufräume …“, sagte er.

      Der Richter schüttelte den Kopf. „Genau das ist meine Bedingung. Dass Sie mitmachen, sich integrieren, wie gesagt, ich will einen Perspektivenwechsel.“

      Malik deutete ein Nicken an, was so viel heißen sollte wie es fällt mir schwer, aber ich lasse mich darauf ein.

      Abgeschoben an die Kantinenfront, in Konversation verstrickt. Vielleicht war noch ein klitzekleines bisschen Zeit, sich ins Bestellsystem zu vertiefen.

      Wer lieferte denn das leckere Essen an die Kronberg-Mannschaft? Da ließ sich sicher auch in den generellen Betriebsdatenbankbahnhof umsteigen und etwas über die weiteren Partnerschaften und Netzwerke herausfinden.

      Welche Abschottungstaktiken griffen wo, wie kommunizierten die Mitarbeiter untereinander? Welche Schlupflöcher hatten Einzelne vielleicht nicht im Blick? Und wer in der Führungsriege arbeitete gerade an welchem Projekt zum Nachteil der restlichen Bevölkerung? Das würde auch seine Freundin Charlie brennend interessieren.

      Es stand ein opulentes Mahl für ihn bereit. Malik war sicher, dass er die Zeit bei Kronberg für sich nutzen konnte. Gut nutzen konnte. Er würde den Mitarbeitern ihre Rouladen servieren und konnte sich in Ruhe in ihrer Welt umschauen. Nur erwischen lassen durfte er sich nicht. „In Ordnung. Wann fange ich dort an?“, fragte Malik.

      „Wenn sich irgendetwas ereignet, Klagen zu uns vordringen, wandern Sie in wenigen Stunden hinter Gitter. Die Zeit wird dann auch nicht angerechnet. Ist das klar?“

      „Völlig“, sagte Malik knapp. „Bei wem melde ich mich?“

      „Sie bekommen die Unterlagen draußen am Serviceschalter“, sagte Clemens Elderstedt und sah ihn an. „Ich würde es vorziehen, wenn wir uns nicht wiedersehen. Finden Sie einen guten Platz für sich, Herr Cerny.“

      Am Schalter erhielt er seinen Highcontroller von einem Justizmitarbeiter zurück. „Ich brauch noch die Daten zu meinen Sozialstunden, die ich ableisten muss“, sagte er zu dem graubärtigen Mann in Uniform vor ihm.

      „Finden Sie alles auf Ihrem Gerät.“

      „Könnten Sie mir das bitte ausdrucken? Zur Sicherheit.“

      Der Mann sah ihn irritiert an, begab sich aber an seinen Bildschirm und wischte ein bisschen herum. Kurz darauf schob sich seitlich von ihm ein DIN-A4-Blatt aus der Wand, das er Malik reichte.

      „Haben Sie vielen Dank“, sagte er und ging aus dem Gebäude. Er prägte sich die Angaben ein, faltete das Dokument und steckte es in seine Jackentasche.

      Während er auf die Unterdruckbahn wartete, löschte er alle Daten seines Highcontrollers. Der Luftsog im Tunnel kündigte das Eintreffen der Linie nach Nordend an. Malik ließ sein Gerät in einen der Abfalleimer gleiten und stieg ein.

      3

      Malik war verdammt müde, aber es half nichts. Der Hauptstandort des Konzerns Kronberg befand sich auf einem westlich von Frankfurt gelegenen großen Gelände, das erst als Kreuzungspunkt der verschiedenen Elektrobikeschnelltrassen ausgebaut und später vom Unternehmen aufgekauft worden war. Wer von weiter her kam, nahm die Unterdruckbahn. Das waren höllisch viele.

      Um 5 Uhr reihte sich Malik in die Schlangen ein und versuchte, sich aus dem Gedränge und Geschubse herauszuhalten. Das war schwer, weil immer wieder jemand in der Nähe nervös wurde, schneller nach vorne kommen wollte und sich mit dem Pulk um sich herum anlegte. Nach anderthalb Stunden steckte er in einem der Wagen.

      Er konnte von Glück sagen, dass sein Onkel einigermaßen gelassen reagiert hatte. Zwar war er nicht begeistert, unter der Woche auf ihn verzichten zu müssen. Aber Malik hatte sich schon überlegt, über die drei Monate immer die komplette Wochenendschicht anzubieten, was Sohan versöhnlich stimmte. Möglich, dass auch sein Bruder noch ein gutes Wort für ihn eingelegt hatte.

      Kurz nach 6.50 Uhr meldete sich Malik am Haupteingang und legte sein Dokument vor. Eine Dame mit indonesischem Aussehen hinter dem marmornen Tresen fasste den Ausdruck mit spitzen Fingern an und las. An der Wand über ihr stand in großen Lettern Kornberg – Verabredung mit der Zukunft.

      „Terry, ich hab einen S 100 hier, bring ihn bitte rüber“, rief sie nach


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