Die Rückseite der Wahrheit. Riccardo del Piero

Die Rückseite der Wahrheit - Riccardo del Piero


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      Impressum:

      © 2020 Riccardo del Piero

      Illustration Buchumschlag: R. del Piero

      Lektorat u. Umschlaggestaltung:

      Angelika Fleckenstein; Spotsrock

      ISBN:

      978-3-347-03308-5 (Paperback)

      978-3-347-03309-2 (Hardcover)

      978-3-347-03310-8 (e-Book

      Verlag und Druck:

      tredition GmbH

      Halenreie 40–44

      22359 Hamburg

      Die in der Geschichte verwendeten Namen u. Orte sind frei erfunden; Ähnlichkeiten zu lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind daher rein zufällig und keineswegs beabsichtigt.

      Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      RICCARDO DEL PIERO

      DIE RÜCKSEITE DER

      WAHRHEIT

      ROMAN

       Grün und kühl

      Grün dominiert, ein unreiner, kühler Farbton, dem die Wärme fehlt. Alles in Grün, nur Grün, so weit das Auge reicht. Ich war mitten in der grünen Welt, die ich nicht liebte, aber dennoch, sie faszinierte mich unheimlich. In meinem Innern fühlte ich mich seit jeher zur weißen Welt hingezogen, das war mein Ziel, aber das lag in weiter Ferne. Zunächst galt es, sich hier zu behaupten.

      Seit zwei Monaten war ich schon in der grünen Welt. Es war nicht die Idylle, die ich mir vorstellte, und mein Engel war nicht da. Vergeblich hatte ich ihn überall gesucht. Wenigstens hatte ich in dieser grünen Wildnis einen Freund gefunden. So ging alles etwas besser.

      Leicht war es nicht, hier Fuß zu fassen. Naiverweise hatte ich mir vieles leichter vorgestellt. Doch ich sammelte meine Erfahrungen und durchschaute die Abläufe und Gesetzmäßigkeiten in dieser geschlossenen, hierarchischen Welt. Im täglichen Kampf ums Überleben setzte sich der Stärkste durch. Die weniger lebensfähigen Individuen wurden eliminiert.

      Immer noch war ich auf der Suche nach meinem Platz. Inzwischen hatte ich gelernt, stets auf alles gefasst zu sein, denn überall lauerten Gefahren. Doch in jenem Moment fühlte ich mich sicher, obwohl … das lange Warten zermürbte mich allmählich. Ich war voller Tatendrang, und nichts passierte. Möglicherweise war ich zu ungeduldig.

      Mir war kalt, und ich fühlte mich an diesem dunklen Frühlingsmorgen im März um sieben Uhr vierzig nicht besonders wohl.

      „Wann kommt sie denn endlich?“, fragte ich mich von neuem und lief auf und ab wie ein Raubtier. Inzwischen war es ruhiger geworden um mich herum. Die dezente Hektik, das Stimmengewirr verebbte nach und nach.

      Endlich öffnete sich die Lifttüre und meine Patientin, auf die ich so lange gewartet hatte, wurde in den grünen Operationsbereich hereingefahren.

      „Wir wären alle noch ein bisschen glücklicher, wenn sie uns die Patientin wie vereinbart um sieben Uhr dreißig gebracht hätten, jetzt ist es bereits 15 Minuten später“, begrüßte ich die zwei Krankenschwestern. Sie hatten den Auftrag, ihre Patientin für einen Krampfadern-Eingriff an den Beinvenen vor den richtigen Operationssaal zu bringen, und es gab viele solcher Säle im Universitätsspital Zürich. Da hier alles schnell gehen musste, sprach niemand vom Operationssaal, sondern er hieß nur OPS.

      Die eine schaute mit einem leisen Anflug von Schuldbewusstsein zur Seite, während die andere, strohblonde, selbstbewusst antwortete: „Nichts zu machen. Die wenigen Fahrstühle sind um diese Zeit hoffnungslos besetzt, wir mussten ja auch so lange warten.“ Ein leicht bissiger Unterton war unüberhörbar. Es folgte ein kurzer, medizinischer Informationsaustausch, deutlich emotionsärmer, danach rollte ich die Patientin schnellstmöglich an ihren Bestimmungsort: OPS Nummer 5 der Visceralchirurgie1 im Stockwerk D.

      Wieder einmal arbeitete ich im hintersten und abgelegensten aller Säle. Doch zunächst galt es, sich geschickt durch den überfüllten Gang zu schlängeln. Nicht einmal meine Routine als früherer Slalomfahrer half mir. Hier verlor ich nicht Sekundenbruchteile, sondern weitere Minuten. Den zeitlichen Rückstand aufzuholen, war schon jetzt völlig unmöglich. Die Patientin sollte um diese Zeit bereits im Zustand der Narkose sein.

      Jeden Morgen waren fünf Anästhesieteams damit beschäftigt, für fünf Operationssäle ebenso viele Patienten vorzubereiten. Die Operationen sollten alle zur selben Zeit beginnen. Bei nur zwei Liften in diesem Kliniktrakt, war das schlicht undurchführbar. Ich dachte, dies sei allen, auch unseren Oberärzten, klar.

      Als ich bei Operationssaal vier um die Ecke bog, wo der Gang schmaler wurde und die Gummiräder quietschten, fragte ich mich, warum ich so häufig für Saal fünf eingeteilt wurde.

      Endlich dort angekommen, fand ich einen blitzblanken, nach Desinfektionsmitteln riechenden, aber völlig verwaisten Raum vor. In diesem hell erleuchteten Saal glänzten nur einige technische Geräte. Anästhesieschwester Anita, die mir helfen sollte, war abwesend. Jetzt nur kühlen Kopf bewahren, sagte ich mir, sonst wird alles schlimmer. Weitere kostbare Minuten vergingen, bis ich Anita, wie vermutet, im Kaffeeräumchen entdeckte.

      „Ist dein Koffeinspiegel schon genügend hoch, um gelegentlich mal mit mir die Narkose einzuleiten?“, fragte ich sie und überwand mich zu einem Lächeln.

      „Aha, ist es jetzt endlich soweit. Ich habe nämlich schon eine ganze Weile gewartet“, meinte die Angesprochene leicht verlegen, nahm einen letzten Schluck Kaffee und stand eilig auf.

      Kurz vor acht näherten sich die Chirurgen. Sie warteten ungeduldig auf ihren Einsatz und sahen mich vorwurfsvoll an. Ich erklärte ihnen kurz die Sache mit der Verspätung, ehe wir zügig loslegten.

      Kaum hatte ich den Katheter für die Infusion am Unterarm gesteckt, erschien der relativ frischgebackene Oberarzt Dr. Hans Huber im Saal.

      Er war großgewachsen und hager, sein braungebranntes Gesicht kantig. Unter der voluminösen Haube, die alle im Operationsbereich trugen, verbarg sich lockiges Haar. Sein Schnurrbart war durch den Mundschutz bedeckt. Huber schaute sich um, seine Brauen zogen sich zusammen, dann bemerkte er kurz und scharf: „Noch nicht weiter?“ und verließ den Saal wieder.

      Um die Verspätung nicht weiter zu vergrößern, verzichtete ich auf eine erneute Erklärung für den Rückstand. Zudem war ich froh, ohne Kollege Huber weiterarbeiten zu können; ich fühlte mich in seiner Anwesenheit immer etwas beobachtet und dementsprechend unsicher. Sein stechender Blick verwirrte mich. Mit seinen Kommentaren konnte ich nicht viel anfangen. Für gute Ratschläge wäre ich dankbar gewesen, denn als frisch diplomierter Arzt war ich ein Anfänger, zwar mit reichlich theoretischem Wissen ausgestattet, aber mit wenig praktischer Erfahrung. So holte ich mir die Tipps von älteren Assistenzärzten oder eben von den Anästhesieschwestern, wie Anita.

      Dank Koffeinstärkung unterstützte sie mich eifrig und reichte mir alle Utensilien wie gewünscht. Ausnahmsweise sprach sie dabei nur das Notwendigste: „Da ist die Spritze mit dem Hypnotikum Pentothal.“ Kaum war die gelbliche Flüssigkeit gespritzt, verlor die Patientin das Bewusstsein.

      Ich fühlte mich beobachtet, denn Anita hielt die ganze Zeit über Blickkontakt mit mir. Ihre Augen waren aufmerksam, weit offen. Erstmals bemerkte ich, was mir bisher entgangen war, ihre Augenfarbe war tiefbraun, ein wunderschöner Farbton, den ich selten in dieser Intensität wahrgenommen hatte. Etwas in Anitas Blick fand ich einzigartig, wobei ich nicht zu sagen vermochte, was es war.

      Da im Operationssaal alle Akteure neben der grünen Berufswäsche einen Mundschutz sowie eine Kopfhaube


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