Deutschland schafft mich. Michel Abdollahi

Deutschland schafft mich - Michel Abdollahi


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      Michel Abdollahi

      Deutschland schafft mich

      Wie ich erfuhr, dass ich doch kein Deutscher bin

      Hoffmann und Campe

       Prolog

      Wann ist ein Migrant ein guter Migrant?

      Seit jenes Gespenst in Deutschland umgeht, das Gespenst des neuen Nachbarn, muss man sich dieser Tage viel anhören, wenn man anders ist. Ständig und überall. Wer anders ist, entscheiden dabei selbsternannte Meinungssheriffs, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Gesellschaft mit ihren Standpunkten zu terrorisieren. Ob Veganer, Politiker, Homosexuelle, Fahrradfahrer, Wissenschaftler, Klimaaktivisten, Muslime, Juden, Journalisten, Frauen oder Flüchtlinge, die Liste ist lang.

      Zunächst tauchten sie nur als rätselhafte und vor allem anonyme Gestalten in den Tiefen von Yahoos Internetforen auf, später dann hinter Pseudonymen in den Kommentarspalten seriöser Zeitungen, irgendwann mit Klarnamen, Profilbild und Freundesliste ausschweifend bei Facebook, in 280 Zeichen bei Twitter, mit Visual Statements bei Instagram, dann auch abseits des Internets mit selbstgebastelten Galgen montags in Dresden, auf Wahlplakaten in 16 Bundesländern, schließlich in Talkshows zur besten Sendezeit, vor dem Adler im Deutschen Bundestag und nun mit der Waffe vor dem Wohnhaus Walter Lübckes. Eine unerwartet schnelle Entwicklung, wenn man bedenkt, dass zwischen Angela Merkels »Wir schaffen das« am 31. September 2015 und der regelrechten Hinrichtung Lübckes am 2. Juni 2019 keine vier Jahre vergangen sind. Der Kasseler Regierungspräsident hatte in der Flüchtlingsdebatte immer wieder klar Partei ergriffen und es sich nicht nehmen lassen, deutlich und selbstverständlich gegen die rechten Strömungen in Deutschland Stellung zu beziehen. So deutlich, dass der Rechtsextremist Stephan Ernst der Meinung war, ihn dafür ermorden zu müssen. Deutschland, das ist allzu deutlich, hat wieder ein Problem mit seinen Rechten. Insbesondere in Anbetracht der geschichtlichen Verantwortung müssen wir darüber sprechen.

      Als Migrant, als Deutsch-Iraner, als Mensch zwischen den Kulturen, weiß ich leider, wovon ich spreche. In den letzten Jahrzehnten, im Grunde seit ich 1986 nach Deutschland gekommen bin, habe ich mich mit den Rechten auseinandersetzen müssen. Die Öffentlichkeit hatte an diesen Erfahrungen meist kein Interesse. Warum mit Migranten sprechen und ihre Sorgen ernst nehmen, wenn man doch selbst einschätzen kann, welche Sorge berechtigt ist und welche nicht? Dieses elementare Versäumnis rächt sich jetzt auf allen Ebenen, während die Politik atemlos einer Entwicklung gegenübersteht, die ihr viele Migranten schon vor Jahren und Jahrzehnten hätten ausmalen können. Doch statt gegen die Gefahr von rechts vorzugehen, wurde viel Zeit damit verschwendet, Rechtsradikalen dabei zu helfen, sich Gehör zu verschaffen, nur um sich am Ende eingestehen zu müssen, dass man ihre Meinungen genau damit erst salonfähig gemacht hat.

      Natürlich waren sie immer schon da. Den Spruch, den ich mir als Migrant und Journalist am häufigsten anhören musste, lautet: »Geh nach Hause, mach deine Arbeit da, wo du herkommst, und lass uns hier in Deutschland in Ruhe«, wenn ich es mal freundlich wiedergebe. Wo dieses Zuhause sein soll, konnte mir bisher niemand sagen. Ich habe nie verstanden, was diese Aggressivität bei den Menschen auslöst. Eine Aggressivität gegenüber jemandem, der die Sprache spricht, sich an die Gesetze hält, versucht, einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, einer Arbeit nachgeht und Steuern zahlt.

      Seit 2015 hat sich diese Aggressivität allerdings in Terror gewandelt. Nicht, dass es vorher keine rechten Terroranschläge gegeben hätte, das wissen wir spätestens seit der Aufdeckung der Aktivitäten des NSU. Dennoch hat sich die Situation in Deutschland seither noch einmal signifikant geändert. Der Terror ist zu einem strukturellen Merkmal unserer Gesellschaft geworden. Wie sonst ließen sich die flächendeckend signifikant angesprungenen fremdenfeindlichen Angriffe[1] in Deutschland beschreiben, bis hin zu jenem Mord im Sommer 2019, als jemand nur deshalb sterben musste, weil er sich gegen Hass und für Menschen in Not eingesetzt hat?

      Doch selbst dieser Mord hat nicht bewirken können, dass wir als Gesellschaft damit aufhören, rechtes Denken zu verharmlosen. Als wäre da eine unsichtbare Macht, die uns davon abhalten will, die Rechten zu dämonisieren. Sie tanzen immer noch durch Talkshows und auf Titelseiten, werden diskutiert, analysiert und so zurechtgebogen, dass die Gefahr, die von ihnen ausgeht, am Ende möglichst klein erscheint. Nicht alle machen dabei mit, aber doch viele, und vor allem auch solche, bei denen man nur ungläubig den Kopf schütteln kann. Ich meine damit zum Beispiel das Fernsehen, die anständige Presse und auch Politiker in Regierungspflicht, die allesamt mit ihrer Verantwortung äußerst fahrlässig umgehen. Der Druck der Quote, der Auflage oder der Wählerstimme wiegt anscheinend schwerer als die Vernunft.

      Alle Politik der Rechten ist darauf ausgerichtet, Menschen, die ihnen nach ihrer eigenen Definition »nicht genügend deutsch« erscheinen, vom öffentlichen Leben auszuschließen. Die Nachrichten, die mich mitunter täglich erreichen (einige sind beispielhaft in der Klappe dieses Buches abgedruckt) sind nur ein kleines Beispiel dafür. Das dürfen wir nicht akzeptieren. Wenn ein ganz normales Leben zu derlei Aggressionen führt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass ich es mir als vermeintlicher Ausländer erlaube, einen Standpunkt zu haben, eine Haltung zu zeigen und so am gesellschaftspolitischen Leben teilzunehmen und es vielleicht auch zu beeinflussen, statt still und leise irgendwo unsichtbar ein Klo zu putzen, bedarf es keiner großen Analyse, um zu erkennen, dass wir über solche »Meinungen« nicht zu diskutieren brauchen.

      ***

      Als die Migranten ihre Gästerolle verließen und anfingen, an diesem gemeinsamen Leben teilzunehmen, wurden sie insbesondere für die Rechten zur Bedrohung. Eine aktive Rolle hatte man für die »Gäste« nämlich nicht vorgesehen. Wenn sie denn schon da sein mussten, dann bitte möglichst unsichtbar. Dabei haben die Migranten in den letzten Jahren eigentlich nur genau das getan, was Politik und Öffentlichkeit von ihnen im Grunde schon immer gefordert hatten: Sie verließen ihr Schattendasein am Rande der Gesellschaft und fingen damit an, sich aktiv mit ihr zu verweben. Es gibt dafür ein Wort: »Integration«. Die vorläufige Bilanz ist bitter: Wir haben uns redlich bemüht, aber bis heute hat es nicht gereicht. Man hört lieber den irrsinnigen »Sorgen« der Menschen zu, die sich davon bedroht fühlen, statt die zu schützen, die Teil dieser Gesellschaft werden wollen.

      Als ich 1986 nach Deutschland kam, wechselten nicht nur Wetter und Sprache, sondern die ganze Kultur. Aus dem Leben im Haus meiner Familie mit Kebab und Reis wurde ein Kindergarten mit Rahmspinat und Eiern. Aus süßem Schwarztee wurde kalte Hagebutte in der Blechkanne. Aus den belebten Straßen Teherans und den lauten, lauwarmen Abenden wurden Ruhezeiten von eins bis drei, keine Partys nach zehn und sonntags bitte tot stellen. Aus dem großen Haus im Herzen der Stadt wurden 65 Quadratmeter am Hamburger Stadtrand mit fünf Familien. Aus

wurde ABC. Und aus Krieg wurde Frieden.

      Seitdem sind 34 Jahre vergangen. Ich esse mittlerweile gerne Rahmspinat, bin im Grunde schon auf dem Weg zum Nachbarn, wenn ich um die Mittagszeit einen Staubsauger höre, und komme stets pünktlich zu meinen Verabredungen – zu meinem Leidwesen auch dann, wenn ich mal wieder im Iran bin. Dort benutze ich dann bestimmend den mahnenden Zeigefinger und mache meine verblüffte Verabredung auf die Bedeutung von Pünktlichkeit und Ordnung aufmerksam, wenn sie mit einstündiger Verspätung irgendwann doch noch kommt. Aus mir ist eine richtig gute iranische Kartoffel geworden. Und wie viele Kartoffeln frage auch ich mich in Zeiten von Krieg und Flüchtlingen, ob es mit der Integration der vielen Neuankömmlinge bei uns klappen oder alles in einer großen Katastrophe enden wird. Auf der anderen Seite sehe ich aber immer den kleinen Jungen, der hier fern des Kriegs eine neue Heimat gefunden hat, der jetzt hier sitzt und Teil der Gesellschaft geworden ist. Warum soll es mit den anderen nicht genauso klappen? Integration muss man zwar wollen, aber man muss auch die Chance dazu bekommen, ein »guter Migrant« werden zu können.

      In der letzten Zeit lässt mich jedoch das Gefühl nicht los, dass man vielleicht nie wirklich dazugehören kann. Ein Migrant bleibt immer Migrant? Mittlerweile gibt es sehr viele von denen, die das so sehen. Die, die uns jede Chance verwehren, egal wie sehr wir uns integrieren wollen. Sie sind überall und sie sind laut. Sie holen bei Wahlen viele Stimmen,


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