Diamond Legacy. Juli Summer

Diamond Legacy - Juli Summer


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Ahnung, aber auf keinen Fall hier.“ Ich setze mich auf. „Gehen wir erstmal zurück.“

      Im Klassenzimmer versuche ich vergeblich, meine Gedanken zu ordnen. Das schrille Klingeln der Schulglocke erlöst mich. Ich brauche Bewegung und frische Luft. Wie eine Herde aufgescheuchter Wildpferde galoppieren die Gedanken durch meinen Kopf. Mit schnellen Schritten bin ich aus der Klasse. Im Strom hunderter anderer Schüler treibe ich die Treppe hinunter Richtung Ausgang. Dort befreie ich mich aus der Masse. Nur Sekunden später taucht Lara neben mir auf und wir machen uns auf den Weg zum Parkhaus. Wir versuchen uns mit oberflächlicher Unterhaltung von dem eigentlichen Thema abzulenken. Dort angekommen schaut Lara mich jedoch erwartungsvoll an. Mit kalten Fingern löse ich den Verschluss der Kette und lege den Ring in meine Hand.

      „Darf ich?“, fragt Lara.

      „Sicher.“

      Sie schiebt ihn über den Ringfinger und wartet. „Mich mag er wohl nicht.“

      „Du Glückliche.“

      „Hier, versuch es.“

      Ich greife danach und streife ihn über. Sofort spüre ich die Verbindung. Das Gefühl ist stärker als die beiden Male zuvor. Die Geräusche um mich herum dringen nur noch gedämpft an mich heran. Ich schließe die Augen. Die Luft gerät in Schwingung. Das leichte Rauschen in meinen Ohren wird zu einem Flüstern. In diesem Augenblick bin ich mir sicher, es ist der Wind, den ich bis tief in mich hinein spüre. Ein Gefühl von Schwerelosigkeit erfasst meinen Körper. Und erfüllt gleichzeitig jede Zelle mit Energie. Doch bevor ich begreife, was hier geschieht, strömt diese Energie durch mich hindurch. Mit unbändiger Kraft nimmt sie von mir Besitz. Mein Puls schießt in die Höhe. Ich kann es nicht kontrollieren, will, dass es wieder aufhört, weiß aber nicht, wie ich es stoppen kann. Das anfängliche Flüstern in meinen Ohren wird zu einem unerträglich schmerzhaften Heulen.

      „Greta.“

      Wie durch Watte höre ich Lara meinen Namen rufen. Ich kämpfe mich durch den Sturm, der in mir tobt und öffne die Augen. Sie sitzt auf dem kalten Beton, mit dem Rücken an die Fassade des Parkhauses gelehnt und hält sich schützend die Hände vors Gesicht. Wind peitscht über uns hinweg. Mit letzter Kraft ziehe ich mir den Ring vom Finger und sacke zu Boden. Schon nach wenigen Sekunden hat sich die Natur beruhigt und die Geräusche der Großstadt, die an uns herandringen, haben fast etwas Beruhigendes.

      „Scheiße, was war das denn?“

      Irritiert blicke ich mich um. Im Schutz eines Pfeilers steht Finn, ein Typ aus unserer Klasse. Er kommt näher, lässt mich dabei nicht aus den Augen.

      „Bei dir alles in Ordnung?“ fragt er in Laras Richtung, die nun wieder steht.

      Lara nickt und läuft zu mir. Ich bin völlig entkräftet und nicht in der Lage, mich zu bewegen.

      „Was ist mit dir?“, will sie wissen. „Geht es dir gut?“

      „Nein.“ Tränen brennen in meinen Augen. Vor Erschöpfung, aus Angst oder Erleichterung, dass niemandem etwas geschehen ist. Vom allem ein bisschen vermutlich. „Das war beängstigend.“

      „Was genau war das denn nun?“, will Finn abermals wissen. „Scheiße, du hättest uns alle umbringen können.“

      „Hör auf zu fluchen und lass Greta in Ruhe“, verteidigt Lara mich. „Was willst du überhaupt hier?“

      Finn greift in seine Jackentasche und lässt Kopfhörer in seiner Hand hin und her baumeln, bevor er sie Lara reicht. „Die hast du auf dem Tisch liegenlassen. Ich bin hinter dir her, um sie dir zu bringen. Außerdem war ich neugierig, warum ihr es so eilig hattet wegzukommen. Warst du das vorhin in der Klasse auch?“, wendet er sich wieder an mich.

      Leugnen wäre eine Option, aber aufgrund des gerade Erlebten ziemlich aussichtslos. Mein Schweigen deutet Finn als ein Ja.

      „Oh Mann, bist du jetzt Berlins Supergirl? Wie hast du das gemacht?“

      „Finn, bitte. Du siehst doch, dass es ihr nicht gut geht. Hilf mir lieber, sie nach Hause zu bringen.“

      „Wenn ihr mir im Gegenzug Details liefert?“

      „Finn!“

      „Schon gut, ich helfe auch ohne Gegenleistung. Obwohl … so ein Kuss …“

      Ich muss lächeln. Es tut gut, in diesem Chaos ein wenig Normalität zu entdecken. Finn stand schon auf Lara, da war sie kaum einen Tag in unserer Klasse. Erst vor Kurzem hat sie mir anvertraut, dass sie sich inzwischen ebenfalls mehr vorstellen könnte.

      „Ich überlege es mir.“ Ihre Mimik ist nicht zu deuten, doch ihre Augen funkeln. „Dann zeig mal, wie heldenhaft du sein kannst.“

      Finn und Lara helfen mir auf. Ich stecke den Ring in die Hosentasche. Noch immer spüre ich die Nachwirkungen. Dieser Anfall oder wie auch immer man es nennen mag, hat mich immense Kraft gekostet. Als hätte die Energie, die ich in mich aufgenommen habe, meine kompletten Reserven angezapft, als sie verpufft ist. Mit wackeligen Beinen klettere ich die Eisentreppe nach unten. Erst allmählich nehme ich die Kälte wahr, die meinen Körper zum Zittern bringt.

      Den gesamten Weg hakt Finn mich bei sich unter. Lara läuft auf der anderen Seite und lässt mich nicht aus den Augen. Keiner spricht ein Wort, während zum ersten Mal seit Tagen die graue Wolkendecke aufreißt und ein Stück blauen Himmel freigibt. Unter anderen Umständen würde ich mich darüber freuen. Doch ich kann nur daran denken, was eben geschehen ist. Ich hatte recht, der Ring ist etwas Besonderes. Er scheint eine Verbindung zur Natur zu haben, zum Wind und er setzt Kräfte in mir frei, die ich nicht kontrollieren kann. Dieses Wissen ruft eine nie dagewesene Angst in mir hervor.

      Das Treppenhaus ist leer und still. Unsere Schritte hallen laut darin wider. Ich bin froh, endlich zu Hause zu sein. Lara und Finn treten zur Seite, damit ich aufschließen kann. Noch immer zittert meine Hand. Ich schiebe die Tür auf und gehe hinein. Ungefähr eine Nanosekunde später stellen sich meine Nackenhaare auf. Das unangenehme Kribbeln ist wieder da. Dann höre ich auch schon Lara hinter mir die Luft scharf einziehen. Beim Anblick der Wohnung wird uns allen sofort klar, dass etwas nicht stimmt. Aus dem Kommodenschrank im Flur wurden alle Schubladen herausgezogen. Der Inhalt ergießt sich über den Boden. Ein Blick in die Küche zeigt mir, dass auch hier jemand drin gewesen ist. Finn hält mich am Arm fest und schiebt sich an mir vorbei. Seine große, kräftige Gestalt wirkt beruhigend. Ich bin dankbar, dass er jetzt hier bei uns ist.

      Die Tür zum Wohnzimmer ist angelehnt. Mit dem Fuß stößt Finn dagegen. Sie schwingt auf. Dahinter befindet sich das pure Chaos. Fassungslos lege ich mir die Hand vor den offenen Mund. Da hat jemand ganze Arbeit geleistet. Nicht ein einziges Teil scheint noch an seinem Platz zu sein. Sprachlos starre ich in den Raum hinein, während Lara und Finn sich das ganze Ausmaß näher ansehen.

      Ohne auf die beiden zu warten, drehe ich mich um. Ich ahne, dass mein Zimmer der gleichen Verwüstung zum Opfer gefallen ist. Aber ich muss es mit eigenen Augen sehen. Die Tür steht offen. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper. Das ungute Gefühl, welches ich beim Eintreten in die Wohnung bereits verspürt habe, verstärkt sich. Meine Handflächen sind feucht. Dann stehe ich in meinem Zimmer und die Vermutung bestätigt sich. Auch hier ist jemand nicht zimperlich mit dem Eigentum anderer Menschen umgegangen. Er sucht nach dem Ring, meldet sich meine innere Stimme zu Wort. Es ist nur eine Ahnung, aber nach allem, was ich inzwischen weiß, kann ich es nicht mehr ausschließen.

      Im nächsten Augenblick mache ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung aus. Ehe ich zu irgendeiner Reaktion fähig bin, wird mein Körper mit Wucht gegen die Zimmerwand geschleudert. Benommen sacke ich zu Boden.

       3

      „Greta? Ich glaube, sie kommt zu sich.“

      Langsam öffne ich die Augen. Kneife sie aber gleich darauf zusammen, weil das Licht mich blendet. Ich liege auf meinem Bett. Einen Moment muss ich mich sammeln, dann erinnere ich mich. Ich will mich aufsetzen.

      „Hey, nicht so schnell.“ Lara sieht mich besorgt an „Ich bin froh, dass es dir gut geht. Der Typ hat


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