Diamond Legacy. Juli Summer

Diamond Legacy - Juli Summer


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Geheimnisse vor Mum. Doch mein Instinkt sagt mir, sie würde es nicht verstehen. Zu lange schon trägt sie die Abneigung gegen meine Großeltern in sich. Sie möchte die Vergangenheit ruhen lassen. Aus einem Grund, den nur sie kennt, will sie mit Dads Familie nichts zu tun haben. Denn eines ist mir heute klar geworden. Mum kann von den Kräften des Rings nichts wissen. Niemals würde sie mich im Unklaren lassen und mich leichtsinnig in Gefahr bringen. Wenn sie auch nur eine Ahnung hätte, würde sie es mich wissen lassen.

      Mit einem scheuen Lächeln verabschiede ich mich am nächsten Morgen von Mum. Sie wirkt noch immer leicht bedrückt. Ich wünschte, alles wäre wie vor unserer Reise. Doch schon in der U-Bahn werde ich daran erinnert, dass dem nicht so ist. Nervös schaue ich mich nach allen Seiten um, fühle mich unwohl zwischen so vielen fremden Menschen. Gleichzeitig möchte ich nicht, dass die Angst mein Leben bestimmt. Möchte mich nicht ständig umdrehen und nach Augen suchen, die auf mich gerichtet sind. Darüber habe ich mir bisher nie Gedanken gemacht. Ich will nicht, dass sich daran etwas ändert. Gefahren existieren. Und jeden von uns kann es jederzeit treffen, immer und überall. Wir alle müssen damit leben. Ich sehe in die Gesichter um mich herum. Sie unterhalten sich, lachen, hören Musik, telefonieren, hängen ihren eigenen Gedanken nach. Angst ist nur ein Störfaktor. Er vermindert unsere Lebensqualität. Damit bin ich definitiv nicht einverstanden. Trotzdem bin ich ihr für den Moment hilflos ausgeliefert.

      In Gedanken versunken laufe ich den Gehweg entlang.

      „Greta?“

      Ich zucke zusammen. Ein schwarzer Van mit getönten Scheiben rollt im Schritttempo neben mir her. Die hintere Schiebetür ist offen. Ein Mann in Anzug und schwarzem Mantel sitzt auf der Rückbank. Ich laufe schneller.

      „Greta, wir sollten uns unterhalten.“ Sein Ton ist freundlich, aber ich höre die Bestimmtheit, die darin lauert.

      „Sie müssen mich verwechseln.“ Ich versuche den Abstand zwischen mir und dem Auto so groß wie möglich zu halten.

      Plötzlich hält der Van und der Typ springt vor mir auf den Gehweg. Überrascht bleibt mir der Schreckensschrei im Hals stecken. Zum Glück reagiert mein Körper trotzdem, und ich beginne zu rennen. Mehrmals schaue ich dabei hinter mich. Weder der Mann im Anzug noch das Auto scheinen mir zu folgen. Ich bleibe erst stehen, als ich das Schulgelände erreicht habe. Nach Atem ringend stütze ich die Hände auf den Knien ab. Mich überkommt eine unbändige Wut auf Evelyn. Niemals hätte sie mir den Ring ohne Erklärung geben dürfen. Egal, was Mum davon hält. Sie hätte sich durchsetzen müssen. Das ist kein harmloses Spiel, so viel ist inzwischen klar.

      Eine Berührung an der Schulter lässt mich zusammenzucken. Noch immer wütend, drehe ich mich angriffsbereit um. Ich schaue in ein mir fremdes Gesicht. Gleichzeitig kippt ein Stück entfernt ein Mülleimer um, zwei Mädchen kreischen erschrocken auf. Für ein paar Sekunden bin ich abgelenkt, denn ich erkenne allmählich einen Zusammenhang. Diese kleinen Zwischenfälle geschehen immer dann, wenn ich aufgebracht bin. Als würde sich mein Zorn auf diese Weise entladen. Und ich trage den Ring nur an einer Kette. Was passiert, wenn ich ihn am Finger habe und wütend bin? Schon beim letzten Mal habe ich die Kräfte nicht kontrollieren können. Ein Schauder jagt mir über den Rücken. Am liebsten würde ich diesen Klunker in der Toilette versenken.

      „Hey, entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Du sahst aus, als ginge es dir nicht gut.“

      Das fremde Gesicht gehört zu einem Jungen in meinem Alter.

      „Ging mir nie besser“, erwidere ich etwas zickig, merke es aber sofort. „Sorry, das kam falsch rüber. Mir geht’s wirklich gut.“

      Skeptisch schaut er mich aus türkisblauen Augen an. Sein Blick bringt mich zum Lächeln. Er ist süß. Nicht sehr groß, ich schätze knapp eins fünfundsiebzig. Sein dunkles Haar ist kurz geschnitten.

      „Ich bin übrigens Elias.“

      „Greta“, stelle ich mich vor. „Du bist neu hier.“

      „Stimmt.“ Sein Grinsen wird breiter. Dabei bilden sich zwei tiefe Grübchen in seinen Wangen.

      Der Schulgong erinnert uns daran, warum wir eigentlich hier sind.

      „Also dann. War nett dich kennenzulernen, Greta.“

      Auf dem Weg in die Klasse spüre ich nichts mehr von meiner vorangegangenen Wut, auch der Schrecken haftet nicht mehr an mir. Deshalb verwerfe ich den Gedanken, den Ring in die Toilette zu befördern. Mit jedem Vorfall deutlicher, wie wichtig der Ring ist. Ich bin fest entschlossen zu glauben, dass Evelyn nicht aus einer Laune heraus gehandelt hat. Mich im Unklaren zu lassen, war nicht durchdacht, das steht außer Frage. Aber vielleicht hat sie die Konsequenzen unterschätzt und ihr Plan lief aus dem Ruder. Himmel, diese Unwissenheit treibt mich in den Wahnsinn.

      Während unser Tutor mit Elan das Herz-Kreislauf-System des Menschen bis ins Detail auseinandernimmt, male ich gedankenversunken die Kästchen auf meinem Spiralblock aus. Bis zu dem Zeitpunkt, als sich die Tür zum Klassenzimmer öffnet. Frau Rosenthal, unsere Direktorin, tritt ein. Dicht gefolgt von Elias.

      „Das gibt’s doch nicht“, murmele ich.

      „Kennst du ihn?“, will Lara wissen.

      Ich erzähle ihr kurz von unserer Begegnung.

      „Leckeres Kerlchen.“

      Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

      Das Getuschel an den Tischen verstummt, Herr Lehmann beendet seinen Monolog und nickt Frau Rosenthal stumm zu. Alle Blicke sind auf die Tür gerichtet. Elias scheint die Aufmerksamkeit, die ihm in dem Augenblick zuteilwird, nichts auszumachen.

      „Ich bitte um Entschuldigung. Herr Lehmann, Sie können in wenigen Minuten fortfahren. Meine Lieben, das ist Elias Brennan. Er wird ab heute diese Klasse besuchen.“ Sie nickt dem Neuen zu. „Elias, möchten Sie ein paar Worte sagen?“

      „Klar. Hi, ich bin Elias. Ich bin mit meinem Vater hergezogen. Wir sind aus New York, falls sich jemand über meinen Akzent wundert.“

      Lara stupst mich an. „New York, wie deine Großmutter“, flüstert sie mir ins Ohr.

      „So ein Zufall.“ Oder?

      „Du sprichst gut Deutsch.“ Mareike streckt den Rücken durch und bringt so ihre nicht zu verachtende Oberweite zur Geltung.

      „Ich bin mehrsprachig aufgewachsen.“ Elias zuckt mit den Schultern, als wäre es das Normalste der Welt. Mareike beachtet er dabei kaum. „Ich freu mich auf jeden Fall, hier zu sein.“ Er lässt seinen Blick lächelnd über die Klasse schweifen.

      „Gut, dann suchen Sie sich ein Plätzchen aus.“

      Auf der Suche nach einem freien Stuhl wandert Elias’ Blick durch den Raum. An mir bleibt er hängen. Seine blauen Augen verursachen ein Kribbeln in meinem Bauch. Ein Lächeln umspielt seine Mundwinkel, bevor er sich abwendet und den Platz neben Finn ansteuert.

      „Hallo, darf ich?“, fragt er höflich.

      „Tu dir keinen Zwang an.“ Finn mustert ihn kritisch, macht dann aber bereitwillig Platz.

      Während ich die Szene beobachte, treffen sich noch einmal unsere Blicke. Mein Herz kommt für einen Moment aus dem Takt. Schnell wende ich mich ab. Jetzt reiß dich mal zusammen, tadele ich mich. Elias ist zwar echt niedlich aber noch lange kein Grund, die Nerven zu verlieren. Sicher weiß er, wie gut er aussieht. Die Mädchen werden ihm zu Füßen liegen. Ich kann es schon vor mir sehen. Entsprechend brauche ich mir keine Illusionen machen. Was mich nicht davon abhält, mir vorzustellen, wie wir uns küssen.

      „Elias ist zum Anbeißen, oder?“ Laras Augen funkeln.

      „Kann sein.“

      „Ach, komm schon.“ Sie zwickt mich in die Seite.

      Ich muss lachen. „Ja, er ist nicht schlecht.“

      „Und er steht auf dich.“

      „Natürlich, er konnte sich gerade so davon abhalten, über mich herzufallen.“

      „Wir


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