Serienkiller und Mord-Schakale: 10 Krimis. A. F. Morland
nicht passiert wäre, ging es ihr durch den Kopf.
Cynthia erreichte den Beckenrand.
Sie kletterte die Leiter empor. Vor ihr ragte Ray Torillos Gestalt auf.
Sein Blick ruhte auf ihrem phantastischen Körper, von dem das Wasser abperlte.
Er musste sie schon eine ganze Weile beobachtet haben.
Cynthia genoss seine Blicke und sah ihn herausfordernd an.
Sie kam nahe an ihn heran, schlang die nassen Arme um ihn, so dass sein Hemd ganz feucht wurde. Etwas zögernd legte er seine Hände um ihre geschwungene Taille.
Nein, dachte sie, das Format des alten Pablo Hernandez hatte Ray nicht. Von ihrem Vater hatte die puertoricanische Gemeinde New Yorks seinerzeit respektvoll als 'El Hidalgo' gesprochen - dem 'Junker'. Nach dem Tod des Hidalgo hatten viele versucht, sich an die Spitze des Clans zu beißen. Ray Torillo war nur einer in einer ganzen Reihe von Nachfolgern.
Immerhin hatte er sich über die letzten Jahre hinweg halten können.
Aber das Format ihres Vaters hatte er nicht und das ließ sie ihn ab und zu auch spüren.
Sie konnte das ungestraft tun.
Ray Torillo war zwar für seinen Jähzorn bekannt, aber in ihren Händen war er nichts als Wachs.
Sie sah ihn fragend an, während die Spitzen ihrer Brüste seinen Oberkörper berührten.
"Irgendetwas ist los mit dir, Darling... Du reagierst nicht wie sonst."
"Es geht um diesen Harker", murmelte er. "Parese hat den Basken' losgeschickt, um die Sache zu erledigen."
"Und?"
"'Der Baske' ist jetzt Wurmfutter."
"Oh..."
"Mir gefällt die ganze Sache nicht... Wenn nur dein verdammter Bruder uns nicht so in Schwierigkeiten gebracht hätte!"
"Darling, jetzt bist du ungerecht!"
"Ist doch wahr! Wegen Erics Gerichtsverfahren verfolgt man alles, was wir tun mit Argusaugen! Mir sind die Hände gebunden... Und außerdem ist da ja noch dieser Irre, der versucht, den FBI-Chef umzubringen!"
Cynthia hob die Augenbrauen.
Ihr Lächeln wirkte leicht spöttisch.
"Sag bloß, du würdest Jonathan D. McKee eine Träne nachweinen!"
"Das bestimmt nicht! Aber die Sache gibt den G-men einen Vorwand, bei uns herumzuschnüffeln. Und das gefällt mir nicht..."
Cynthia nestelte an Ray Torillo Hemd herum, öffnete zwei Knöpfe und berührte mit der flachen Hand seine behaarte Brust. "Entspann dich, Darling..."
22
Dämmerung hatte sich bereits über den Big Apple gelegt, als Milo und ich nach Hause fuhren. Der Sportwagen, den mir die Fahrbereitschaft sonst zur Verfügung stellte, musste neue Reifen aufgezogen bekommen. Daher fuhren wir mit einem anderen Fahrzeug unseres Fuhrparks. Es handelte sich um einen Chrysler 300 M.
Wir hatten gerade die bekannte Ecke erreicht, an der ich Milo nach Dienstschluss immer aussteigen ließ, da kam der Anruf.
Linda, die rauchige unbeschreiblich weibliche Stimme unserer Telefonzentrale meldete sich. In der Delancie Street war eine Apotheke überfallen worden. Das zuständige Revier der City Police hatte sofort das FBI Field Office New York verständigt, nachdem sich herausgestellt hatte, was der Täter erbeutet hatte.
Morphium.
Das musste Harker sein.
Dafür sprach auch die äußerst kaltblütige Vorgehensweise.
Der Apotheker war einfach erschossen worden.
Ich drehte den 300 M mitten auf der nächsten Kreuzung. Milo setzte das Blaulicht auf das Dach. Vielleicht war Harkers Spur noch so heiß, dass wir ihr folgen konnten...
Ich fuhr wie der Teufel. In Rekordzeit brauste ich zur Delancie Sreet. Wir passierten eine Straßensperre der City Police. Die Delancie Street war auf eine Länge von mehreren hundert Metern durch Cops abgeriegelt. Sie patrouillierten mit Maschinenpistolen, Pumpguns und Kevlar-Westen herum.
Natürlich wusste jeder dieser Männer, mit wem er es bei Harker zu tun hatte. Die Fahndungsplakate hingen auf jedem Polizeirevier.
Ich bremste den 300 M in der Nähe eines der Einsatzfahrzeuge. Wir stiegen aus.
Dann gingen wir auf die Apotheke zu, deren Eingang von Beamten der City Police abgeriegelt war.
Unsere Ausweise öffneten uns den Weg hinein.
Ein Lieutenant begrüßte uns.
"Lieutenant Grayson, 33. Revier", stellte er sich vor.
"Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker."
"Der Apotheker liegt im Nebenraum", berichtete Grayson
"Der Täter hat ihn mit einem einzigen Schuss getötet. Er traf direkt zwischen die Augen..."
"Ja, das ist ein Markenzeichen von Harker."
Grayson reichte mir einen kleinen Zettel. Ein Rezept.
"Das hatte der Apotheker in der Hand, als wir ihn fanden. Er hat es regelrecht umklammert. Er vermutete, dass es sich um eine Fälschung handelte, ging in den Nebenraum und verständigte telefonisch unser Revier. Der Killer folgte ihm. Unser Kollege, der den Anruf entgegennahm, hörte noch den Schuss..."
"Wann war das?", fragte ich.
"Vor zehn Minuten."
"Glauben Sie, der Täter ist noch in der Nähe?"
"Wir durchsuchen hier alles..."
"Ihre Leute sollten mit Fahndungsfotos von Harker herumgehen. Vielleicht hat irgendjemand hier jemanden gesehen, der so aussieht..."
Grayson machte eine wegwerfende Handbewegung. "Läuft alles schon, Agent Trevellian."
Milo war skeptisch.
"Ich fürchte, der ist längst über alle Berge..."
Ich sah mir das Rezept genau an. Es war ausgestellt von einem gewissen Dr. James Chang, der ein paar Straßen weiter seine Praxis hatte.
"Vielleicht statten wir dieser Adresse mal einen Besuch ab", meinte Milo, der mir über die Schulter blickte.
23
Die Praxis von Dr. Chang lag im 5. Stock des Gerald W. Brady-Buildings. Dieser Büroturm hatte insgesamt zwanzig Stockwerke und gehörte damit zu den vergleichsweise niedrigen Gebäuden der Manhattan-Skyline. Die obersten 15 Stockwerke beherbergten die Büros der Gerald W. Brady Investment Corporation und ihrer Tochterunternehmen, die unteren fünf waren an Geschäfte, Dienstleister, Anwaltskanzleien und Ärzte vermietet.
Dieser Teil des Gebäudes war rund um die Uhr für jedermann zugänglich. Der Wachdienst zeigte zwar martialisch seine Präsens, aber für Harker wäre es keine Schwierigkeit gewesen, sich hier frei zu bewegen.
Ich nahm mein Handy und ließ mich über den Auskunftsservice meines Mobilfunkanbieters direkt mit der Praxis verbinden.
Eine etwas gereizte Männerstimme meldete sich.
"Spreche ich mit Dr. Chang?", fragte ich.
"Tut mir leid, unsere Praxis ist geschlossen", kam die monotone Erwiderung. "Es ist im Moment leider nicht möglich, Sie bei mir behandeln zu lassen, bitte wenden Sie sich an..."
"Ich danke Ihnen", sagte ich einsilbig, klappte das Gerät ein.
"Was ist los?", fragte Milo.
"Da stimmt irgendetwas nicht..."
Wir