Omnipotens. Thorsten Klein

Omnipotens - Thorsten Klein


Скачать книгу
Frage fand eine schnelle Antwort, denn das charakteristische Knarren der Polizeistiefel war bereits vor der Wohnung zu hören. Ohne vorher anzuklopfen, traten die Polizisten ein. Der Hauptwachtmeister in der Mitte, flankiert von zwei einfachen Gendarmen. Der Zivilist stand hinter ihnen. Im Schatten des Hausflures war nur sein Umriss zu erkennen.

      „Guten Abend, die Herren“, grüßte der Hauptwachtmeister höflich. „Befindet sich unter Ihnen ein Herr Baltheisser, ehemaliger Hauptmann des Reichsheeres?“

      „Ehemaliger Hauptmann?“, polterte Baltheisser, die Hand auf dem Pistolenhalfter. „Ich befinde mich immer noch im aktiven Dienst, Herr Hauptwachtmeister.“

      Der Hauptwachtmeister ignorierte die Hand an der Pistole und entfaltete mehrere Blätter. Seine Ruhe schien unerschütterlich. „Ich fürchte, der Herr Baltheisser irrt sich. Ich habe hier eine Verfügung vom Wehrkreiskommando in München bezüglich der Außerdienststellung des Herrn Baltheisser, ehemals Hauptmann, um ihn der zivilen Justiz zu überstellen. Außerdem einen Haftbefehl über die nämliche Person. Seien Sie also so freundlich, Herr Baltheisser, und lassen Sie sich festnehmen.“

      „Mich festnehmen? Verdammt noch mal, was werfen Sie mir eigentlich vor?“

      „Der Vorwurf ist ganz meinerseits, Herr Baltheisser.“ Diese Worte kamen von dem Herrn in Zivil draußen im Flur. Er trat dabei aus dem Schatten. Sicherlich, um besser erkannt zu werden. Baltheisser erkannte ihn auch und wurde blass. „Was machst du hier? Warum bist du nicht tot? Ich habe dich erschossen.“

      Genau das wollte der Herr in Zivil hören.

      Ort: Psyche, Moskau, Kreml

      Genau das wollte der Genosse Bolschoi hören. Vorwürfe. Passende Vorwürfe. Passend zu seinen politischen Plänen für die Zukunft des Landes.

      „Der Genosse Wissarew war also ein wenig grob zu dir?“, vergewisserte er sich.

      „Ein wenig grob?“ Alexandras Empörung ließ jenes Temperament erahnen, das einst Psyche mit Revolutionen überzogen hatte. Im Moment überzog sie Wladimir Iljitsch mit Vorwürfen. Die betrafen das Verhalten des Genossen Wissarew.

      Bolschoi hörte diese Vorwürfe nicht ungern. Er lag in seinem Bett und hatte Schreibzeug auf der Bettdecke vor sich liegen. Er schien an einem wichtigen Brief zu schreiben. Aber, so wichtig das Schreiben auch war, ein Besuch Alexandras war immer wichtiger.

      Denn Alexandras Vorwürfe enthielten ähnlichen politischen Sprengstoff, wie der Brief, den er schrieb. Politischer Sprengstoff musste im richtigen Augenblick gezündet werden.

      „Der Genosse Wissarew wurde gerade zum Generalsekretär unserer Partei gewählt“, erinnerte Bolschoi seine schöne Besucherin und fuhr mit Bitterkeit fort: „Den anderen Genossen blieb auch gar nichts weiter übrig, als Wissarew zu wählen. Der kann sehr überzeugend sein, wenn er will. Auf eine so brutale Art allerdings, die Kommunisten nicht kennen sollten und die mich für die Zukunft der Partei fürchten lässt.“

      „Der Genosse Wissarew kümmert sich doch nur darum, dass er für seine Zukunft nicht fürchten muss.“

      „Stimmt. Deshalb werden sie sich bekriegen. Michael Arx und Pepi Wissarew werden sich einen Kampf um meine Nachfolge liefern.“

      „Dann regle deine Nachfolge, bevor sie kämpfen.“

      Bolschois Lachen endete schnell in einem Hustenanfall. „Unsere Partei ist demokratisch organisiert. Die Gremien und deren Leitungen werden gewählt. Ich müsste von allen Ämtern zurücktreten, um sie für neue Kandidaten freizumachen.“

      „Dann tritt zurück. Gönne dir die kurze Zeit, die dir noch verbleibt, um ein ruhiges Leben zu führen. Und betrachte als Außenstehender, wie deine Nachfolger dein Werk fortsetzen.“

      Er versuchte, nicht über Alexandras naives Angebot zu lachen. Aber die Geste, mit der er ihre Vorschläge beiseite fegte, sagte genug. „Ich habe endlich erreicht, was ich immer wollte. Mein Leben lang habe ich dafür gekämpft. Nun will ich die paar Tage noch genießen, da hast du vollkommen recht. Genießen werde ich sie aber als Führer meines Landes. Denn wer die Macht hat, darf diese nie aufgeben. Er würde nicht nur die Macht, er würde alles verlieren.“

      „Verlierst du nicht deine Selbstachtung und deine Ideale, wenn du zulässt, was in diesem Land geschieht?“

      Bolschoi sah Alexandra aufmerksam an. Es war ihm nicht verborgen geblieben, dass er eine fast gänzlich andere Frau vor sich hatte. Nicht ihrem Äußeren nach. Aber jenes fanatische Feuer in Ihr, das nach Veränderungen schrie, schien erloschen. Die alte Alexandra ging ihren Weg, ohne zu zweifeln. Die Alexandra, die nun an seinem Bett saß, schien zu suchen. Sich selbst und den Weg, den sie einschlagen wollte.

      Wenigstens den konnte er ihr weisen. „Du hast immer noch großen Einfluss auf Arx und Wissarew“, stellte er deshalb fest.

      „Du meinst, ich könnte dafür sorgen, dass die beiden in deinem Sinne weitermachen, statt mit ihrem Kampf gegeneinander alles zu zerstören?“

      „Frauen, die klug und schön sind, gibt es selten. Wir haben viele Frauen in unserer Partei. Aber ganz oben gibt es nur wenige von ihnen. Geselle dich dazu. Du bekommst einen Ministerposten und einen hohen Posten in unserer Parteihierarchie. Und ich bekomme die Gewissheit, dass nach meinem Tod wenigstens ein echter Kommunist in diesem Land weitermacht.“

      Alexandra überlegte. Es würde sowohl in ihre, als auch in die Pläne des Hohen Rates passen. In fremden Welten durfte man nicht nach Macht streben. Das verstieß gegen das Innere Gesetzt. Von den Mächtigen dieser Welten Macht übertragen zu bekommen, verstieß nicht dagegen.

      Sie hatte vor zwei Jahren diesen großen Brand namens Revolution entfacht. Also musste sie nun auch mit dazu beitragen, ihn zu löschen und Verbranntes wiederaufzubauen.

      Politisch war in Russland viel zu tun, denn der Bürgerkrieg war endlich zu Ende. Die Weißen hatten das Land verlassen. Hauptsächlich wegen Michaels taktischem Geschick und seinen militärischen Fähigkeiten. Aber auch durch den Einsatz der von ihm geschaffenen Roten Armee.

      Welche politischen Wirren auch immer herrschten, die militärische Lage in Russland war eindeutig.

      Ort: Psyche, Berlin, Reichstag, Plenarsaal, Untersuchungsausschuss Krieg der Kaiser

      „Eine militärische Lage ist niemals eindeutig.“

      Der SPD-Abgeordnete Schöneberg war durch das, was der Herr General von Dietrichstein gerade von sich gegeben hatte, irritiert. „Eine militärische Lage ist niemals eindeutig? Ich glaube, das müssen Sie näher erläutern, Herr General.“

      „Aber das ist doch leicht zu verstehen. Kein Kommandeur weiß genau, was auf der anderen Seite der Front vorgeht. Man weiß nur, was man aufgeklärt hat. Die Fakten, die uns bekannt waren, legten nahe, die Gegenseite um einen Waffenstillstand zu bitten“, antwortete ihm General von Dietrichstein.

      „Das taten Sie, um eine Niederlage zu vermeiden, die unumgänglich war?“, unterbrach ihn Herr Brandenburger.

      „Nicht unbedingt, Herr Reichskanzler. Einen Waffenstillstand kann man auch dazu nutzen, seine Truppen neu zu strukturieren und Truppenverbände aufzufüllen, um bei Wiederaufnahme der Kampfhandlungen viel stärker zu sein.“

      „Sie hatten also immer noch vor, die Entente zu schlagen und den Krieg zu gewinnen?“

      „Warum nicht? Wenn ich Ihnen eine militärische Koryphäe zitieren darf, den General von Ehrlichthausen: Solange man noch ausreichend Soldaten hat, ist der Krieg nicht verloren.“

      „Ich finde es schön, dass Sie den General von Ehrlichthausen zitieren. Das Hohe Haus wollte ihn sowieso befragen“, unterbrach Brandenburger Dietrichstein erneut und fuhr fort: „Mein Vorschlag: Wir ziehen ihn zu dieser Befragung mit heran. Wenn die Herren … Entschuldigung, ich meine natürlich, wenn die Herrschaften einverstanden sind?“, fragte er in die Runde der vollständig versammelten Abgeordneten des Deutschen Reichstages.

      Herrn Brandenburger war es nicht nur zur Gewohnheit


Скачать книгу