Bis ihr sie findet. Gytha Lodge

Bis ihr sie findet - Gytha Lodge


Скачать книгу
heute?«, fragte Hanson.

      »Wir haben uns ein bisschen aus den Augen verloren, als Topaz und Connor weggezogen sind«, antwortete Jojo. »Ich meine, Daniel und Brett treffe ich nach wie vor unabhängig von den anderen. Coralie lebt mittlerweile in London und hat sich nicht übermäßig bemüht, Kontakt zu halten. Dieses mangelnde Interesse beruht durchaus auf Gegenseitigkeit.«

      Jonah speicherte diese Informationen, während er weiter die Fotos betrachtete. Auf zwei Bildern waren Kinder zu sehen: Nichten und Neffen, die Kinder von Jojos älterem Bruder, vermutete er. Ein Foto zeigte Jojos Vater als jüngeren Mann, mit olivfarbener Haut, grinsend in einem Overall bei der Reparatur eines Daches.

      Eins der beiden anderen Fotos nahm Jonah aus dem Regal. Eine Aufnahme von einer etwas jüngeren Jojo, um die dreißig, pitschnass an einem verregneten Tag, das Gesicht eng an das eines Mannes geschmiegt. Im Hintergrund sah man ein stürmisches Panorama von Meer und Klippen, im Vordergrund grinsten die beiden trotz des scheußlichen Wetters in die Kamera.

      Er hörte, wie Jojo aufstand, sich recht nah neben ihn stellte und aufgewühlt von einem Fuß auf den anderen trat.

      »Das ist Aleksy«, sagte sie. »Er war mein Freund.«

      Jonah nickte. Er hatte Aleksy Nowak, berühmter Freeclimber und adoptierter Sohn des Städtchens New Forest, von dem Foto aus der Zeitung wiedererkannt. Jojo hatte einen Nachruf geschrieben.

      »Ich habe von seinem Tod gehört. Es tut mir leid.«

      Jojo schüttelte den Kopf und rieb sich den Unterarm. »Er kannte Aurora nicht. Ich habe ihn erst viel später kennengelernt.«

      »Entschuldigung«, sagte Jonah leise und stellte das Foto wieder weg. »Ich sollte nicht … ich bin nicht hier, um in deinem Leben rumzuschnüffeln.«

      »Schon gut. Das ist okay.«

      Hanson stand auf, bevor sie sich wieder setzen konnten. »Ich denke, das ist für heute Abend alles«, sagte sie und sah Jonah fragend an.

      Er nickte und erklärte Jojo: »Wir sehen dich dann morgen. Um elf.«

      »Okay. Eigentlich wollte ich klettern, aber es sieht ohnehin so aus, als würde es stürmisch werden.«

      Jonah sah sie neugierig an. »Du kletterst noch?«

      Jojo nickte und zuckte ein wenig defensiv die Schultern. »Sonst hätte ich noch etwas verloren, das ich liebe.«

      Sie begleitete sie bis zur Tür und sah ihnen nach, während sie zum Wagen gingen. Erst als sie eingestiegen waren, schloss Jojo die Haustür.

      Eigentlich hätte Jonah sein Fahrrad in Godshill abholen und die zwanzig Kilometer nach Hause radeln sollen. Er hasste es, sein Rad irgendwo angeschlossen, aber außer Sichtweite stehen zu lassen, selbst in Godshill mit seiner niedrigen Kriminalitätsrate. Aber mittlerweile war es fast elf, und er musste vor der morgigen Pressekonferenz noch einmal die Zusammenfassung durchlesen.

      »Setzen Sie mich zu Hause ab«, erklärte er Hanson. »Mein Fahrrad hol ich morgen.«

      »Klar«, sagte sie und nach einer Pause: »Wo ist zu Hause?«

      Er seufzte. »Sorry. Ich lebe in Ashurst.«

      »Können Sie? …« Sie zeigte auf das Navi, und er gab Straße und Postleitzahl ein.

      »Also diese Drogen …«, begann Hanson, als sie auf der Straße waren.

      »Sind ein interessanter Aspekt«, stimmte Jonah ihr zu.

      »Wie viel haben wir dort gefunden?«

      »Einen Bruchteil der Menge«, antwortete er.

      »Daniel Benham ist offensichtlich dorthin zurückgekehrt«, sagte Hanson. »Und wenn er die Leiche gesehen und es nicht gemeldet hat, ist er höchstwahrscheinlich auch der Mörder.«

      »Irgendjemand hat irgendwann eine große Menge von Dexedrin aus der Umgebung von Aurora Jacksons Leiche entfernt«, korrigierte Jonah sie, »und er hat es danach nicht gemeldet. Wir wissen nicht, ob es einer von ihnen war, und wir können uns schon gar nicht sicher sein, dass es Daniel Benham war.«

      »Aber es wäre doch naheliegend, oder?«, beharrte Hanson.

      »Naheliegend reicht nicht«, sagte er.

      Hanson atmete vernehmlich aus, erwiderte jedoch nichts. In dem Schweigen, das sich zwischen ihnen ausbreitete, ging Jonah im Kopf noch einmal die Befragung von Jojo durch. Seine Gedanken kreisten unwillkürlich um das Gespräch über das Foto und das, was Jojo über ihren Freund gesagt hatte. Erst nach einer Weile bemerkte er, dass Hanson ihn ansah, wann immer sich die Gelegenheit bot.

      »Sie waren mit ihr befreundet, oder?«, sagte sie. »Mit Jojo. Deshalb sollte ich die Befragung übernehmen.«

      »Nur sehr lose«, antwortete er. »Eigentlich war ich mit ihrem älteren Bruder befreundet. Manchmal war ich bei ihnen oder hab mit den beiden im Park rumgelungert. Das hab ich in meiner Kindheit oft gemacht.«

      »Sie machen sich also keine Sorgen wegen eines möglichen Interessenkonflikts? Sie stehen sich nicht nahe?«

      »Nein, besonders eng waren wir nie«, sagte Jonah und fühlte sich wieder in der Defensive. Er begriff allmählich, dass Hanson nicht gern locker ließ. »Wahrscheinlich sind wir uns danach noch vier, fünf Mal begegnet, haben Hallo gesagt, mehr nicht. Und auch das ist schon lange her. Nach Beginn meiner Polizeiausbildung habe ich auch ihren Bruder nicht mehr getroffen. Es war eine bewusste Entscheidung. Er hatte so viele kleinkriminelle Freunde, und ich wusste, dass er selbst es auch nicht so mit dem Gesetz hatte. Obwohl ich glaube, dass er inzwischen sauber ist.«

      Hanson nickte nachdenklich und sagte dann: »Zu ein paar von der Sorte hab ich auch alle Bindungen gekappt.«

      Er war überrascht. Er hatte ihren Lebenslauf gelesen und sie für eher brav und puritanisch gehalten, aus ganz anderen Verhältnissen stammend als er selbst. Dabei wusste er nur zu gut, dass ein Lebenslauf nicht alles erzählte.

      »Nun, das ist gut«, fügte sie lächelnd hinzu. »Mit entfernten Bekannten sollte es keine Komplikationen geben.«

      »Nein«, stimmte Jonah ihr zu. »Wird es nicht.«

      Und er versuchte, nicht an all die Dinge zu denken, die er ihr verschwieg.

      12. Aurora

      Freitag, 22. Juli 1983, 21:25 Uhr

      Sie zitterte vor Kälte, als sie sich auf den Weg zurück zum Zeltplatz machte. Inzwischen war es fast vollkommen dunkel, und ihr Haar war vom Schwimmen noch nass. Nachdem sie sich umgezogen hatte, tropfte Wasser auf ihr Top und hinterließ durchsichtige Stellen auf dem Stoff. Sie hielt den Blick auf das Rot des Feuers gerichtet, das zwischen den Bäumen hindurchleuchtete. Sie hoffte, es würde warm genug sein, um sie zu trocknen.

      Topaz, Benners und Brett standen zusammen davor. Noch bevor sie die Lichtung erreicht hatte, hörte sie Topaz’ schrille und aggressive Stimme.

      »Das hätte sie ihr nicht einfach sagen dürfen! Verdammte Scheiße. Wahrscheinlich hat sie sich verirrt, nachdem sie den Fluss runter geschwommen ist.«

      Aurora hätte sich am liebsten versteckt. Wenn ihre Schwester wütend war, zog Aurora sich häufig in sich selbst zurück.

      Dann aber fragte sie sich in einem seltenen Moment der Rebellion, wieso Topaz glaubte, sie hätte das Recht dazu. Topaz war weggegangen und hatte sie mit Leuten zurückgelassen, die sie kaum kannte. Sie hatte sie eingeladen und sich dann so benommen, als wäre sie gar nicht da.

      »Hast du nachgesehen, ob ihre Kleider am Ufer liegen?«, rief Jojo, die neben Connor hockte und einen der Zeltheringe tiefer in den Boden drückte.

      »Nein, hab ich nicht«, sagte Topaz.

      »Wir sollten sie suchen«, sagte Brett und blickte zu dem Weg, der zum Fluss hinunter führte. »Sie könnte im Wasser in Schwierigkeiten geraten sein.«

      Aurora wollte nicht


Скачать книгу