Die Breitseite des Lebens. Ingo Irka

Die Breitseite des Lebens - Ingo Irka


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der bis dato Arbeit eher als Zeitverschwendung, denn als Karrieremöglichkeit erachtete. Für ihn galt seit je her, dass Arbeit zwar das Leben versüßen konnte, nicht jedoch, wenn man allergisch auf Zucker reagierte. Und was langfristige und seriöse Arbeit anbelangte war er ohnehin Diabetiker schlechthin.

      Bislang waren es eher Gelegenheitsjobs mit denen er sich mehr schlecht als recht über Wasser hielt. Es gab wohl keine Gullydeckel und keine verdreckten Mülltonnen, die nicht für billiges Geld bereits von ihm geöffnet oder entleert worden waren. Auch der Asphalt auf so mancher Linzer Straße fand seinen Platz über die Schaufel, die er als Hilfsarbeiter am Bau geschwungen hatte. Ja, selbst für die eine oder andere Wandfarbe auf den städtischen Hausfassaden zeichnete sich Reibeputz Ralphie, wie er als Zeitarbeiter abfällig von seinen damaligen Kollegen genannt wurde, verantwortlich. Beinahe jede minder entlohnte Arbeit trug bereits seine Handschrift. Wie sollte es auch anders sein? Ohne gültigen Schulabschluss und einem Leumundszeugnis, das jedem Firmenchef den Magen umdrehte. Er war der Typ, der einem lieber war, wenn er Fragen stellte, anstatt Antwort darauf zu geben.

      Ja, seine Liste an Straftaten war lang. Genauso lang wie seine zahlreichen Aufenthalte hinter versperrten Toren der heimischen Gefängnisse. Zu wenig Zeit hatte er in jungen Jahren in Noten und Zensuren investiert. Zu viel Energie später für seine kriminellen Machenschaften aufgewendet. Eine verkehrte Welt.

      Doch Ralphs Weg schien ohnedies bereits vorgeebnet zu sein. Er war das, was man von Kindesbeinen an als geborenen Außenseiter bezeichnen konnte. Seine Mutter starb bereits bei seiner Geburt und seinen versoffenen Vater hatte er niemals kennen gelernt.

      So wurde er alsbald der Obhut eines Waisenheims übergeben in dem er als Kind schon die harten Seiten des Lebens kennen lernte. Gedemütigt von sadistischen Erziehern, die unter dem Kreuz Gottes ihre Schandtaten an den Zöglingen verübten. Das Heilige und das allzu Profane Tür an Tür. Wie oft bezog er an diesem Ort der Schande regelmäßig Prügel? Mit Gürtelschnallen, Stöcken, Besenstielen oder eisernen Kruzifixen. Wie oft hagelte es drakonische Strafen und psychische Folter, nur weil er nicht tat, was man ihm befahl. Es war keine Seltenheit, dass er seinen Kot mit den bloßen Händen wegwischen musste oder verfaulte Sachen zu essen bekam. Und wenn er sich weigerte wurde er behandelt wie ein räudiger Hund. Dann zwang man ihn auf allen Vieren durch den Raum zu robben, bis seine Knie bluteten. Das Trinken wurde in einen Napf geschüttet und die vergammelten Essensreste hatte er vom Boden aufzulecken. Und wehe, wenn er alles wieder erbrach. Dann folgte die Höchststrafe in dieser Anstalt: das Isolierzimmer. Hier lagen nur eine Matratze und ein mit Urin durchtränktes Laken. Man zog ihn dann nackt aus, badete ihn in Eiswasser und schnürte ihm das Laken um. Eine Prozedur, die sich unter Umständen stundenlang wiederholen konnte.

      Ja, all das stand auf der Tagesordnung dieser Erziehungsanstalt. Es gab keine Nacht in der er sich nicht starr vor Angst in den Schlaf weinte. Jeder Morgen war von Furcht und bedingungslosem Gehorsam gekennzeichnet. Ohne Aussicht dem ganzen Martyrium zu entgehen. Ein kindliches Dasein gefüllt mit Unbarmherzigkeit und Unmenschlichkeit. Dass diese rigorosen Maßnahmen Spuren bei ihm hinterlassen würden, lag mehr als nur auf der Hand.

      Und spätestens mit seinem Eintritt in die Schule zeichnete sich der steinige Weg noch mehr ab. Egal welche Schulstufe. Egal welche Pause. Er wurde schlichtweg immer ausgegrenzt. Exklusion und Isolation auf allen Ebenen. Niemand mochte ihn. Er war der Junge, der beim Versteckspiel nie gesucht wurde. Der, der beim Fußballspiel immer zuletzt gewählt wurde. Der Ungeliebte. Und nicht nur das. Sein zugeschriebener Status als Sonderling zog letztlich auch die undankbare Rolle des Sündenbocks nach sich. Schlicht alle Verfehlungen, welcher Art auch immer, wurden fortan nur noch ihm angelastet. Ganz gleich, was sich auch ereignete, er hatte es auszubaden. Völlig egal wer sich dafür verantwortlich zeichnete, ihm wurde die alleinige Schuld in die Schuhe geschoben. Er war stets der Gebrandmarkte mit dem Judasstempel.

      Und so war es auch nur eine Frage der Zeit bis sich sein ganzer Frust entlud und er explodierte. Wenn er sich der ungerechten Welt schon nicht mit Worten erwehren konnte, dann mussten es eben Schläge sein. So, wie er es im Waisenhaus am eigenen Leibe zu verspüren bekommen hatte. Ab diesem Zeitpunkt realisierte er, dass seine Sprache die der Gewalt war. Mit ihr konnte er sich ausdrücken. Diese Sprache verstand jeder, angefangen von der Schülerschaft bis hin zum Arbeitskollegen. Zu dumm nur, dass mit dieser rohen Form der Kommunikation sich auch seine Gefängnisaufenthalte anfingen zu häufen. So mancher Richterspruch zog fortan eine mehrwöchige Haftstrafe nach sich. Und da im Laufe der Jahre seine Delikte mehr und mehr anwuchsen, verlängerten sich dementsprechend auch die verhängten Strafen.

      Doch damit sollte jetzt Schluss sein. Viel zu viele Stunden hatte er hinter vergitterten Türen zubringen müssen. An den finsteren Orten, an denen die einzigen Geräusche von den Zellenschlüsseln kamen. Er hatte genug von alledem. Genug von all den Schikanen der Wachbeamten. Genug davon, wenn sie ihm wieder die Essensrationen strichen. Genug von ihren herablassenden Sprüchen und ihren Knüppeln. Nie wieder, und das hatte er sich geschworen, würde er mehr eine Gefängniszelle von innen sehen.

      Nicht etwa, dass seine zahlreichen Knastaufenthalte ihn geläutert hätten und er ein besserer Mensch werden wollte. Bei Gott nicht. Nein, in Zukunft hatte er einfach besser aufzupassen, dass er nicht geschnappt wurde. Er durfte der Polizei keinen Anlass mehr geben, bei seinen Straftaten unter Verdacht zu geraten. Wenn schon kriminell dann so, dass es keinem auffiel.

      Und bei seinem aktuellen Coup mit Simone und der falschen Annonce hatte er die besten Karten dafür. Diesmal hatte er alles penibel genau durchdacht. Nichts bei der ganzen Sache ließ einen Rückschluss auf seine Person als Drahtzieher zu. Schließlich landete das ergaunerte Geld ja nicht bei ihm, sondern vorerst auf einem fiktiven Firmenkonto. Erst dann würde es reingewaschen und blütenweiß in das Ausland transferiert werden. Ohne eine Möglichkeit der genauen Rückverfolgung. Ohne Gefahr des Belangens. Es würde ein lupenreiner Finanzbetrug sein wie er im Buche stand. Mit Edgar als Hauptdarsteller: Die tragische Figur. Spätestens wenn er sich nach einiger Zeit seine Kontoauszüge ansehen würde, würde ihm klar werden, dass er garantiert niemals mehr auf eine Annonce antworten würde. Und selbst, wenn der ganze Betrug wider Erwarten auffliegen sollte, würde die Spur letzten Endes doch nur zu Simone und nicht zu ihm führen. Dafür hatte er im Vorfeld bereits gesorgt. Er wusste zwar, was er ihr damit antat. Welchen Bruch des Vertrauens er mit seiner perfiden Planung ihr gegenüber beging. Doch er würde seine Hände nie wieder in Schuld baden. Das hatte er einmal zu oft gemacht. Ab jetzt wusch er sie nur noch in Unschuld.

      Zufrieden knöpfte er sein Hemd auf und ließ währenddessen die Wanne volllaufen. Von nun an würde sein Leben in die richtige Bahnen gelenkt werden. Dessen war er sich sicher. Und sollte er sich dennoch täuschen, so hatte er als Trostpreis zumindest immer noch einen guten Job an Land gezogen. „Zwei Bienen mit einer Klappe, oder so“, sinnierte er hämisch grinsend vor sich hin, ehe er den Wasserhahn abdrehte. Dann schaltete er den CD-Player ein und stieg in die Wanne.

      „Always look at the bright side of life“, drang es aus den Boxen.

      Und genau das war es auch, was er vorhatte.

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