Boccaccio reloaded. Centino Scrittori

Boccaccio reloaded - Centino Scrittori


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sie es ließen. Die Angst war immer da.

      Nach vielen weiteren Irrwegen bekamen wir dann endlich ein Zuhause in Gebelzig bei Görlitz, es war inzwischen April 1945. Die Wohnung hatte zwar nur ein Zimmer und eine Küche und wir schliefen zu sechst auf zwei Strohsäcken, doch in diesem Moment erschien es mir wie ein Paradies. Wir waren überglücklich, endlich ein Dach über dem Kopf zu haben und alle mehr oder weniger heile hier angekommen zu sein. Die Dorfbewohner waren allerdings nicht so begeistert über unsere Ankunft wie wir. Es war anfangs sehr schwer in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, doch irgendwann gelang auch das und ich fand sogar Freunde zum Spielen.“

      Als meine Oma mir all das erzählt hatte, war ich sehr berührt und auch traurig darüber, was sie alles hatte durchmachen müssen. Und umso mehr weiß ich es nun zu schätzen, wie behütet und friedlich ich bisher aufgewachsen bin und dass es nicht selbstverständlich ist. Während meine Oma mit noch nicht einmal sechs Jahren schon solche Strapazen und Leid erleben musste, konnte ich einfach unbeschwert ein Kind sein und mit meinen Freunden spielen. Ich habe mir gar nicht vorstellen können, dass meiner Oma so etwas passiert ist. Daran merke ich, dass man einem Menschen nicht ansehen kann, was er schon alles durchgemacht hat. Ich bin froh, dass meine Oma, trotz – oder vielleicht auch durch – all die schwierigen Erlebnisse aus der Zeit von Krieg, Flucht und Vertreibung zu so einem liebevollen und großzügigen Menschen geworden ist.

      (Greta Riedel)

       Dritte Geschichte

       „Dass man so etwas in einem so jungen Alter erleben muss… wirklich eine Schande!“, merkt die ältere Dame an. Ein alter Herr meldet sich stolz zu Wort: „Eine Geschichte aus dieser Zeit habe ich auch beizusteuern!“ Gespannt hören alle anderen zu.

      Heute möchte ich eine Geschichte erzählen. Sie basiert auf einer wahren Begebenheit und spielt sich im Zweiten Weltkrieg ab. In dieser Geschichte geht es um Krieg, um Vertreibung aus der eigenen Heimat und um Flucht im eigenen Land. Es soll in dieser Geschichte die damalige Flüchtlingssituation dargestellt werden und der Hass, der den Flüchtlingen schon damals, obwohl man aus dem gleichen Land kam, entgegengebracht wurde. Alles begann 1937 mit der Geburt eines Kindes, in der Stadt Danzig. Bis 1940 verbrachte ich ein unbeschwertes Leben, mein Vater war Uhrmacher und meine Mutter kümmerte sich als Hausfrau um den Haushalt und arbeitete dazu in einer Fabrik, in der Blechkonserven hergestellt wurden.

      Doch in meinem dritten Lebensjahr brach der Zweite Weltkrieg aus. Mein Großvater und Vater wurden eingezogen und mussten im Krieg für die Deutschen kämpfen. Zwar sind die Erinnerungen heute ein bisschen verschwommen, da ich damals noch relativ jung war, aber trotzdem kann ich mich noch gut an die darauffolgenden, schrecklichen fünf Jahre Krieg erinnern, die ich miterleben musste. Da Danzig erst zum Deutschen Reich gehörte, aber dann nach dem Ersten Weltkrieg durch den Versailler Vertrag zu einem Freistaat erklärt wurde, hatte Deutschland von Anfang an ein großes Interesse an Danzig. Das lag aber auch daran, dass in Danzig überwiegend Deutsche lebten, und so gelangte 1933 auch die NSDAP in Danzig an die Macht und führte es in eine finanzielle Abhängigkeit vom Dritten Reich. 1939 folgte der Anschluss von Danzig durch eine völkerrechtswidrige Verfügung an Deutschland und wurde ab da zum Feind gezählt. Besonders prägende Erinnerungen aus der Kriegszeit sind für mich der ständige Bombenalarm und die immer schlimmer werdende Zerstörung der Stadt. Ein besonders prägendes Ereignis geschah eines Nachmittags, als ich mit meiner Mutter einkaufen ging, und auf einmal der Alarm ertönte. Wir gerieten in Panik und wussten nicht wohin, als man schon die Flieger hören konnte. Auf einmal schlugen die Bomben ein, meine Mutter und ich flohen in einen Laden, in dem sie mich in einer riesigen Schublade eines Regals versteckte, um mich in Sicherheit zu bringen. In dieser Schublade war es dunkel und stickig. Ich hatte riesige Angst, denn man konnte spüren und hören wie die Bomben einschlugen. Als es vorbei war, traute ich mich so lange nicht raus, bis meine Mutter die Schublade öffnete und mich rausholte. Bis heute hat sich dieses Erlebnis eingebrannt.

      Wen es dabei schwerer traf als mich, war meine Cousine, die während diesem Bombardement bei sich zu Hause war. Ein Bombensplitter, von einer Bombe, die gegenüber von ihrem Haus einschlug, traf sie und durchbohrte ihre rechte Brust. Da war ich noch ganz gut weggekommen. Solche Geschehnisse trugen sich des Öfteren während des Krieges zu. Gegen Ende des Kriegs wurde Danzig von der Roten Armee eingenommen und das Wenige, was noch stand, wurde von ihr zerstört. Da dann Danzig zu Polen gehörte, wurden die meisten Deutschen aus Danzig vertrieben. Wir hatten aber polnische Verwandte und konnten uns dadurch zwischen der polnischen Staatsbürgerschaft oder einer Flucht nach Deutschland entscheiden. Meine Mutter entschied sich gegen die polnische Staatsbürgerschaft, da sie sich immer noch als deutsche Staatsbürgerin sah, und so flohen wir zusammen mit meiner Cousine, die um acht Jahre älter war als ich, und ihrer Familie nach Deutschland. Jeder nahm gerade so viel mit, dass es in einen kleinen Rucksack passte, was nach dem Krieg nicht wirklich schwer war, da man sowieso nicht wirklich mehr besaß.

      Es war schrecklich, seine Heimat zu verlassen, aber fast alle deutschen Bürger in Danzig verließen sie, auch freiwillig, aber meist gezwungenermaßen. Wir hatten weder ein konkretes Ziel in Deutschland, noch irgendwelche Verwandte, zu denen wir hätten gehen können. Also machten wir uns gewissermaßen ziellos auf den Weg. Außerdem war es ungewiss, ob ich meinen Vater wiedersehen würde, der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgekehrt oder in irgendeiner Weise mit uns in Kontakt getreten war.

      Wir legten die Strecke überwiegend zu Fuß zurück. Es war erschreckend, wie zerstört und verarmt Deutschland war. Viele Bürger litten unter Hunger und viele waren durch den Krieg obdachlos geworden. Dies führte oft dazu, dass wir, obwohl wir selber deutsche Bürger waren, in den meisten Ortschaften, an denen wir vorbeikamen, keinerlei Unterstützung erhielten. Dies war ja auch teilweise verständlich, da sie selber so gut wie nichts hatten, aber sie hatten eine sehr negative Einstellung uns gegenüber. Sie hassten uns regelrecht und es kam mir so vor, als würden sie uns die Schuld für alles geben, was ihnen widerfahren ist. Ich, weil ich so jung war, bekam das nicht so mit, wie meine Mutter und meine Cousine, litt aber genauso darunter. Man wollte uns nirgendwo unterbringen oder Obdach gewähren. Wir mussten so gezwungenermaßen eine Weile von Ortschaft zu Ortschaft weiterfliehen. Während dieser monatelangen Flucht litten wir unter Hunger und an sauberem Trinkwasser mangelte es auch. Am Ende gelangten wir in eine größere Ortschaft, wo man uns versprach, uns in eine Art neuerrichtetes Flüchtlingscamp, in einer Stadt namens Glöwen zu bringen.

      Da wir keine andere Möglichkeit hatten, stiegen wir am nächsten Tag in den Zug ein, der uns und hunderte von anderen Flüchtlingen in dieses Lager bringen sollte. Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, wie es einen kleinen Hoffnungsschimmer für uns gab, als wir davon hörten. Dieser Hoffnungsschimmer verschwand aber, als wir in das bis zum Rand gefüllte Abteil einstiegen. Dieser Zug hatte anscheinend schon an vielen anderen Stationen Leute mitgenommen. Der Gestank, als wir einstiegen, war bestialisch. Das lag daran, dass es keine Toiletten gab. Doch die Menschen, in diesem Abteil, die schon ein bisschen länger mit dem Zug mitgefahren waren, sagten uns, dass wir Glück hätten, da dies das Abteil für Familien und noch das beste von allen sei. Dadurch dass viele Zugstrecken durch den Krieg zerstört waren, dauerte die Fahrt mehrere Tage und deshalb waren wir gezwungen, schmutziges Wasser zu trinken, um zu überleben. Durch das verschmutze Wasser erkrankte meine Mutter an Typhus, einer Infektionskrankheit die durch Salmonellen hervorgerufen und besonders über Wasser verbreitet wird. Wir hatten erst die Hoffnung, dass im Flüchtlingslager die humanitäre Situation besser wäre als in diesem Zug, doch da hatten wir uns zu viel erhofft.

      Das Flüchtlingslager war vollkommen überfüllt und wir mussten trotz niedriger Temperaturen in halb zerstörten Baracken schlafen, was nicht zur Genesung meiner Mutter beitrug. Es gab keine richtigen Betten, also mussten wir auf dem eiskalten Boden schlafen. Sie litt wochenlang am hohen Fieber und durch die derzeitige Situation, in der wir uns befanden, schwebte sie wochenlang zwischen Leben und Tod. Doch nach Wochen langen Bangens um ihr Leben begann sich ihr Zustand zum Glück zu verbessern. Diese Erkrankung fesselte uns ganze zwei Monate an den schrecklichen Ort. Wegen der Überfüllung dieses Lagers gab es auch dort weder genügend Essen, noch sauberes Trinkwasser. Man durfte das Lager ohne spezielle Papiere nicht so einfach verlassen, wir hätten aber sowieso nicht gewusst, wohin wir hätten gehen können. Also waren wir fast über ein halbes Jahr an diesem Ort


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