Leiser Schrei. Slafa Kafi
und ich mache mich auch schon wie üblich auf den Weg zu meinen Eltern.
Ich finde beide in der Küche beim Kaffeetrinken. Ich laufe zu meinem Vater und gebe ihm einen Handkuss, wie man es bei uns macht.
„Eid Mubarak“ – gesegnetes Fest, sage ich strahlend.
Er kniet sich vor mich und wünscht mir das ebenfalls und den gleichen Vorgang mache ich natürlich auch bei meiner Mama. Beide haben wie sonst auch mein Geschenk vorbereitet. Ich bekomme noch mehr Geld!
Der Ablauf ist eigentlich jedes Jahr gleich. Schon bevor ich aufwache, geht mein Vater zur Moschee zum Festgebet. In dieser Zeit bereitet meine Mama das Frühstück vor und zusätzlich alles, was unsere Gäste dann bekommen werden.
Eigentlich esse ich nicht wirklich was zum Frühstück an dem Tag, denn ich kann das immer nie abwarten, bis ich endlich losgehen darf. Mit losgehen meine ich bei den Nachbarn von Tür zur Tür zu laufen, um ihnen ein schönes Fest zu wünschen. Und das macht man den ganzen Tag. Die Nachbarn schenken den Kindern Süßigkeiten und, falls man sie gut kennt, manchmal auch Geld. Wir zum Beispiel haben dieses Jahr kleine Tütchen mit verschiedenen Süßigkeiten befüllt.
Und so verbringen die Kleinen den ersten Festtag. Meine Eltern dagegen bleiben den ganzen Vor- und Nachmittag zu Hause und empfangen Gäste, die alle Verwandte oder sogar aus der engen Familie sind. Wenn ich abends wieder zu Hause ankomme, machen sich meine Eltern dann bereit, um einige Familien zu besuchen.
So lief es zumindest, seit ich denken kann, immer ab. Der erste Festtag wird also glücklich mit der Familie und natürlich mit viel Essen gefeiert.
311.09.2010
Heute ist der zweite Festtag, aber grundsätzlich läuft es nicht viel anders als am ersten. Der größte Unterschied liegt darin, dass die Kinder nicht herumlaufen. Wir verbringen die Zeit auch zu Hause, empfangen Gäste und besuchen unsere Verwandten.
Heute sind die Gäste nicht nur aus der engen Familie, sondern auch weite Bekannte und Freunde. Außerdem kommt auch die Familie von Yail und bleibt den ganzen Tag bei uns. Auch wenn sie es eigentlich nicht feiern, verbringen sie es trotzdem jedes Jahr mit uns gemeinsam und wir feiern natürlich auch dann mit ihnen Weihnachten zum Beispiel. Yail und ich verbringen den Tag wie üblich mit Spielen.
Da wir jetzt auch endlich eine Dartscheibe haben, besitzen wir mehr Sachen, mit denen wir unsere Zeit vertreiben können. Wir bleiben die ganze Zeit in meinem Zimmer und gehen nur dann raus, wenn wir zum Essen geholt werden, und da es der zweite Festtag ist, passiert das sehr oft.
„Kommt, das Mittagessen ist fertig“, „Kommt, es gibt Gebäck“ oder sowas wie „Kommt, es gibt Süßes“ hören wir gefühlt alle 30 Minuten. Ich meine, nichts gegen Essen, aber wir wollen doch bitte wenigstens eine Runde, ohne unterbrochen zu werden, spielen.
Als wir zum Gebäck essen geholt werden, sitzt nicht nur Yails Familie da, sondern auch meine Tante und mein Onkel.
Vom gestrigen Laufen tun mir meine Füße sehr weh und ich habe, da ich sowieso recht klein bin, auch noch Platz für meine Beine auf dem Sofa. Erleichterung steigt in mir hoch und mal wieder wird mir klar, dass ich zu viel gelaufen bin. Jedes Mal nehme ich mir vor, nicht zu viel zu laufen, um diese Schmerzen zu vermeiden, halte es aber nie ein.
Ich bin zu sehr mit dem Essen beschäftigt, dass ich meine Mutter gar nicht bemerke. Wie es aussieht, versucht sie schon länger, mir irgendwas zu sagen, will aber nicht, dass es irgendwer bemerkt. Sie schaut auf meine Beine, dann zu mir, wieder zu meinen Beinen und anschließend wieder zu mir. Ich verstehe erst gar nichts und kontrolliere meine Beine, finde aber nichts, was stören könnte. Oh ja, jetzt verstehe ich es. Jetzt verstehe ich, was sie mir sagen will.
„Es ist unhöflich, seine Beine irgendwo hochzustellen, wenn Andere und vor allem Ältere dabei sind“, erinnere ich mich.
Stimmt, das hat sie mir vor nicht langer Zeit erzählt. Und ich konnte das damals auch sehr gut nachvollziehen. Warum habe ich das nur vergessen? Langsam nehme ich meine Beine herunter, aber so, dass keiner verstehen kann, warum ich das auf einmal mache. Nachdem ich das getan habe, schaue ich zu meiner Mama und sie lächelt mich an.
Auch dieser Tag geht vorbei und langsam nähert sich der erste Schultag. Ich weiß nicht, ob ich mich freue oder nicht. Einerseits schon, denn ich bin gerne in der Schule, aber andererseits habe ich absolut keine Lust auf dieselben Probleme, mit denen ich zu kämpfen haben werde, genauso wie im gesamten vergangenen Jahr.
413.09.2010
Heute ist der erste Schultag nach den Sommerferien und endlich kann ich meine Freunde wiedersehen, die ich teilweise seit drei Monaten nicht gesehen habe, also seit dem Anfang der Ferien. Lange Zeit haben wir nicht zum Reden, denn es geht schnell weiter. Wir schaffen es gerade so, uns über unsere Ferien zu unterhalten, aber dann müssen wir uns schon zur Tahiat Al Alam, wo wir uns versammeln, um die Nationalhymne zu singen, aufstellen. So wie letztes Jahr stellen wir uns klassenweise in Reihen nebeneinander auf und warten, bis alle ruhig sind, um dann anfangen zu können. Da ich alles trage, was ein Schüler eigentlich tragen sollte, werde ich immer nach vorne geschickt, für den Fall, dass die Direktorin vorbei-schaut. Ich trage wie immer natürlich meine blaue Schuluniform und meine Schülerkrawatte, die mit einem knopfartigen Bobbel festgemacht wird.
Für jede Jahrgangsstufe gibt es eine jeweilige Krawattenfarbe. Von der ersten bis zur dritten Klasse ist es die Farbe Orange und in der vierten ist sie dann dunkelblau.
Ab der fünften Jahrgangstufe ändert sich dann die gesamte Schuluniform. Meine Krawatte ist dieses Jahr zum zweiten Mal orange, was bedeutet, dass alles noch so ist wie letztes Jahr, außer, dass wir jetzt auch endlich die Nationalhymne mitsingen dürfen.
Letztes Jahr durfte ich nicht mitsingen, da den Erstklässlern unterstellt wird, sie können die Hymne nicht und würden so die anderen durcheinander bringen. Die jetzigen Erstklässler tun mir leid, denn ich weiß wie uncool es ist, nicht mitsingen zu dürfen, obwohl man die Hymne kann.
Nach der Tahiat Al Alam werden wir auch schon in unsere Klassen eingeteilt. Ich komme in die Klasse 2a und Yail ebenso. Wie letztes Jahr auch setzen wir uns nebeneinander und ich ahne schon, was als Nächstes kommen wird: „Seid ihr verliebt?“. Das ist uns letztes Jahr so auf die Nerven gegangen, dass wir mehrmals kurz davor waren, unser Geheimnis zu lüften, um endlich Ruhe zu haben.
Im Endeffekt haben wir uns doch noch rechtzeitig beruhigt und haben dann geschwiegen. Vielleicht sind die Zweitklässler ein bisschen schlauer und sind nicht so blöd wie letztes Jahr, auch wenn ich das nicht wirklich glaube, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Erst erfolgt die Büchervergabe. Nacheinander werden wir nach vorne geholt, um unsere Bücher zu nehmen, die alle vorne gestapelt sind. Nachdem alle endlich ihre Materialien haben, erfolgt anschließend die Klassensprecherwahl. Mehrere Namen stehen jetzt auf der Tafel, unter anderem auch meiner.
Die Klassensprecherwahl nimmt einige Zeit in Anspruch, bis endlich der Klassensprecher feststeht. Ehrlich gesagt, kann ich es nicht glauben. Es war wirklich unerwartet. Ich bin die Klassensprecherin. Dadurch, dass ich so überrascht bin, dass ich zur Klassensprecherin gewählt wurde, komme ich wahrscheinlich so rüber, als hätte ich überhaupt keine Freunde und wäre so ziemlich die Unbeliebteste in der Klasse, aber nein, es ist eigentlich gar nicht so.
Klar, ich muss mir in vielen Situationen Kommentare anhören und manchmal treiben mich diese auch in den Wahnsinn, trotzdem bin ich eigentlich mit allen in meiner Klasse befreundet, auch wenn befreundet schon übertrieben ist, ich komme mit allen zurecht.
Damit ist der erste Schultag auch schon zu Ende und wir müssen uns auf den Nachhauseweg begeben. Ich finde es wirklich schön, dass es dieses Jahr keine großartige Umstellung gibt.
So wie letztes Jahr laufen Yail und ich zusammen nach Hause. Wir haben es ziemlich gut, denn wir können erstens immer gemeinsam heimlaufen und zweitens ist unser Schulweg extrem kurz und schön. Unsere Schule ist nur zwei Straßen hinter unserem Haus, was bedeutet, dass wir zu Fuß nicht mehr als fünf Minuten brauchen.
Als wir vor unserem Haus stehen, empfangen uns Yails Eltern vor der Tür. Immer