Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten. Jonathan Swift

Inselabenteuer. Von Schatzsuchern und Gestrandeten - Jonathan Swift


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an einem Kinderdrachenschwanz in die Höhe stiegen. Bisweilen auch erhielten wir von unten her Wein und Lebensmittel, die durch Winden emporgezogen wurden.

      Meine Kenntnis der Mathematik half mir viel im Erlernen der Phrasen, die aus dieser Wissenschaft hervorgeholt werden sowie auch aus der Musik, worin ich nicht ganz unerfahren war. Die Ideen jener Leute bilden sich stets nach philosophischen Begriffen, mathematischen Linien und Figuren. Wollen sie zum Beispiel die Schönheit einer Frau oder eines anderen Geschöpfes rühmen, so beginnen sie mit der Idee des absolut Schönen und bestimmen jene dann näher durch Rhomboide, Kreise, Parallelogramme, Ellipsen und andere geometrische Begriffe und endlich durch die Terminologie der bildenden Künste und der Musik, die ich hier wohl nicht zu wiederholen brauche. In der Küche des Königs bemerkte ich alle Arten mathematischer und musikalischer Instrumente, und nach deren Figuren wurde alles Fleisch zugeschnitten, das man auf die Tafel brachte.

      Die Häuser sind schlecht gebaut, die Mauern schräg, und in den Zimmern bemerkt man kaum einen rechten Winkel. Dieser Mangel ergibt sich aus der Verachtung, welche die Laputier gegen angewandte Geometrie hegen, die sie als gemein und handwerksmäßig betrachten. Ihr Volksunterricht ist nämlich für den Verstand gewöhnlicher Arbeitsleute zu sehr verfeinert. Somit sind Versehen an der Tagesordnung. Obgleich nun alle auf dem Papiere in der Anwendung des Lineals, des Bleistifts und des Kreisteilers sehr gewandt sind, habe ich dennoch nie ein tölpischeres, unbeholfeneres und plumperes Volk bei allen Gelegenheiten gesehen, mit Ausnahme der Musik und Mathematik. Sie sind schlechte Logiker und sehr zum Widerspruch geneigt; auch hegen sie nur selten die richtige Meinung; Einbildungskraft, Phantasie, Erfindungsgabe sind ihnen durchaus unbekannte Eigenschaften; auch gibt es in der Landessprache keine Worte, diese Begriffe auszudrücken. Alle ihre Gedanken sind auf die vorhergenannten Wissenschaften beschränkt.

      Die meisten und besonders diejenigen, die sich mit der astronomischen Mathematik beschäftigen, glauben auch an Astrologie, obgleich sie sich schämen, es öffentlich einzugestehen. Am meisten habe ich mich aber über den mir unerklärlichen Umstand gewundert, daß sie eine leidenschaftliche Neigung zur Politik und zu Neuigkeiten hegen, Staatsangelegenheiten fortwährend untersuchen und jeden Punkt einer Parteimeinung streitig machen. Dieselbe Neigung habe ich auch in Europa bei Mathematikern bemerkt, obgleich ich keine Ähnlichkeit von Mathematik und Politik entdecken konnte. Vielleicht sind diese Leute der Meinung, ebenso wie der kleinste Kreis dieselben Grade habe wie der größte, so verlange auch das Ordnen der Welt keine größere Fähigkeit als die Gewandtheit, mit einem Globus umzugehen. Jedoch möchte ich den Grund dieser Eigenschaft vielmehr in einer allgemeinen menschlichen Schwäche suchen, infolge deren wir am meisten für solche Dinge interessiert sind, die uns nichts angehen und für die wir uns nach unserer Vorbildung und unseren Geistesfähigkeiten durchaus nicht eignen.

      Die Laputier befinden sich in fortwährender Unruhe, so daß sich ihr Geist kaum eine Minute lang in Behaglichkeit fühlt, und diese Störungen entstehen aus Ursachen, die auf die übrigen Menschen keinen Einfluß ausüben. Ihre Furcht beruht auf Veränderungen, die sie durch Himmelskörper besorgen; die Erde zum Beispiel müsse zuletzt von der Sonne absorbiert und verschlungen werden, da letztere ihr fortwährend näher rücke; die Oberfläche der Sonne werde zuletzt durch ihre Ausdünstungen inkrustiert und könne dann die Welt nicht mehr erleuchten; kürzlich sei die Erde kaum dem Untergange durch den Schwanz eines Kometen entgangen, der sie unfehlbar in Asche verwandelt haben würde; der nächste, der nach einunddreißig Jahren, wie sie berechnet haben, erscheinen müsse, werde uns wahrscheinlich sämtlich vernichten. Wenn er nämlich in seinem Perihel sich der Sonne bis auf einen gewissen Grad nähere (und die Berechnung gebe Ursache zu dieser Besorgnis), so müsse er eine Hitze erhalten, deren Intensität die Hitze des glühenden Eisens um zehntausend Grade übertreffe; nach der Entfernung von der Sonne werde er zehnmalhunderttausendundvierzehn Meilen weit seinen Schweif ausstrecken; wenn nun die Erde in der Entfernung von einmalhunderttausend Meilen von dem Kern oder Hauptbestandteil des Kometen passiere, müsse sie en passant entzündet und in Asche verwandelt werden. Die Sonne, die uns täglich ihre Strahlen sende, müsse sich zuletzt erschöpfen und somit untergehen; dann sei auch der Untergang unseres Planeten die notwendige Folge sowie auch der Tod der anderen, die ihr Licht von unserem Fixstern erhalten.

      Die Laputier werden so sehr durch die Besorgnis dieser Gefahren und ihren Folgen geängstigt, daß sie nicht ruhig schlafen und sich auch durch die gewöhnlichen Vergnügungen des Lebens nicht erholen können. Begegnen sie ihren Freunden des Morgens früh, so betrifft die erste Frage die Gesundheit der Sonne, wie sie sich beim Abend- und Morgenrot befand, ferner auch, ob Hoffnung vorhanden ist, den Stoß des nahenden Kometen zu vermeiden. So geht es in dem Gespräche mit demselben Vergnügen fort, das Kinder bei schrecklichen Geschichten von Geistern und Gespenstern empfinden, die sie begierig anhören, um aus Furcht nicht zu Bett gehen zu können.

      Die Weiber dieser Insel sind außerordentlich lebhaft. Sie verachten ihre Gatten und lieben die Fremden sehr. Fremde kommen nämlich in bedeutender Anzahl vom Festland herüber und begeben sich an den Hof, entweder wegen der Geschäfte ihrer Städte und Korporationen oder wegen anderer Angelegenheiten, die ihre eigene Person betreffen. Sie werden jedoch verachtet, weil sie keine hohen Geistesgaben besitzen. Unter diesen wählen die Damen ihre Liebhaber. Hierbei ereignet sich jedoch leicht ein Unglück. Die Ehemänner sind so sehr in ihre Spekulationen vertieft, daß ihre Frauen sich vor ihren Augen die größten Vertraulichkeiten mit den Liebhabern erlauben dürfen, wenn die Ehemänner Papier und Instrumente zur Hand und keinen Klatscher zur Seite haben.

      Die Gattinnen und Töchter beklagen, daß sie auf die Insel beschränkt sind, obgleich ich diese für den angenehmsten Ort der ganzen Welt halte. Wie sehr sie auch im Überfluß leben, wollen sie die Welt sehen und die Vergnügungen der Hauptstadt genießen, was ihnen aber ohne besondere Erlaubnis des Königs nicht gestattet ist. Diese Erlaubnis wird aber nur nach vielen Schwierigkeiten erlangt, da die Personen von Stande häufig erfahren haben, wie schwer es ist, ihre Frauen zur Rückkehr zu überreden. Mir wurde erzählt, eine vornehme Hofdame, die bereits mehrere Kinde hatte und an den Premierminister, den reichsten Untertan des Königreiches, vermählt war, der, schön und in sie verliebt, in der besten Gegend der Insel wohnt, sei unter dem Vorwande, ihre Gesundheit zu verbessern, nach Lagado gereist und habe sich dort mehrere Monate lang verborgen, bis der König einen Befehl, sie aufzusuchen, absandte. Hierauf fand man sie in einer elenden Spelunke, und zwar ganz zerlumpt, da sie ihre Kleider verpfändet hatte, um einen alten und häßlichen Bedienten zu ernähren, der sie täglich prügelte und aus dessen Gesellschaft sie widerstrebend fortgeführt wurde. Obgleich ihr Gemahl sie mit aller nur möglichen Güte und ohne den geringsten Vorwurf empfing, verstand sie es dennoch wieder, sich hinabzustehlen. Sie begab sich mit allen ihren Juwelen zu demselben Galan, und man hat seitdem nichts mehr von ihr gehört.

      Der Leser glaubt vielleicht, diese Geschichte habe sich in Europa, vielleicht in England, aber nicht in einem so entfernten Lande ereignet. Er muß jedoch bedenken, daß die Launen der Weiber nicht auf ein besonderes Klima oder Volk beschränkt und bei Weibern überhaupt allgemeiner sind, als man wohl glauben sollte.

      Nach ungefähr einem Monat hatte ich bedeutende Fortschritte im Erlernen der Landessprache gemacht und war imstande, die Fragen des Königs zu beantworten, wenn ich die Ehre einer Audienz erhielt. Seine Majestät zeigte aber nicht die geringste Neugier in betreff der Gesetze, Regierungsform, Geschichte, Religion oder der Sitten jener Länder, die ich bereits gesehen hatte, sondern beschränkte ihre Fragen auf den Zustand der mathematischen Wissenschaften. Der Bericht, den ich gab, wurde mit größter Gleichgültigkeit und Verachtung von dem König angehört, obgleich die Klatscher an beiden Seiten ihre Maschinen häufig in Wirksamkeit setzten.

      Drittes Kapitel

      Ein durch neuere Philosophie und Astronomie aufgelöstes Phänomen. Die Fortschritte der Laputier in letzterer Wissenschaft. Das Verfahren des Königs bei der Unterdrückung von Aufständen.

      Ich ersuchte den König um Erlaubnis, die Merkwürdigkeiten der Insel ansehen zu dürfen. Seine Majestät hatte die Gnade, mir diese zu erteilen, und befahl meinem Lehrer, mich zu begleiten. Ich wollte hauptsächlich wissen, welchen künstlichen und natürlichen Ursachen die Insel ihre Bewegungen verdanke, und will hierüber dem Leser einen wissenschaftlichen Bericht erstatten.

      Die fliegende


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